Dirk Syndram / Martina Minning (Hgg.): Die kurfürstlich-sächsische Kunstkammer in Dresden. Geschichte einer Sammlung, Dresden: Sandstein Verlag 2012, 472 S., 195 Farbabb., ISBN 978-3-942422-00-0, EUR 48,00
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Lange haben die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden durch Ausstellungen und Kolloquia zur eigenen Entstehungsgeschichte auf ein maßgebliches Forschungs- und Publikationsprojekt hingearbeitet: Die wichtigsten Inventare der kurfürstlich-sächsischen Kunstkammer aus dem 16. bis 18. Jahrhundert sollten untersucht und veröffentlicht werden, um die außerordentliche Bedeutung dieser Sammlung für die europäische Kulturgeschichte hervorzuheben. Nun liegt das gewichtige Werk in Form einer vierbändigen Quellenedition und einer umfangreichen Aufsatzsammlung endlich vor. Damit reihen sich die Herausgeber in eine aktuelle Tendenz der kunsthistorischen Forschung ein. So wurde vor einigen Jahren schon das Inventar der Wittelsbacher Kunstkammer von 1598 herausgebracht. [1] Die Münchner Kunstkammer galt zum Zeitpunkt ihrer Einrichtung in den Jahren 1563 bis 1568 zweifelsohne als eine der wichtigsten fürstlichen Sammlungen im Heiligen Römischen Reich. Jedoch sollte Dresden, und nicht München, im Laufe des 17. Jahrhunderts Maßstäbe setzen.
Die kurfürstlich-sächsische Kunstkammer zeichnet sich in mehreren Hinsichten als sammlungsgeschichtliches Forschungsobjekt ersten Ranges aus. Zunächst einmal liegen für die Dresdner Kunstkammer insgesamt sieben Inventare vor, welche die Entwicklung der Sammlung über 250 Jahre hinweg kontinuierlich dokumentieren. Das erste ist zugleich das früheste Kunstkammerinventar überhaupt. Es wurde im Jahr 1587 nach dem Tod von Kurfürst August verfasst, der die Sammlung mit Schwerpunkt auf wissenschaftlich-technische Instrumente angelegt hatte. Die Kunstkammer mit integrierter Drechselwerkstatt fungierte damals als Arbeitsraum des Kurfürsten. Erst unter Christian I. nahm sie museale Züge an: Der neue Kurfürst hielt zwar an dem Konzept einer wissenschaftlich-technisch orientierten Sammlung fest, er wies ihr jedoch eine dynastisch-memoriale Funktion zu.
Die wichtigste Expansions- und Transformationsphase der Kunstkammer fällt allerdings in die Regierungszeit Johann Georgs I., der 1611 für 45 Jahre an die Macht kam. Trotz des Dreißigjährigen Krieges gelang es dem sächsischen Herrscher, durch Ankauf hochwertiger Artificialia die Bestände beachtlich zu erweitern und zugleich an den damals gültigen Sammlungskanon anzupassen. Wie hoch die Bedeutung der Kunstkammer am Hof eingeschätzt wurde, zeigt ein Projekt aus dem Jahr 1626: Damals trug sich Johann Georg I. mit dem Gedanken, die Kunstkammer von ihrem Standort unter dem Dach des Westflügels in den Nukleus des Dresdner Residenzschlosses zu verlegen: in die Räume über dem traditionellen Festsaal, den "Riesensaal". Doch aufgrund von Platzmangel kam es letztendlich nicht mehr dazu, und stattdessen wurden 1630 die bisherigen Ausstellungsräume im Westflügel renoviert und neu inszeniert. Dass diese Neuaufstellung erfolgreich war, zeigt sich an der publizistischen Resonanz, die ihren Höhepunkt in den Achtzigerjahren des 17. Jahrhunderts erreichte. Im Gegensatz zu den Kunstkammern in Heidelberg, Berlin, München, Stuttgart und Prag überlebte die kurfürstlich-sächsische Kunstkammer den Dreißigjährigen Krieg unbeschadet und avancierte damit zur bedeutendsten und meist besuchten Sammlung im Heiligen Römischen Reich.
Ihr Ruhm dauerte weit bis ins 18. Jahrhundert an. Als Friedrich August I. 1694 an die Regierung kam, brach jedoch eine neue Epoche an. Denn der junge Kurfürst und baldige König von Polen legte großen Wert auf die zeitgemäße Präsentation seiner Schätze und war im Gegensatz zu seinen Vorfahren bereit, kreativ mit den ererbten Sammlungsbeständen umzugehen. Zum ersten Mal wechselte die Kunstkammer mehrmals und innerhalb kurzer Zeit den Standort, bis sie schließlich 1733 neue Räume im "Palais des Sciences" im Zwinger bezog. August der Starke hatte durchaus Interesse an der Kunstkammer, die von zahlreichen Fremdenführern immer noch als die wichtigste Sammlung im Reich gepriesen wurde. Dennoch läuteten seine musealen Projekte das Ende dieser altehrwürdigen Sammlung ein. Besonders schmerzlich war 1721 die Aussonderung der naturkundlichen Bestände und Medaillen: Von diesem Zeitpunkt an erlosch der enzyklopädische Anspruch der Kunstkammer, in der ursprünglich alle Wunderwerke der Natur und der menschlichen Kunstfertigkeit vereint gewesen waren.
Allmählich verloren die Kunstkammerräume im Zwinger an Bedeutung, bis der Kunstsammler Johann Gottlob von Quandt 1832 dem Staatsministerium ein vernichtendes Gutachten vorlegte, das zur Auflösung dieser Sammlung führte. Während zahlreiche Exponate versteigert wurden, gingen die Rüstkammer und die Restbestände der Kunstkammer 1834 in das neu gegründete, königliche Historische Museum ein. Damit endet die Geschichte der Kunstkammer am Dresdner Hof, die zum ersten Mal in den vorliegenden Publikationen in ihrer gesamten Laufzeit von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis zum Jahr 1834 untersucht wird.
Während im ersten Teil des Sammelbandes verschiedene Aufsätze chronologisch die Gründung und Entwicklung der Kunstkammer bis zu ihrer Auflösung untersuchen, widmet sich der zweite Teil des Werks den Objektgruppen, die für die Dresdner Kunstkammer ausschlaggebend waren: Werkzeuge, Scientifica, Kabinettschränke, Exotica, Elfenbeinplastiken, Tierpräparate, Minerale, Bücher, Karten, Grafiken werden hinsichtlich ihrer Spezifizität und symbolischen Bedeutung erörtert. Im Anhang zu den jeweiligen Aufsätzen sind Materialien etwa in Form von Tabellen und auch ausgewählten Quellen veröffentlicht: beispielsweise eine Beschreibung der Kunstkammer durch Otto Schürer von 1619, einen Auszug aus dem Schatzkammerverzeichnis nach 1586 und die Besucherverzeichnisse aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, die zum Teil im Krieg verloren gegangen sind und hier nach Abschriften aus dem Archiv der Staatlichen Kunstsammlungen wiedergegeben werden.
Hauptquellen sind natürlich die Inventare der kurfürstlich-sächsischen Kunstkammer aus den Jahren 1587, 1619, 1640 und 1741 - die vier wichtigsten von den insgesamt sieben vorhandenen Inventaren. Die Herausgeber haben bei der Edition dieser Bände bewusst auf eine ausführliche Dokumentation verzichtet, anders als die Bearbeiter des Münchner Kunstkammerinventars von 1598. [2] Dafür ist jedem Inventar eine kurze Charakterisierung der Sammlung im Jahr der Bestandsaufnahme vorangestellt, und im Anhang sind identifizierbare Objekte aus der Kunstkammer abgebildet, die heute noch existieren. Insgesamt versteht sich die Edition als "ein Angebot an die internationale kunst- und kulturgeschichtliche Forschungsgemeinschaft". Und das ist sie auch: eine Fundgrube für jeden, der auf dem Gebiet der frühneuzeitlichen Sammlungsgeschichte forscht. Bedauern kann man nur den hohen Preis der Inventare, die mit 298 Euro für viele Forscher unerschwinglich bleiben. Schade auch, dass die Herausgeber auf eine Publikation dieser hochbedeutenden Quellen auf CD oder im Internet verzichtet haben! Dabei wäre das elektronische Medium gerade für die Forschungsgemeinschaft als effiziente Arbeitsgrundlage empfehlenswert gewesen. So publiziert, ohne Register (das Personenverzeichnis ausgenommen) und ohne Möglichkeit, im Text zu suchen, ist der Umgang mit der Quelle unnötigerweise erschwert. Doch soll dieser Kritikpunkt das Verdienst der Herausgeber und Autoren nicht mindern, die mit den edierten Inventaren und mit dem begleitenden Sammelband ein Standardwerk vorgelegt haben, von dem die Forschungsgemeinschaft in der Tat noch lange zehren wird.
Anmerkungen:
[1] Peter Diemer / Elke Bujok / Dorothea Diemer (Hgg.): Johann Baptist Fickler. Das Inventar der Münchner herzoglichen Kunstkammer von 1598. Editionsband. Transkription der Inventarhandschrift cgm 2133, München 2004.
[2] Dorothea Diemer / Peter Diemer / Lorenz Seelig [u.a.]: Die Münchner Kunstkammer, 3 Bde., München 2008.
Virginie Spenlé