Marcus Wood: Black Milk. Imagining Slavery in the Visual Cultures of Brazil and America, Oxford: Oxford University Press 2013, XXVIII + 523 S., 146 s/w-Abb., ISBN 978-0-19-927457-4, GBP 60,00
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Die Repräsentation von Sklaverei in den Bildkünsten ist ein Thema, das in der Forschung lange Zeit nur am Rande behandelt wurde. Zuweilen fanden Sklaven als "Beigaben" in Porträts hochrangiger Personen Erwähnung oder wurden im Rahmen der Diskussion exzeptioneller Einzelwerke thematisiert. Erst in den letzten Jahren erfuhr die Darstellung von Sklaverei in der Kunst verstärkte Aufmerksamkeit in Verbindung mit Studien zu transatlantischem Handel und Kulturaustausch, Trauma und Erinnerung sowie Postkolonialismus. Ungeachtet der Vielzahl an Ländern, die von Sklavenhandel und Sklavenarbeit profitierten, konzentrierte sich die Forschung bisher auf Bildwerke aus Europa und Nordamerika.
Während viele ältere Veröffentlichungen Marcus Woods diesem Trend entsprachen, setzt sich der Englischprofessor und Künstler in seinem neuen Buch "Black Milk" das Ziel, der Forschung neben nordamerikanischen auch brasilianische Bildwerke aus der Zeit der Sklaverei komparatistisch zu erschließen. In seiner Einführung kritisiert Wood, dass das visuelle Erbe der Sklaverei in Brasilien - eine der größten und langlebigsten Sklavengesellschaften der neueren Geschichte - in der Forschung bisher weitgehend ignoriert oder auf der Grundlage amerikanischer Tradition und Symbolik gedeutet worden sei. Woods Absicht ist es daher, die brasilianischen Bildwerke erstmals vor dem Hintergrund afro-brasilianischer kultureller Vorstellungen, synkretischer Religion und performativer Elemente brasilianischer Populärkultur zu analysieren.
In den ersten vier Kapiteln von "Black Milk" trägt Wood eine Vielzahl von Skizzen, Druckgrafiken und Fotografien zur Sklaverei Brasiliens und Nordamerikas zusammen, um diese zu interpretieren, zu kontextualisieren und zu vergleichen. Im ersten Kapitel "Slavery and the Romantic sketch" wird bereits die länderspezifische Verschiedenheit des Bildmaterials deutlich. In Nordamerika entstanden grafische Arbeiten zur Sklaverei fast ausschließlich im Zusammenhang mit politischen Schriften des Abolitionismus und zeigten häufig extreme Formen von Folter und Gewalt. In Brasilien dagegen wurden für die umfangreiche Reiseliteratur ästhetisch anspruchsvolle Drucke angefertigt, die das alltägliche Leben der Sklaven darstellten. Wood konzentriert sich in seiner Analyse auf die Skizzen des in Rio de Janeiro tätigen Künstlers Jean Baptiste Debret und zeigt, wie dieser feine Nuancen täglicher Qualen der Sklaven festhielt. Im zweiten Kapitel diskutiert Wood rassistische Printsatiren der amerikanischen Abolitionismus-Literatur und darauf folgend Autorenporträts der "slave narratives" als Ausdruck schwarzer Identität und Autonomie. Brasilianische Printsatiren werden im dritten Kapitel am Beispiel der Grafiken Angelo Agostinis thematisiert, der sich in zahlreichen Werken kritisch mit der Sklaverei auseinandersetzte. Das fotografische Vermächtnis der Sklaverei in Nordamerika und Brasilien ist Gegenstand des vierten Kapitels. Wood thematisiert hier eingangs grundsätzliche Fragen, so zum Beispiel die der Bildwürdigkeit des Sklaven, wobei offen bleibt, wieso derartige Fragen nur für fotografische Arbeiten gestellt werden. Einen Kernpunkt des Kapitels bildet die Analyse von Fotografien des amerikanischen Bürgerkriegs. Der hier angestellte Vergleich mit Bildmaterial aus Brasiliens Krieg gegen Paraguay scheint jedoch mehr die komparatistische Fragestellung zu bedienen als zur Erhellung der Bilder beizutragen. Weitere Schwerpunkte des Kapitels liegen auf der Analyse der Verwendung von Bürgerkriegsfotografien in Ken Burns TV-Serie "The American Civil War" sowie Augusto Stahls Porträtfotografien von Sklaven, die der Naturforscher Louis Agassiz für seine rassentheoretischen Forschungen in Auftrag gab. Das fünfte und sechste Kapitel sind der Präsentation von Sklaverei und Trauma in Museen sowie alternativen Erinnerungsstätten gewidmet. Die Ausführungen orientieren sich dabei an der Fragestellung, ob und wie Sklaverei und Trauma historisch präzise, moralisch angemessen und ästhetisch erfolgreich präsentiert werden können. Während Wood für den nordamerikanischen Teil "klassische" museale Schausammlungen analysiert, bespricht er für den brasilianischen unkonventionellere Räume und Konzepte wie beispielsweise Ansammlungen von Objekten auf den Altären afro-brasilianischer Tempel oder performative Aktionen Lina Bo Bardis.
Wood versucht das umfangreiche, disparate Bildmaterial mittels einer komparatistischen Analyse in den Griff zu bekommen. Dabei stellt sich das Problem, dass das visuelle Erbe beider Länder nur bedingt vergleichbar ist, da es unter sehr verschiedenen politischen und soziokulturellen Bedingungen entstand. So erfolgte beispielsweise die Abschaffung der Sklaverei in Brasilien durch königlichen Erlass und blieb länger in den sozialen Strukturen verankert, während der Bürgerkrieg in Amerika das alte Gesellschaftssystem mit Gewalt auseinanderriss. Auch bezieht sich Wood auf der einen Seite auf einzelne in Brasilien tätige Künstler wie Jean Baptiste Debret oder Angelo Agostini, während auf der anderen Seite die nordamerikanischen Beispiele eher allgemein gehalten sind. Entsprechend stehen die Analysen eher kontrastierend nebeneinander als dass sie durch Gemeinsamkeiten verknüpft wären. Dies spiegelt sich auch in der Struktur des Buchs wider, das nur im Kapitel über Fotografie beide Länder vereint behandelt. Auf diese Weise wird im Wesentlichen die Verschiedenheit des Bildmaterials als auch der Erinnerungskultur beider Länder deutlich.
Die Bildinterpretationen des Autors sprechen von seiner ausgeprägten Kenntnis länderspezifischer Symbolik, Brauch- und Schrifttum, wirken aber an manchen Stellen assoziativ und nicht aus dem Bild heraus begründet. So deutet Wood beispielsweise George Fullers Skizze eines ausgestreckt schlafenden Sklavenmädchens als Anspielung auf die Kreuzigung Christi. Da das Mädchen von der Seite dargestellt ist, ist die Ähnlichkeit mit dem Gekreuzigten jedoch nur marginal und ohne weitere Belege nicht haltbar (33-35). An anderer Stelle interpretiert Wood die auf einer Skizzenbuchseite Jean Baptiste Debrets dargestellten Motive eines Esels, eines Finken und eines betenden (?) Sklaven als "ironic religious critique of slavery" (47-48). Da in Skizzenbüchern Zeichnungen in der Regel zufällig nebeneinander platziert werden und hier keine besonderen Hinweise auf Zusammengehörigkeit vorliegen, müssen derartige Deutungen als hoch spekulativ betrachtet werden.
Marcus Wood trägt in "Black Milk" einen exzeptionellen Fundus an Quellen zusammen, der einen Eindruck von der Vielfalt und den Eigenarten des visuellen Erbes der Sklaverei in Brasilien und Amerika vermittelt. Der Autor stützt seine Analyse durch profunde Kenntnisse soziokultureller und religiöser Hintergründe und weiß den Leser durch Enthusiasmus und gute Lesbarkeit seiner Ausführungen für das Thema einzunehmen. Gleichwohl muss hinsichtlich der Bildinterpretationen eingeräumt werden, dass diese teilweise spekulativ wirken und daher nicht immer die Thesen des Autors stützen, sodass hier Potential verschenkt wurde. Woods Faszination für die Originalität und den Reichtum der lange vernachlässigten visuellen Überlieferung Brasiliens als auch deren kreative und sensible Repräsentation außerhalb traditioneller musealer Kontexte ist über das gesamte Buch hinweg deutlich spürbar. Insbesondere hinsichtlich der bisher in der Fachdiskussion unterrepräsentierten brasilianischen Bildwelt der Sklaverei ist das Buch eine wertvolle Bereicherung der Forschungslandschaft.
Saskia Jogler