Mark Beck (ed.): A Companion to Plutarch (= Blackwell Companions to the Ancient World), Hoboken, NJ: Wiley-Blackwell 2014, XVIII + 625 S., ISBN 978-1-4051-9431-0, GBP 120,00
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In den vergangenen Jahren sind in rascher Folge Sammelbände (Companions) von unterschiedlicher Bedeutung zum Stand der aktuellen Forschung zu antiken Autoren oder Themengebieten der Altertumswissenschaften erschienen. Dem zu besprechenden Band über Plutarch darf man eine breite Leserschaft aus den Altertumswissenschaften, aber auch der Philosophie, Theologie und wegen der Rezeptionsgeschichte auch der Neuphilologien wünschen. Nach einer kurzen Einleitung des Herausgebers Beck (1-9) bietet der Band 42 Einzelstudien (vgl. http://eu.wiley.com/WileyCDA/WileyTitle/productCd-1405194316.html).
Plutarch gehört zu den vielseitigsten, durch seine Vita und seine Schriften interessantesten antiken Autoren des 1.-2. Jahrhunderts n.Chr. Sein vergleichsweise umfangreiches erhaltenes Werk teilt man ein in 78 philosophische, theologische und in einem praktischen Sinne lebenskundliche Traktate mit enormer thematischer Spannweite (Moralia) und die biografischen Projekte (die Reihenbiografien von Kaisern, Einzelbiografien und in ihrer Wirkungsgeschichte am wichtigsten die Bioi paralleloi, vergleichende Biografienpaare eines berühmten Griechen und eines Römers). Forschungen zu Plutarch haben in den beiden letzten Jahrzehnten einen großen Aufschwung genommen, der insbesondere durch große Kongresse der International Plutarch Society (http://www.usu.edu/ploutarchos/) mit ihren nationalen Untergruppen und ihr Journal befördert wurde, aber meines Erachtens auch durch eine Neubewertung der kaiserzeitlichen Literatur dieser Epoche und die thematische Breite der Werke Plutarchs begründet ist. Der vorliegende Band spiegelt unterschiedliche jüngere Forschungsrichtungen gut wider. Die Vielzahl von 42 Einzelstudien (auf 610 Seiten) erlaubt es in dieser Besprechung nicht, auf jeden Beitrag angemessen einzugehen. Ich möchte daher zu den vier großen Teilen des Buches zusammenfassende Bemerkungen machen.
I. Plutarch in Context (11-57): Drei Studien (Stadter, Schmitz und Trapp) stellen Plutarch in den kulturellen und politisch-sozialen Kontext der Tradition der griechischen paideia. Sie würdigen die für sein Leben besonders prägenden Orte Chaironeia, Delphi, Athen und Rom und erörtern seine Zugehörigkeit zur Honoratiorenschicht der provinzialrömischen Elite Griechenlands mit engen freundschaftlichen Kontakten zu hochrangigen Römern. Hier liegen Vergleiche Plutarchs mit Dion von Prusa oder Ailios Aristeides nahe, obwohl diese sich selbst primär als Redner verstanden, während Plutarch als Philosoph zu den prominentesten Vertretern der Zweiten Sophistik und ihrem typischen Auftreten als Schauredner eine gewisse Distanz betonte. Die für heutige Verhältnisse ungewöhnlich bedeutende soziale Rolle der Philosophie und der Philosophen (zusammen mit den Rhetoren) als Vertreter der höheren griechisch-römischen Bildung wird zu Recht betont.
II. Plutarch's Moralia (59-248): Die Teile II und III sind nach der Anzahl der Studien eindeutig die Hauptteile des Companion. Teile I und IV hätten meines Erachtens mehr Raum verdient (s.u.). Die 13 Beiträge über Moralia-Traktate stellen Plutarch zunächst als einen erfreulich undogmatischen Anhänger der mittelplatonischen Schulrichtung vor (Dillon), der aber auch über die Hauptlehren und Schriften aller anderen relevanten philosophischen Schulen sehr gründlich Bescheid wusste. Er kritisiert einige ihrer Lehren, die er ablehnt, auf erstaunlich hohem Niveau. Der Einfluss der peripatetischen Schule seit Theophrast auf den Philosophen aus Chaironeia wird deutlich nachgewiesen (Becchi), die Auseinandersetzung mit den Stoikern, den Epikureern, den radikalen Skeptikern (um Pyrrhon) oder den Pythagoreern entbehrt meist der polemischen Schärfe, die manche anderen antiken Philosophen in ihren Kontroversen zeigen (Opsomer, Kechagia-Ovseiko, Bonazzi). Einige von Plutarchs Traktaten bieten ein Äquivalent zu modernen populärwissenschaftlichen 'self-help' und 'mental-health' Büchern. Sie offerieren praktisch umsetzbare Lebenshilfen für ein 'gutes Leben' (Van Hoof). Fast alle Traktate lassen die fundamentale Bedeutung religiösen Denkens für Plutarch erkennen (Hirsch-Luipold). Plutarchs politische Philosophie und Ratschläge für angehende Politiker tragen den Bedingungen des zeitgenössischen Kaiserreichs realistisch Rechnung (Pelling). Andere Traktate, die sich der Liebe und dem Eheleben, der Erziehung oder generell dem Verhalten eines gebildeten Mannes gegenüber Frauen, Kindern, Sklaven oder Tieren befassen, lassen bemerkenswerte Auffassungen erkennen, die im Vergleich zu anderen antiken Autoren auch für heutige Leser Plutarchs Zeit weit voraus erscheinen (Tsouvala, Newmyer). Inwiefern man Plutarch auch als einen antiken antiquarischen Gelehrten bezeichnen könnte, ist eine für die antike Traktatliteratur, Historiografie oder Biografie gleichermaßen relevante Frage (Payen). Bekanntlich bereitet die präzise Bestimmung antiker antiquarischer Werke weiterhin erhebliche Probleme.
III. Plutarch's Biographical Projects (249-528): Die Studien 17-35 können aus Sicht des Rezensenten als Althistoriker besonders empfohlen werden. Hier werden nur selten einzelne Viten analysiert (de Blois, Almagor), vielmehr in fast allen Beiträgen wichtige Kompositionstechniken des biografischen Schrifttums Plutarchs erörtert (u.a. Geiger, Van der Stockt). Typische Strukturelemente der Parallelbiografien wie Prooimien und die abschließenden Vergleiche (Synkriseis) werden analysiert (Duff, Larmour). Andere Beiträge behandeln typische Themenkomplexe antiker Biografie wie Kindheit, Erziehung und Jugend oder andererseits die Todesumstände und das Nachleben der Helden (Soares, Cooper). Die Leser werden mit der differenzierten plutarchischen Konzeption des idealen Helden seiner Bioi vertraut gemacht, mit gefährlichen und ambivalenten (philotimia, philodoxia) oder grundlegend positiven Werten und Verhaltensweisen (philanthropia, euergesia, würdevolles Verhalten, Kontrolle in sexuellen Dingen) (Mossman, Frazier, Beneker, Roskam). Nicht zuletzt wird das unberechenbare Wirken der tyche in vielen Biografien thematisiert, ein Begriff, der bei Plutarch zwischen reinem Zufall, Glück oder Schicksal schwankt (Titchener). Wer an einzelnen Plutarchbiografien interessiert ist, findet im Index (611-625) eine gute Hilfe zu relevanten Stellen in den Studien.
IV. The Reception of Plutarch (529-610) bietet 7 Beiträge zur enorm einflussreichen und in der neuzeitlichen Epoche alle europäischen Länder und die USA erfassenden Rezeption des Plutarch. Bestimmten doch seine biografischen Werke bis zum Siegeszug der kritischen Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts erheblich die Vorstellung breiter Leserkreise und auch der Gelehrten von griechisch-römischer Geschichte und ihren Protagonisten. Auch die Moralia haben einen beachtlichen, oft unterschätzten Einfluss gehabt. Der Teil zum 'Nachleben' des Plutarch in der Neuzeit hätte daher mehr Raum erfordert. Es bleibt zum Beispiel unklar, warum in mehreren Beiträgen die Rezeption in England, Frankreich, Spanien und den USA untersucht wird (Pade, Guerrier, Frazier, Pérez Jiménez, Mossman, Richard), aber ein spezieller Beitrag zu den deutschsprachigen Ländern fehlt. Dagegen scheint es mir angemessen, dass ein Beitrag zum Einfluss Plutarchs auf Shakespeares Dramen aufgenommen wurde (Braden).
Abschließend kann dieser Companion zu Plutarch nicht nur Fachwissenschaftlern nachdrücklich empfohlen werden, sondern auch anderen Lesern, die an antiker Philosophie, Religion, Kulturgeschichte oder der Frühgeschichte der Biografie interessiert sind.
Johannes Engels