Werner Telesko: Maria Theresia. Ein europäischer Mythos, Wien: Böhlau 2012, 309 S., ISBN 978-3-205-78826-3, EUR 35,00
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Bevor es anlässlich des 300. Geburtstages von Maria Theresia im Jahr 2017 wahrscheinlich zu einer Flut von Deutungen und Vereinnahmungen der Herrscherin auf den verschiedensten Ebenen kommen wird, hat der Wiener Kunsthistoriker Werner Telesko die Entwicklung des Maria Theresia-Bildes in den vergangenen zweieinhalb Jahrhunderten nachgezeichnet. Wie der Begriff des "Mythos" im Untertitel schon andeutet, geht es ihm dabei weniger um eine Darstellung der (wissenschaftlichen) Historiografiegeschichte - diese kommt eher am Rande vor. In einem breiten interdisziplinären Zugriff untersucht er vielmehr das populäre Maria Theresia-Bild bzw. nimmt insbesondere jene Medien in den Blick, die eher für eine größere Öffentlichkeit bestimmt waren. Die Palette reicht von der Plastik und Grafik zu Lebzeiten Maria Theresias über Literatur unterschiedlichster Gattungen, Denkmäler, Jubiläumsschriften bis zum Spielfilm oder dem offiziellen Foto der neuernannten Regierung Kreisky vor einem Porträt der Kaiserin, wobei die Medien, die schwerpunktmäßig behandelt werden, selbstverständlich je nach Epoche variieren. Telesko geht dabei im Anschluss an Roland Barthes und Jan Assmann davon aus, dass Mythen ihre Potenz aus den Sinnbedürfnissen der jeweiligen Gegenwart gewinnen. Demzufolge untersucht er das Bild der von ihm als Mythos identifizierten Maria Theresia durch die Epochen hindurch und fragt danach, welche Bedürfnisse durch die verschiedenen Bilder bzw. Instrumentalisierungen jeweils befriedigt wurden.
Der Aufbau des Buches ist streng chronologisch. Auf die Einleitung über "Maria Theresia - Mythos und Wirklichkeit" folgen drei große Kapitel für das 18., 19. und 20. Jahrhundert, die dann jeweils wieder in zwei bis drei Unterkapitel zu einzelnen Medien unterteilt sind. Die Jahrhundertgliederung ist dabei nur als grobe Orientierung zu verstehen und wird von Telesko auch so gehandhabt. Denn selbstverständlich bildet in diesem Zusammenhang das Ende der Monarchie 1914 sicher einen größeren Einschnitt als die Jahrhundertwende, genauso wie für die Jahrhundertwende davor die Zäsur eher 1804/06 anzusetzen wäre. Prinzipiell aber erscheint die chronologische Gliederung sinnvoll, werden doch auf diese Weise Kontinuitäten und Brüche deutlicher als bei einem rein systematischen oder nach Medien gegliederten Vorgehen.
Telesko hebt hervor, dass sich Maria Theresia für eine solche Untersuchung in besonderer Weise eignet, da ihre Biografie eine maximale Spannweite an Deutungsmöglichkeiten anbietet. In ihr Leben ließ sich nämlich alles Mögliche einschreiben, von den üblichen Herrschertugenden bis zum weiblichen Spagat zwischen Familie und Beruf. Die vielen Ergebnisse und Beobachtungen, die Telesko ausbreitet, können hier nicht einmal ansatzweise referiert werden. Insgesamt diagnostiziert er eine Verengung von einem sehr breitgefächerten Bild im 18. Jahrhundert hin zu einer Konzentration auf einige wenige Stereotypen im 19. Jahrhundert und darüber hinaus. Im Laufe dieser Entwicklung gewinnt vor allem der Muttermythos immer größere Bedeutung. Maria Theresia wird schließlich mit Mütterlichkeit geradezu gleichgesetzt, wobei sie diese Eigenschaft ihren leiblichen Kindern ebenso angedeihen ließ wie ihren Untertanen. Eine interessante und hochkomplexe Entwicklung erfährt auch die nationale Zuordnung der Kaiserin. Fungierte sie lange Zeit als die Verkörperung der deutschen Frau (im Unterschied zu Frankreich, aber auch zu Preußen, das sich dem großdeutsch gedachten Reich unter habsburgischer Führung verweigerte), so wurde diese Zuordnung nach 1918 problematisch, sodass in der Zwischenkriegszeit eine deutsch-österreichische Dichotomie zu beobachten ist. Nach 1945 dann wurde Maria Theresia zu einer essentialistischen Verkörperung des Österreichischen schlechthin.
Diese großen Linien zieht Telesko aufgrund einer beeindruckenden Vielzahl von Beispielen. Allerdings gerät die Fülle dabei manchmal auch zum Nachteil, weil nämlich viele Beispiele nur ganz kurz angerissen werden können und dabei für den mit dem jeweiligen Werk nicht vertrauten Leser blass bleiben müssen. Im Kontrast dazu stehen die ausführlichen Interpretationen des Prunksarkophags und des monumentalen Maria Theresia-Denkmals, die detaillierte Einsichten in diese Monumente erlauben und sie in die allgemeine Entwicklung einordnen.
Gerade bei einem Buch, das stark darauf angewiesen ist, dass man beim Lesen die Aussagen an Abbildungen der besprochenen Objekte nachvollziehen kann, ist es bedauerlich, dass die Abbildungen nicht in den Text integriert, sondern in einem separaten Abbildungsteil zu finden sind. Da zudem auch die Anmerkungen nicht als Fußnoten, sondern in einem separaten Anmerkungsapparat im Anhang gedruckt sind, muss man stets mit zwei Lesezeichen hantieren, wenn man die kompletten Informationen erfassen will. Wirklich ärgerlich sind freilich die vielfach begegnenden Verweise auf das "bekannte Porträt" oder den "berühmten Stich". Wenn den Lesern wie beispielsweise der Rezensentin als Nicht-Kunsthistorikerin die solchermaßen erwähnten Werke nicht bei der Nennung sofort vor ihrem geistigen Auge erstehen, bleiben die jeweiligen Interpretationen nicht nachvollziehbar, es sei denn, man macht sich auf der Grundlage der angegebenen Literatur auf die Suche nach den Werken.
Eine inhaltliche Kritik betrifft den Untertitel des Buches. Auch nach der Lektüre der unzähligen Beispiele erschließt sich der Rezensentin nicht, dass es sich bei Maria Theresia um einen "europäischen" Mythos handelte. Zwar behauptet Telesko, dass bereits das Gedenken an die soeben verstorbene Herrscherin in den Jahren 1780/81 "keine rein österreichische oder habsburgische Angelegenheit, sondern ein europäisches Anliegen" (120) gewesen sei. Bei den angeführten Trauerpublikationen finden sich dann aber außer Wiener Beispielen nur Publikationen aus Prag, Cremona und Ungarn, womit man sich dann doch wieder im habsburgischen Einflussbereich befindet. Im Folgenden beschränkt sich der Fokus dann vollends auf das Reich, die Habsburgermonarchie bzw. Österreich. Den Beweis des europaweit verbreiteten Mythos Maria Theresia bleibt der Autor schuldig. Das schmälert freilich nicht den Wert des Buches, das einen nützlichen Überblick bietet und eine Vielzahl von Forschungen bündelt, die sonst für den Einzelnen kaum zu überblicken sind.
Bettina Braun