Markus Drüding: Akademische Jubelfeiern. Eine geschichtskulturelle Analyse der Universitätsjubiläen in Göttingen, Leipzig, Münster und Rostock (1919-1969) (= Geschichtskultur und historisches Lernen; Bd. 13), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2014, 350 S., ISBN 978-3-643-12690-0, EUR 39,90
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Universitäten gehören neben den Kirchen zu den traditionsreichsten Institutionen in Europa. Obwohl sie einem rationalen Wissenschaftsideal anhängen, kommen auch sie anscheinend nicht ohne symbolische Akte der kollektiven Sinnstiftung aus. Im Gegenteil: Universitäten waren die eigentlichen Begründer jenes Phänomens, das sich inzwischen in Firmen, Massenmedien und Vereinen zu einer fast inflationären "Jubiläumspraxis" ausgeweitet hat. Schon im 16. und 17. Jahrhundert bemühten sich einzelne Universitäten um eine bewusste Traditionsbildung und die Etablierung einer speziellen Feier- und Festkultur anlässlich "runder" Geburtstage. [1] Nimmt man noch weitere wissenschaftsspezifische Jahrestage, nationale Festtage und inneruniversitäre Veranstaltungen hinzu, dann entpuppt sich das ach so rationale Gebilde 'Universität' im Grunde als wahres "Feierbiest".
Damit wäre die Relevanz der an der Westfälischen-Wilhelms-Universität Münster entstandenen Dissertation Markus Drüdings bereits angesprochen. Nicht, dass es zu Universitätsjubiläen bisher keine Veröffentlichungen gegeben hätte - ganz im Gegenteil. Jedoch ist der vergleichend-analytische Zugriff Drüdings durchaus originell. Er widmet sich in seiner Diskursanalyse verschiedenen Universitätsjubiläen des 20. Jahrhunderts in verschiedenen Städten während unterschiedlicher Epochen und beabsichtigt dadurch, zum Wesen akademischer Jubelfeiern durchzudringen. Die Feiern in Rostock (1919 und 1969), Münster (1930 und 1952), Göttingen (1937 und 1962) und Leipzig (1934 und 1959) bieten mehr als genug an Material in den einschlägigen Universitätsarchiven, so dass Drüding eine durchgehende Methodik einhalten konnte: Er schildert vor dem Hintergrund der jeweiligen institutionellen bzw. politischen Rahmenbedingungen die Vorbereitungen und die eigentliche Durchführung der Feierlichkeiten inklusive der Einladungspolitik sowie auch die Rezeption dieser in aller Regel als gesellschaftliche Großereignisse konzipierten Feste.
Es mag dabei nicht weiter überraschen, dass sich in den Festveranstaltungen das gesellschaftspolitische Selbstverständnis der Universitäten ausdrückt. Dies gilt zumindest für die Jubiläen in der Weimarer Republik und der jungen Bundesrepublik, während sich die Jubiläen zur Zeit des Nationalsozialismus und in der DDR durch einen stärkeren Zugriff der jeweils herrschenden Partei "auszeichneten". Insofern sind Drüdings Ergebnisse für die einzelnen Universitäten bzw. Zeiträume wenig überraschend, bestätigen hingegen in vielfacher Hinsicht den auch vom Autor souverän eingearbeiteten Forschungsstand: Distanz gegenüber der Weimarer Republik, Willfährigkeit im Nationalsozialismus, Geschichtsvergessenheit in der Bundesrepublik und politische Funktionalisierung in der DDR - das alles in nuanciert unterschiedlich ausgeprägter Intensität. Neu ist dabei die diachrone Betrachtung. Sie zeigt, welch vielfältige Funktionen den Feierlichkeiten beigemessen wurden: Neben der institutionellen Selbstvergewisserung war es das Bedürfnis, den jeweiligen gesellschaftspolitischen Anspruch der Universität nach innen zu festigen und nach außen zu verkünden. Jubiläen konnten wissenschaftliche Leistungsschauen mit panegyrischen Reden und ebensolchen Festschriften sowie zahllosen Tagungen sein. Jubiläen sollten aber auch gegenüber der Politik und der Kultusverwaltung den Wunsch nach räumlichem bzw. institutionellem Ausbau verdeutlichen. Schließlich eigneten sich die Jubelfeiern zur Einwerbung von Spendengeldern, vulgo Drittmitteln. Damit etablierten sich Jubiläen als universitäre Werbeveranstaltungen und als "zentrale Medien akademischer Geschichtskultur" (292), die die in der universitären Sphäre selbst geschaffenen oder von oben verordneten Geschichtsbilder reproduzierten.
Neben den zahlreichen Gemeinsamkeiten der einzelnen Jubiläen arbeitet Drüding auch Unterschiede heraus. Diese sind seiner Ansicht nach vor allem chronologisch begründet und auf die Rahmenbedingungen der jeweiligen politischen Systeme zurückzuführen. Das ist so plausibel wie unspektakulär. Vielleicht müsste man aber doch einmal die jeweiligen Profile der Universitäten, ihr Personal und ihre Studierenden genauer in den Blick nehmen. Dass die Universität im katholischen Münster eine - wenn auch nur in Nuancen - unterschiedliche Haltung gegenüber der Weimarer Regierung zeigte als beispielsweise Rostock, könnte auch mit konfessionellen bzw. soziostrukturellen Faktoren zusammenhängen. Hier wäre noch Analysepotential, das bestimmte Ausprägungen der universitären Feierkultur regionalspezifisch erklären würde. Ungeachtet dessen sind Drüdings Ergebnisse insgesamt schlüssig und gut belegt. Interessant wäre es darüber hinaus gewesen, auch diesseits der Epochengrenze "1968" die akademische Feierkultur vergleichend unter die Lupe zu nehmen. Denn es waren nicht zuletzt diese Art von selbstgefälligen Großveranstaltungen in den ersten beiden Dritteln des 20. Jahrhunderts, die eine stärker politisierte Studentenschaft schließlich dazu veranlasste, die gesellschaftspolitischen Funktionen der Institution Universität neu zu definieren. Hier fanden möglicherweise größere Änderungen in der akademischen Festkultur statt als in allen vorherigen Jahrhunderten zusammen - oder eben auch nicht.
Anmerkung:
[1] Wolfgang Flügel / Stefan Dornheim: Die Universität als Jubiläumsmultiplikator in der Frühen Neuzeit. Akademiker und die Verbreitung des historischen Jubiläums, in: JbUG 9 (2006), 51-70.
Rainer Pöppinghege