Bastian Hein: Elite für Volk und Führer? Die Allgemeine SS und ihre Mitglieder 1925-1945 (= Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte; Bd. 92), München: Oldenbourg 2012, VIII + 356 S., 16 s/w-Abb., ISBN 978-3-486-70936-0, EUR 39,80
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Die Verbrechen der SS im Krieg, ihre maßgebliche Beteiligung am Holocaust und ihre Rassenideologie haben schon früh das Forschungsinteresse angezogen. Doch daneben erweist sich die Analyse weit weniger spektakulärer Aspekte als mindestens ebenso gewinnbringend, wenn es um die grundsätzliche Frage nach der Unterstützungsbereitschaft der Deutschen für das NS-Regime geht. Bastian Heins Regensburger Habilitationsschrift nimmt nicht die berüchtigten Sonderformationen wie die Waffen-SS in den Blick, sondern die weitaus weniger intensiv untersuchte Allgemeine SS. Sein Untersuchungszeitraum umfasst die Jahre 1925 bis 1945, in denen aus einer randständigen Parteiorganisation eine der maßgeblichen Machtinstrumente des nationalsozialistischen Regimes wurde. Hein stützt sich auf umfangreiche Archivrecherchen, u.a. personenbezogene SS-Akten im Bundesarchiv sowie auf diverses Schrifttum der NSDSP und der SS.
Die Motive zum Eintritt in die allgemeine SS, die Hein entgegen älteren Forschungsthesen und dem elitären Selbstbild durchaus in der Mitte der Gesellschaft verortet, entsprangen einer multiplen Krisenwahrnehmung seit Mitte der zwanziger Jahre. Die "soziale Heterogenität der Schutzstaffel" (3) stellt zugleich ein analytisches Problem dar, denn die Motivlagen, das politische Engagement und der ideologische Enthusiasmus waren über die gesamte Existenzdauer hinweg höchst unterschiedlich ausgeprägt. Auch das Verhalten der SS-Führung war alles andere als konsequent, betrachtet man nur die Aufweichung der Beitrittskriterien, die Hein eingehend schildert und die zu äußerst skurrilen ideologischen Verrenkungen führten. Um eine elitäre Truppe ausschließlich groß gewachsener und ideologisch gefestigter Arier handelte es sich wohl zu keiner Zeit.
Hein widerspricht damit nicht nur gängigen Stereotypen und vermeintlich abgesicherten Forschungsthesen, sondern bindet seine Untersuchung auch an aktuelle Fragen an: So nimmt er explizit zum Begriff der Volksgemeinschaft Stellung, wobei er präzise die inneren Widersprüche herausarbeitet, die die Volksgemeinschaftsideologie für die SS als scheinbar elitärer Organisation aufwarfen (144ff.). Die Arbeit erweist sich als vielfältig anschlussfähig, was sich immer dann zeigt, wenn das Interagieren der SS mit anderen Parteiformationen wie der SA, dem Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund (160) oder weiteren gesellschaftlichen Gruppen zur Sprache kommt.
Bei der Frage nach dem Charakter des 'Dritten Reichs' platziert Hein sich mit seiner Untersuchung der Allgemeinen SS an einer mittleren Position zwischen Terrorherrschaft und Gefälligkeitsdiktatur (312). Auch die Frage, ob es sich um eine "Elite für Volk und Führer" gehandelt habe, beantwortet er differenziert: rein funktional habe sich die Allgemeine SS insbesondere nach der Ausschaltung der SA im Zuge des so genannten "Röhm-Putsches" als zentrales innenpolitisches Machtinstrument Hitlers - und Himmlers - etablieren können. Die lautstark postulierten rassisch-weltanschaulichen Auslesekriterien wurde jedoch häufig zugunsten einer weitreichenden Personalrekrutierung aufgeweicht (313). Dennoch - so Hein - habe die Allgemeine SS den Status einer "mörderischen Funktionselite" eingenommen.
Bastian Hein ist ein souveräner Umgang mit seinen Quellen und dem inzwischen höchst differenzierten Forschungsstand zu attestieren. Seine Studie ist gut lesbar und kommt zu pointierten Urteilen. Dabei versteht er es immer wieder, normative Quellen und soziale Praxis miteinander in Beziehung zu setzen. Das bewahrt ihn davor, ideologischen Postulaten aufzusitzen und stattdessen die Lebenswirklichkeit und die Interessen der "einfachen" SS-Männer differenziert zu analysieren. So vermag er es, hinter die "Fassade der Elite" - so der Titel des vierten Kapitels - zu blicken. Er präsentiert dabei eine gelungene Kombination aus biographischen, kollektivbiographischen und strukturellen Analyseansätzen, so dass sich leicht vom Einzelfall abstrahieren lässt. Angesichts der Tatsache, dass das Buch vor allem von einem Fachpublikum rezipiert werden dürfte, überzeugen einige langatmige Passagen im ersten und zweiten Kapitel nicht. Darin referiert der Autor beispielsweise die Ereignisgeschichte der Weimarer Republik, die er zwar mit dem Krisenbewusstsein der SS-Leute verknüpft. Doch wer dieses Buch liest, dem dürfte bekannt sein, dass es sich beim Stahlhelm um eine Veteranenorganisation handelte, dass Hitler im Weltkrieg Meldegänger war und in Landsberg einsaß. Aber bereits in der Mitte des zweiten Kapitels gibt Hein diese eher hausbacken wirkende Darstellungsweise auf und widmet sich seinem eigentlichen Thema. Daher wiegen diese Monita angesichts der großen Bedeutung und hohen Qualität der Untersuchung gering.
Rainer Pöppinghege