Jan Nicolaisen: Niederländische Malerei 1430-1800. Museum der bildenden Künste Leipzig. Unter Mitarbeit von Rüdiger Beck bei den gemäldetechnologischen Untersuchungen. Hrsg. von der Maximilian Speck von Sternburg Stiftung im Museum der Bildenden Künste Leipzig, Leipzig: E. A. Seemann Verlag 2013, 399 S., 406 Farb-, 28 s/w-Abb., ISBN 978-3-86502-287-5, EUR 39,90
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Der Bestandskatalog "Niederländische Malerei 1430-1800" des Leipziger Museums erschien 2012 parallel zu der Ausstellung "Die schönsten Holländer in Leipzig" (26.02.-17.06.2012). Dass eine Ausstellung von einem Katalog, und zwar einem Verzeichnis der Bestände, begleitet wird, ist inzwischen eine der Varianten, wie man das Augenmerk der Besucher auf die Sammlungen lenken kann. Die Aktualität und Relevanz dieses Projektes wird jedoch besonders in einem größeren Kontext deutlich. So hieß es auf einer von der Volkswagen-Stiftung geförderten Tagung "Perspektiven zur Forschung in Museen" im Juni 2014: "Die Zukunft des Museums könnte [...] darin liegen, verstärkt die eigenen Sammlungsbestände zu erforschen, um auf dieser Grundlage komplexe Erfahrungsräume zu schaffen, in denen gesellschaftliche Diskurse angestoßen und verhandelt werden." [1] Dieser Forderung kommt der Leipziger Sammlungskurator Jan Nicolaisen mit Unterstützung der Maximilian Speck von Sternburg Stiftung somit beispielhaft nach. Wenn zukunftsweisende sammlungspolitische Konzepte zu ihrer Realisierung nicht nur überzeugte Mitstreiter, sondern vor allem finanzielle Zuwendungen erhalten, kann sammlungsbezogene Forschung als Kernaufgabe eines Museums in diesem Umfang bewältigt und in einer derart opulenten Publikation präsentiert werden.
Die Forschungsleistung, ausgehend vom reinen Bestandsverzeichnis der Gemälde des Museums der Bildenden Künste Leipzig 1995 hin zum hier zu besprechenden detaillierten Teilbestandkatalog mit 389 Einträgen, ist beachtlich. Dahinter verbergen sich vier Jahre intensiver Recherche (2008 bis 2012), einschließlich umfassender Provenienzforschung sowie restauratorischer Untersuchung aller vorgestellten Werke.
Der einleitende Aufsatz von Jan Nicolaisen, "Spiegel der Welt - eine bürgerliche Sammlung niederländischer Malerei im Museum der bildenden Künste Leipzig" (10-19), umreißt in wenigen Worten die Geschichte und Bedeutung der niederländischen Malerei des Goldenen Zeitalters, um dann einen Überblick über die Leipziger Sammlungsgeschichte zu geben, die ihren Bestand vier verschiedenen bürgerlichen Sammlungen des späten 18. und vor allem des 19. Jahrhunderts verdankt. Der Restaurator Rüdiger Beck thematisiert anschließend "Technologische und restauratorische Untersuchungen an den niederländischen Gemälden" (20-27). Hierbei handelt es sich um die Erörterung der verdienstvollen systematischen Untersuchung des Sammlungsbestandes. Die Ergebnisse finden jedoch - abgesehen von der kurzen Zustandsbeschreibung im Katalogteil - leider kaum weitergehende Auswertung. Der Aufsatz erzeugt damit eine Erwartungshaltung, die im Folgenden nicht eingelöst werden kann. Es hätte sich angeboten, die interessanten Fälle wie etwa bei Bernard (Barend) van Orley in die jeweiligen Katalogeinträge zu integrieren anstatt diese exemplarisch und getrennt zu behandeln (Nr. 247 und Röntgenaufnahme Seite 22).
Der großzügige Katalogteil (30-353) enthält 389 halb- oder ganzseitige Einträge mit durchgehend farbigen Abbildungen der Werke in guter Qualität - ergänzt durch zwanzig ganzseitige Detailabbildungen, deren Sinnzusammenhang allerdings zuweilen unklar bleibt (Nr. 67, 170, 190). Der Aufbau der Katalogeinträge gliedert sich einheitlich und sehr übersichtlich in a) klassische Bildlegende, b) materieller Bestand, c) Erhaltungszustand, d) Provenienz, e) Ausstellungen, f) Literatur und g) Kommentar. Fragmente aus größeren Werkzusammenhängen, die in jeder Sammlung vorhanden sind, werden leider nicht als solche benannt oder zugeordnet, wie etwa im Fall einer Predellentafel von Rubens (Nr. 284). Die kurzen Kommentare behandeln zudem sehr unterschiedliche Aspekte und reichen von Datierungs- (Nr. 1, 98, 201) und Zuschreibungsfragen (Nr. 67, 142, 189, 190) über Provenienzen (Nr. 63, 206) bis hin zur Verortung des Werkes in einem Œuvre (Nr. 23, 228, 360). Allerdings kann in der vom Format vorgegebenen Kürze die Auseinandersetzung mit diesen Punkten jeweils nur angerissen werden, was mitunter problematisch wird. So sind beispielsweise zu diskutierende Neuzuschreibungen lediglich den Texten zu entnehmen (Nr. 137: Gerhard Hoet d.Ä.; Nr. 172: Jacques van de Kerckhove; Nr. 205: Jan van Mieris (Kopie); Nr. 273: Marten Rijckart), nicht aber auf den ersten Blick sichtbar der Bildlegende oder einer anhängenden, leider fehlenden Konkordanzliste. Das Format erzeugt zudem optische Merkwürdigkeiten in der Aufteilung und Platznutzung (Nr. 156, 209, 284). Die irritierenden leeren Flächen bei einzelnen Katalogeinträgen hätten durch die Vergrößerung der vorhandenen Abbildungen oder das Einfügen einer der im Text erwähnten Vergleiche in Abbildungen bespielt werden können. Hier wäre eine größere Sensibilität seitens der Gestaltung erstrebenswert gewesen, um der im Übrigen großzügigen Ausstattung der Publikation besser gerecht zu werden.
Den Bestandskatalog beschließen Künstlerbiografien (354-379), eine Auflistung verlorener Gemälde (382-385), ein Glossar (386-387) und ein Literaturverzeichnis (388-397). Während die umfangreiche Bibliografie keiner Erläuterung bedarf und auch die verlorenen Gemälde gebührend präsentiert werden, stellt sich bei den Künstlerbiografien und insbesondere dem Glossar die Frage nach deren Mehrwert für den Leser. Das Glossar enthält neben einigen wenigen allgemeinen kunsthistorischen Termini fast ausschließlich restauratorische und kunsttechnologische Begriffe, wodurch eine nicht einleuchtende Doppelung mit dem einleitenden Aufsatz desselben Inhalts entsteht - ein Umstand, der nicht notwendig gewesen wäre und in dieser Form die verdienstvolle Arbeit eher schmälert denn honoriert. Den kurzen Künstlerbiografien sind teils die Signaturen der Künstler voran gestellt, was optisch ansprechend ist, aber keine weiteren Rückschlüsse auf Bedeutung, Auswahl oder Herkunft derselben erlaubt.
Bei einer kritischen Betrachtung stellt sich bei den angesprochenen Punkten wie auch andernorts die Frage nach der Zielgruppe der vorliegenden Publikation. Als Schlüssel zum Verständnis wurde einleitend formuliert: "Ein wissenschaftlicher Bestandskatalog dient neben der Erforschung auch der Vermittlung einer Museumssammlung. Er soll den Betrachter nicht nur informieren, sondern auch zum eigenen Anschauen und Entdecken einladen." (18) Die Publikation will folglich sowohl dem interessierten Laien als auch dem Wissenschaftler gerecht werden - ein ambitionierter Versuch, der an manchen Stellen zwangsläufig Diskrepanzen erzeugt. Dies verringert jedoch nicht die Leistung, die hinter dem reichhaltigen Bestandskatalog der niederländischen Malerei steckt. Jan Nicolaisen versucht stets, bei offenen Fragen Stellung zu beziehen und Angaben zu präzisieren, um dadurch den Bestand zu klären und zu aktualisieren. Die Hoffnung auf eine stärkere Wahrnehmung der Sammlung, verbunden mit der Einladung, den "Reichtum der Leipziger Sammlung zu entdecken" (18), kann abschließend nur unterstrichen werden.
Anmerkung:
[1] Katharina Hoins / Felicitas von Mallinckrodt: Tagungsbericht zu "Die Zukunft der Forschung in Museen (Hannover, 11.-12.06.2014)", in: H-ArtHist, 25.06.2014, http://arthist.net/reviews/8074.
Stefanie Rehm / Martina Sitt