Christer Bruun / Jonathan Edmondson (eds.): The Oxford Handbook of Roman Epigraphy, Oxford: Oxford University Press 2015, XXXIV + 888 S., ISBN 978-0-19-533646-7, GBP 115,00
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Der Titel des neuen Oxford Handbook of Roman Epigraphy weckt Hoffnungen, dass hier die gängige Trennung in griechische und lateinische Epigraphik zugunsten einer Betrachtung des gesamten römischen Bereichs - jenseits der in den Inschriften gebrauchten Sprache - aufgegeben wurde. [1] Die Herausgeber begründen diesen Schritt im Vorwort jedoch nicht mit dem Ziel, eine umfassende Betrachtung des Mittelmeerraumes unter römischer Herrschaft zu bieten, sondern vielmehr mit dem Zuschnitt des Handbuches auf ein Publikum, das nicht in der Epigraphik zu Hause ist, sondern sich mit der römischen Welt beschäftigt und auf diese Weise mit Inschriften in Berührung kommt. Der Titel "Roman Epigraphy" soll daher weniger eine Überwindung der Dichotomie von lateinischer und griechischer Epigraphik bedeuten; vielmehr erhoffen sich die Herausgeber von dieser Bezeichnung, "that this volume can serve Roman studies in general" (p. IX). Nicht zuletzt soll das Handbuch Einsatz im - anglophonen - akademischen Unterricht finden, eine Zielrichtung, die auch einige Beiträge zeigen, wenn etwa festgestellt wird "that a cursus honorum inscription is close to a North-American C.V." (215). Der hohe Preis wird allerdings verhindern, dass sich Studenten oder Dozenten das Handbuch in größerer Zahl anschaffen werden.
Der gewichtige Band von fast 900 Seiten Umfang gliedert sich in 35 englischsprachige Beiträge, die in drei großen Kapiteln organisiert sind. Während der erste Teil ("Roman Epigraphy: Epigraphic Methods and History of the Discipline", 3-85) fünf Aufsätze zu grundlegenden Aspekten der Epigraphik umfaßt, widmen sich das zweite ("Inscriptions of the Roman World", 87-148) und das dritte Kapitel ("The Value of Inscriptions for Reconstructing the Roman World", 149-782) spezielleren Themen.
Die zahlreichen Informationen, die Inschriften für die römische Geschichte bieten, finden sich vor allem im umfangreichen dritten Teil, der wiederum in vier Unterkapiteln organisiert ist, die sich dem öffentlichen politischen Leben (153-393), religiösen Themen (397-468), der Wirtschafts- und Sozialgeschichte (471-695) sowie dem "Roman Cultural Life" (699-782) widmen. Während sich kulturwissenschaftlich relevante Themen wie Begräbnisrituale (Laura Chioffi, 627-648) oder Kommunikation und Mobilität (Anne Kolb, 649-670) bzw. ihre jeweilige Spiegelung in Inschriften bereits im Abschnitt zur Sozialgeschichte finden, versammelt das letzte Kapitel unter der Rubrik "Roman Cultural Life" vier Beiträge zu vorwiegend literarischen Themen, z. B. "Inscriptions and Literacy" von John Bodel (745-763) oder Manfred G. Schmidts Überblick über die Carmina Latina Epigraphica (764-782). Abgeschlossen wird das Handbuch von sieben nützlichen Appendices, die das Leidener Klammersystem (App. 1), gängige lateinische Abkürzungen (App. 2), römische und griechische Verwandtschaftsbezeichnungen (App. 4), die römischen tribus (App. 5), römische Zahlen (App. 6) sowie eine Liste von Datenbanken und epigraphischer Online-Publikationen (App. 7) verzeichnen. Besondere Erwähnung verdient auch die kurze Einführung in die römische Onomastik durch den Mitherausgeber Christer Bruun (App. 3).
Die Beiträge sind durchweg von hoher Qualität; dies gilt ebenfalls für die zahlreichen Abbildungen. Zudem wurde der Band sorgfältig lektoriert; die für ein Buch dieses Umfangs wenigen orthographischen Fehler finden sich ausschließlich in fremdsprachigen Zitaten oder Literaturangaben. Erschlossen wird das Handbuch durch einen Quellenindex sowie ein allgemeines Verzeichnis, das wiederum in Namen antiker Personen, Ortsnamen und einen Sachindex (in dem auch moderne Personen verzeichnet sind) aufgeteilt ist. In Stichproben erwiesen sich die Indices als zuverlässig.
Die Beiträge widmen sich jeweils einem Thema der römischen Geschichte - mit deutlichem Schwerpunkt auf der Kaiserzeit - und zielen vor allem darauf, Nutzen und Mehrwert der inschriftlichen Überlieferung aufzuzeigen. Auf diese Weise werden weite Gebiete der römischen Geschichte behandelt, die allesamt stark von hinzugezogenen epigraphischen Quellen profitieren. [2] Dieses Anliegen erfüllt der Band, der ausdrücklich auch für die universitäre Lehre bestimmt ist, in hohem Maße. Aus diesem Grunde ist auch die Entscheidung zu begrüßen, jedem Beitrag eine eigene Bibliographie beizugeben, um etablierte wie aktuelle Forschungsliteratur zum jeweiligen Thema sofort gebündelt zur Hand zu haben.
Obwohl das Handbuch zahlreiche politische, kulturelle und literarische Themen bedient, wird, anders als der Titel es verspricht, keineswegs das gesamte Imperium Romanum behandelt. Insbesondere der griechische Osten, von der römischen Eroberung bis zur Spätantike, kommt viel zu kurz. [3] Dies fällt um so stärker ins Gewicht, als der Beitrag Christof Schulers zu lokalen Eliten im griechischen Osten (250-273) eindrucksvoll zeigt, wie komplex sich das Ineinandergreifen griechischer und römischer Traditionen darstellte. Zwar wird auch in anderen Beiträgen vereinzelt auf griechische Inschriften zurückgegriffen, weitere, sich dezidiert dem griechischen Osten in römischer Zeit widmende Studien werden aber schmerzlich vermisst, so etwa zu griechisch-lateinischen Bilinguen [4], zur Akkulturation oder zur lateinischen Epigraphik im Nahen Osten. [5] Gleiches gilt für die Epigraphik der Spätantike. Auch hier zeigen die beiden gelungenen Kapitel von Benet Salway (364-393) und Danilo Mazzoleni (445-468), wie spannend und komplex diese Themen sind und welch ausführliche Behandlung sie verdient gehabt hätten.
Durch die starke Konzentration auf die lateinische Epigraphik der Kaiserzeit wurde eine Chance vertan, tatsächlich ein Handbuch der römischen Epigraphik vorzulegen, das die inschriftliche Produktion der gesamten römischen Welt jenseits von sprachlichen oder zeitlichen Grenzen darstellt. Der vorliegende Band hingegen ist ein sehr fundiertes und - vor allem für die Kaiserzeit - breit aufgestelltes Handbuch der lateinischen Epigraphik. Die Beiträge behandeln nicht nur souverän ihre jeweiligen Themen, sondern machen darüber hinaus durchweg deutlich, welchen Nutzen die Beschäftigung mit inschriftlichem Material für die römische Geschichte bieten kann - nicht zuletzt im akademischen Unterricht.
Anmerkungen:
[1] So bereits formuliert von Werner Eck: Lateinische Epigraphik, in: Fritz Graf (Hg.): Einleitung in die lateinische Philologie, Stuttgart / Leipzig 1997, 92-111, hier 92-93: "Will man also mit Hilfe der Inschriften bestimmte sachliche Phänomene der römischen Herrschaft wie Administration, Heerwesen oder den Herrscherkult erfassen oder die Geschichte einer bestimmten Region erschließen, dann müssen die rein sprachlich bedingten Grenzen der lat. Epigraphik überschritten und vor allem das griechische (manchmal auch das hebräische, nabatäische oder punische) Inschriftenmaterial miteingeschlossen werden. Somit bietet sich unter diesem Gesichtspunkt eher der Begriff 'Römische Epigraphik' an, da die Beschränkung auf die lat. Texte eine sachfremde Eingrenzung mit sich bringen würde."
[2] Daher unterscheidet sich der Band hinsichtlich Anlage und Ziel deutlich von Publikationen wie Alison E. Cooley: The Cambridge Manual of Latin Epigraphy, Cambridge 2012.
[3] Zumindest weist Christer Bruun in seiner Übersicht der wichtigsten epigraphischen Corpora auch auf die Publikationen griechischer Inschriften hin (75-76).
[4] Vgl. zuletzt etwa J. N. Adams: Bilingualism at Delos, in: J. N. Adams / Mark Janse / Simon Swain (eds.): Bilingualism in Ancient Society. Language Contact and the Written Word, Oxford 2002, 103-127 und die Beiträge in Frédérique Biville / Jean-Claude Decourt / Georges Rougemont (éds.): Bilinguisme gréco-latin et épigraphie. Actes du colloque organisé à l'Université Lumière-Lyon 2 les 17, 18 et 19 mai 2004, Lyon 2008.
[5] Vgl. Fergus Millar: Latin Epigraphy of the Roman Near East, in: ders.: Rome, the Greek World, and the East 3: The Greek World, the Jews and the East, Chapel Hill 2006, 223-242.
Christoph Begass