John Nicols: Civic Patronage in the Roman Empire (= Mnemosyne. Supplements - History and Archeology of Classical Antiquity; Vol. 365), Leiden / Boston: Brill 2014, XVIII + 344 S., ISBN 978-90-04-21466-8, EUR 125,00
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Patronage prägte die soziale Organisation in fast allen vormodernen Gesellschaften wie auch in vielen modernen Staaten. Als asymmetrische, aber reziproke Beziehung zwischen einer einflussreichen Person und sozial abhängigen oder unterlegenen Individuen und Gemeinschaften vermittelt sie den Klienten Ressourcen und gesellschaftliche Chancen, während der Patron Gefolgschaft und Ansehen erwirbt. In kaum einer Gesellschaft aber war diese soziale Institution so formalisiert und zum Teil auch rechtlich definiert wie im antiken Rom, weshalb die einschlägige Terminologie aus dem Lateinischen stammt.
John Nicols hat sein Forscherleben der civic patronage in Rom gewidmet - das zu besprechende Werk kann daher als Summe seiner wissenschaftlichen Arbeit gelten. Er befasst sich darin weder mit den Patronatsbeziehungen zwischen Individuen (clientela) [1] noch mit dem Patronat über Vereine (collegia), sondern mit dem Gemeindepatronat (patrocinium publicum), in dessen Rahmen sich Senatoren - in der Kaiserzeit auch Ritter und Dekurionen - für die Interessen der unterworfenen und in das Reich integrierten Städte und Völker einsetzten. Zeitlich schließt Nicols an die Pionierarbeit von Ernest Badian an [2] und endet im 3. Jahrhundert - die Spätantike ist bereits von Jens Uwe Krause behandelt worden. [3] Er konzentriert sich auf die lateinischsprachigen Provinzen des Reichs, da vor kurzem Claude Eilers den Gemeindepatronat in den griechischsprachigen Provinzen untersucht hatte. [4] Das Werk bietet somit die erste Synthese zum Thema seit knapp 60 Jahren. [5]
Nach einer Einleitung (I), in der das Phänomen der Patronage im Lichte neuerer sozialwissenschaftlicher Ansätze beleuchtet wird, folgen drei Kapitel in historischer Perspektive zum Gemeindepatronat in der späten Republik (II), unter Augustus (III) und im Prinzipat (IV). Es schließen sich zwei systematische Kapitel zum patrocinium publicum in den Rechtsquellen (VI) und in den Inschriften (VII) an, die von einer Quellenstudie zu Ciceros Reden gegen Verres (V) und einer Fallstudie zur Patronatstafel der apulischen Stadt Canusium (VIII) eingerahmt sind. Eine knappe Zusammenfassung (IX), eine Bibliographie sowie ein Sach- und ein Personenindex beschließen das Werk.
In der Einleitung erörtert Nicols zwei grundsätzliche Probleme, die eine befriedigende Behandlung seines Themas erschweren: erstens die Quellenlage, die zwar das Bestehen eines patrocinium publicum dokumentiert, zumeist aber über die konkrete Ausgestaltung des Patronatsverhältnisses schweigt, und zweitens die Unschärfe des mit dem Begriff civic patronage bezeichneten Phänomens.
Die wichtigsten Quellen zum Thema bieten dem Historiker nur wenige Informationen: Die Rechtsquellen thematisieren die Zulässigkeit und das Verfahren der Kooptation von Patronen durch die Gemeinde; die Ehreninschriften nennen zumeist nur die Tatsache, dass der Geehrte Patron der Gemeinde ist, ohne dessen Leistungen oder die Motive der Beteiligten zu erwähnen; die theoretischen Traktate und Briefe von Senatoren wie Cicero, Seneca und Plinius erörtern zwar allgemein Patronage als Austausch von beneficia und officia, nicht aber speziell das patrocinium publicum. Damit hängt ein grundlegender Befund Nicols zusammen: Die allermeisten Wohltäter von Gemeinden sind nie formell deren Patrone geworden.
Mit dem Konzept civic patronage lassen sich verschiedene Patronatsverhältnisse in Rom fassen, weshalb Nicol betont, dass es nicht mit patrocinium publicum identisch sei (17; 313). Er grenzt dieses von der Institution des hospitium publicum ebenso ab wie von der amicitia ausländischer Fürsten und Gemeinden mit Rom und von der Praxis des Euergetismus (Paul Veyne). Im Mittelpunkt seiner Untersuchung steht damit das patrocinium publicum, das dadurch gekennzeichnet ist, dass eine Gemeinde ihren Wohltäter formell als patronus civitatis kooptierte, womit der Geehrte häufig eine eherne tabula patronatus oder tesserae erhielt sowie in das munizipale album patronatus und in den ordo decurionum aufgenommen wurde, eine Ehrung, die sich auch auf seine Nachkommen erstreckte. Die Gemeinden selbst hatten in der Regel mehrere Patrone, so wie diese mehrere Gemeinden zu ihren Klienten zählten. Anders als die clientela war der Gemeindepatronat kein rechtserhebliches Verhältnis: Wenn der Patron oder die Gemeinde ihren moralischen Verpflichtungen nicht mehr nachkam, endete das Patronatsverhältnis.
Nicols verfolgt keine durchgehende Fragestellung, sondern nennt ein ganzes Bündel von Fragen, die mit der Institution und Geschichte des Gemeindepatronats zusammenhängen (18f.). Doch wird im Verlauf seiner Arbeit deutlich, dass es ihm vor allem um die historische Entwicklung dieses Patronatsverhältnisses geht - er tritt dabei wiederholt der Meinung entgegen, das patrocinium publicum habe in der Kaiserzeit an Bedeutung verloren - sowie um die Frage, ob der Gemeindepatronat zur Romanisierung der Provinzen beigetragen habe.
In Kapitel 2 befasst sich Nicols mit dem Patronat römischer Imperatoren, vor allem des Pompeius und Caesars, über Gemeinden oder Personenverbände und unterscheidet dabei drei Typen: den Patronat eines Feldherrn über unterworfene Völker und Gemeinden nach einer deditio, den Patronat über Gemeinden, die ihren Rechts- oder Bürgerstatus einem Imperator verdankten, und die amicitia eines Feldherrn zum Führer eines Personenverbandes oder zu führenden Notabeln in städtischen Gemeinden. In der Bürgerkriegszeit des 1. Jahrhunderts v. Chr. liegen die Interessen der Patrone und ihrer Klienten auf der Hand: Diese waren vor allem auf militärischen Schutz, jene auf Heeresgefolgschaft angewiesen. Nicols erörtert auch die Fragilität der Patronatsverhältnisse in einer Zeit, in der sich das Kriegsglück häufig wendete, die Klienten daher rechtzeitig die Seiten wechseln mussten und die miteinander rivalisierenden Patrone oft keine Hilfe mehr leisten konnten.
Mit der Etablierung der Monarchie im Zeichen der pax Romana unter Augustus veränderte sich auch das patrocinium publicum. In Kapitel 3 diskutiert Nicols die Monopolisierung von patrocinia durch Augustus, der nun die Spitze des römischen Patronagenetzwerks darstellte. Ihm gegenüber waren die Senatoren nur noch Patrone zweiter Ordnung, power broker. Augustus sorgte auch durch das Verbot senatorischer Standesrepräsentation im öffentlichen Raum Roms und durch das Ehrungsverbot senatorischer Amtsträger dafür, dass die traditionelle Elite mit ihm nicht mehr um Einfluss konkurrieren konnte. Der Charakter des patrocinium publicum wandelte sich grundlegend: Militärische Leistungen spielten keine Rolle mehr, während von den Patronen, zu denen nun auch Ritter und Dekurionen gehörten, in den Provinzen vor allem administrative Vermittlungstätigkeiten, in den Städten Italiens materielle Zuwendungen für die städtische Infrastruktur erwartet wurden. Mit Blick auf den Romanisierungsprozess unterscheidet Nicols zwei Phasen der Patronagetätigkeit: Senatorische Patrone waren vor allem nützlich, wenn es um die Verleihung latinischer oder römischer Stadtrechte und den Bürgerstatus ging, während Ritter und Dekurionen sich stärker um die urbane Entwicklung ihrer Gemeinden kümmerten (108f.; 117).
Civic patronage in der Prinzipatszeit behandelt Nicols im 4. Kapitel vor allem anhand der Briefe Plinius des Jüngeren und Frontos. Hier wird das in den Quellen erkennbare Missverhältnis zwischen den tatsächlichen Leistungen von Senatoren für städtische Gemeinden und deren formeller Adoption als patroni civitatis besonders deutlich: Die zahlreichen beneficia des Plinius für verschiedene Gemeinden - materielle Zuwendungen und Anwaltstätigkeit (patronus causae), zum Teil für eine ganze Provinz - fanden keinen Ausdruck in einem patrocinium publicum. Nicols macht dafür nicht die Überlieferung verantwortlich, sondern vermutet eine Option für informelle Patronage, die den Patron weniger in die Pflicht genommen habe als ein formelles patrocinium.
In Kapitel 5 untersucht Nicols das patrocinium publicum und das hospitium publicum römischer Amtsträger und Senatoren in der Provinz Sicilia in den 70er Jahren des 1. Jahrhunderts v. Chr. auf der Grundlage von Ciceros Reden gegen den Statthalter Verres. Im Mittelpunkt steht dabei Ciceros eigene Tätigkeit als Anwalt im Repetundenprozess gegen Verres, wobei Nicols die Frage diskutiert, ob Cicero als patronus provinciae agiert habe oder als Patron einzelner Gemeinden - er verneint die Existenz eines provinzialen Patronats schon zu dieser Zeit (173f.). Trotz seiner zahlreichen Dienste für sizilische Städte scheint Cicero nicht formell Patron einer Gemeinde geworden zu sein, wohl aber unterhielt er hospitia publica und privata mit einzelnen Gemeinden oder deren principes. Die sizilischen Städte und ihre Euergeten verhielten sich in griechischer Tradition wie die Gemeinden in den östlichen Provinzen: Sie ehrten ihre Wohltäter als euergétēs, sōtḗr, ktístēs oder próxenos (71; 179).
Der rechtlichen Regulierung des patrocinium publicum ist das 6. Kapitel gewidmet. Nicols befasst sich hier sowohl mit dem gesetzlichen Verbot, römische Amtsträger während ihrer Dienstzeit zu ehren, als auch mit denjenigen Kapitel in den julischen und flavischen Stadtrechten, die die Kooptation von Patronen regelten. Zwar untersagten schon zwei Gesetze aus den Jahren 70 und 59 v. Chr., Statthalter während ihrer Amtstätigkeit zu ehren, doch erst Augustus gelang es im Jahr 11 n. Chr., dieses Verbot für die peregrinen Gemeinden in den Provinzen stärker durchzusetzen. Nicols diskutiert auch die nicht wenigen Gegenbeispiele, die sich in den Quellen vor allem aus den griechischen Provinzen finden. Aus ihnen geht deutlich hervor, dass - anders als er meint - durchaus amtierende Statthalter als Patrone und Euergeten von Gemeinden und Provinzen geehrt wurden - vor allem im 2. und 3. Jahrhundert. [6] Die Städte römischer Rechtsform waren nicht vom Verbot des Augustus betroffen; anhand ihrer Stadtrechte zeigt Nicols das Verfahren auf, mit dem Senatoren, Ritter und Dekurionen als Patrone in das album patronatus aufgenommen wurden und - sofern sie nicht Bürger dieser Gemeinde waren - Mitglieder des örtlichen ordo decurionum wurden.
Im 7. Kapitel werden die vielen kaiserzeitlichen Ehren- und Grabinschriften behandelt, in denen ein Honorand als Patron einer Gemeinde bezeichnet wird. Diese etwa 900 Inschriften, die allerdings je nach Region nur 0,5-1,5 % des Gesamtbestandes ausmachen, wertet Nicols quantitativ aus, wobei das Verhältnis der Patrone senatorischen, ritterlichen und kurialen Standes zueinander ebenso deutlich wird wie die regionalen Unterschiede in der Ehrungspraxis (keine Inschriften aus Britannien, wenige aus den germanischen Provinzen, viele aus Africa, Spanien und Italien). Während in den italischen Städten der Kaiserzeit in der Regel Ritter und Dekurionen deutlich überwiegen, sind dies Senatoren in den provinzialen Städten. Die regionalen Unterschiede können auf den epigraphic habit zurückgeführt werden, der seinerseits die sozioökonomischen Bedingungen reflektiert: So sind aus Britannien und den germanischen Provinzen keine Senatoren und nur wenige Ritter bezeugt; auch war dort die Urbanisierungsdichte wesentlich geringer als in Africa oder Italien.
In diesem Kapitel erörtert Nicols auch die Frage nach den Motiven, die Angehörige der lokalen oder Reichsaristokratie bewogen haben, beneficia zu leisten, und den Erwartungen, die die Gemeinden mit der Kooptation von Patronen verbanden (258ff.). Er vertritt die Ansicht, dass die Gemeinden von ihren Patronen ein dauerhaftes, zukünftiges Engagement erwarteten und die Kooptation zum Patron nicht als Dank für ein besondere Wohltat zu betrachten sei - im Unterschied zu den griechischen Euergetenehrungen, die die Verdienste um das Gemeinwesen und den Anlass für die Ehrung nennen (22; 261f.). In der Praxis lässt sich freilich kein Unterschied feststellen: Wie die Euergeten in den griechischen Provinzen, stifteten, restaurierten oder verschönerten die römischen Patrone städtische Bauwerke, kümmerten sich um die Wasser- und Getreideversorgung (annona) sowie die städtischen Finanzen (curatores), übernahmen Gesandtschaften und fungierten als Rechtsbeistände. Auch die Interessen der Patrone waren dieselben: Ehre und Ansehen zu erlangen und als Großgrundbesitzer ökonomische Vorteile zu erlangen.
In einer Fallstudie schließlich interpretiert Nicols im 9. Kapitel das einzige vollständig erhaltene album decurionum einer Gemeinde (album Canusinum), an dessen Spitze die 39 Patrone der Stadt Canusium aufgelistet sind. Ausführlich wird die Rangfolge der 31 Senatoren und 8 Ritter diskutiert sowie die anscheinende Anomalie, dass unter den ersten Senatoren auch 5 ranghohe ritterständische Präfekten aufgeführt werden.
Insgesamt betrachtet bietet das Werk von Nicols eine minutiöse Interpretation aller einschlägigen Quellen aus dem lateinischsprachigen Westen zum Thema, wobei die Probleme der Patronatsterminologie ebenso reflektiert werden wie die Reichweite der einzelnen Quellen. Deutlich wird dabei, wie wenig Konkretes sich über die Ausgestaltung des patrocinium publicum herausfinden lässt, weshalb Nicols bei vielen Fragen in Auseinandersetzung mit den Forschungsmeinungen nur zu plausiblen Hypothesen gelangen kann. Deutlich wird zudem, dass das formelle patrocinium publicum nur einen kleinen Bereich des griechisch-römischen Euergetismus, der civic patronage, ausmachte. Dieses begrifflich klar konturiert und quellennah dokumentiert zu haben, ist das Verdienst dieser Arbeit.
Anmerkungen:
[1] Dazu Richard P. Saller, Personal Patronage under the Early Empire, Cambridge 1982.
[2] Ernest Badian, Foreign Clientelae, 264-70 B. C., Oxford 1958.
[3] Jens Uwe Krause, Spätantike Patronatsformen im Westen des Römischen Reiches, München 1987.
[4] Claude Eilers, Roman Patrons of Greek Cities, Oxford 2002; für die Republik Filippo Canali de Rossi, Il ruolo dei patroni nelle relazioni politiche fra il mondo greco e Roma in età reppublicana ed augustea, München 2001.
[5] Die letzten Darstellungen stammen von Louis Harmand, Le patronat sur les collectivités publiques des origines au bas-empire, Paris 1957 und Franz Engesser, Der Stadtpatronat in Italien und den Westprovinzen des römischen Reiches bis Diokletian, Diss. Freiburg 1957.
[6] Vgl. Eckhard Meyer-Zwiffelhoffer, Politikôs árchein. Zum Regierungsstil der senatorischen Statthalter in den kaiserzeitlichen griechischen Provinzen, Stuttgart 2002, 210-221 und App. IV.
Eckhard Meyer-Zwiffelhoffer