Babett Edelmann-Singer: Koina und Concilia. Genese, Organisation und sozioökonomische Funktion der Provinziallandtage im römischen Reich (= HABES. Heidelberger Althistorische Beiträge und Epigraphische Studien; Bd. 57), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2015, 363 S., ISBN 978-3-515-11100-3, EUR 59,00
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Regionale Zusammenschlüsse von Poleis (sogenannten Koina) waren eine der wichtigsten politischen Institutionen der griechischen Welt. Aus diesem Grunde sind ihre Binnenstrukturen, Aufgabenbereiche und Verfahrensweisen immer wieder in den Fokus intensiver Untersuchungen gerückt worden. [1] Im Zuge der römischen Eroberung sahen sich sowohl die Koina wie auch die neuen römischen Herren vor die Herausforderung gestellt, wie alte Strukturen zu nutzen und neue zu etablieren seien. Seit Jürgen Deiningers Referenzwerk aus dem Jahre 1965 sind auch für die Provinziallandtage unter römischer Hoheit viele Eckpunkte gesichert. [2] An Deininger knüpft nun die vorliegende Studie ausdrücklich an, setzt sich jedoch zum Ziel, "vor dem Hintergrund der Neuausrichtung altertumswissenschaftlicher Fragestellungen in den letzten 50 Jahren eine Neubewertung dieser Institution zu versuchen." (20). Dies soll jedoch weniger durch eine vollständige Aufnahme des seit Deininger edierten Quellenmaterials geschehen; vielmehr soll der "Fokus auf jenen Themen liegen, die Deininger ausgeklammert bzw. aus der Sicht seiner Zeit nicht adäquat hat einfließen lassen." (ebd.) Anders als Deininger, der den Provinziallandtagen im Osten (Koina) und Westen (Concilia) sowie "Aufbau und Tätigkeiten der Provinziallandtage" eigene Kapitel widmete, setzt sich die vorliegende Studie daher - nach einer kompakten Übersicht der Quellen und Forschungslage (13-30) - zunächst mit "Vorgeschichte und Entstehung der Provinziallandtage" (31-140) auseinander, einem Aspekt, der von Deininger nur knapp behandelt wurde. [3]
Hier kann die Autorin einige wichtige Entwicklungslinien von der hellenistischen Zeit über die römische Republik zur Kaiserzeit nachzeichnen. Grundsätzlich folgt Edelmann-Singer Deiningers Einschätzung, dass in den Koina Lykiens, Zyperns oder des griechischen Festlandes keinesfalls "Prototypen" der Zusammenschlüsse römischer Zeit, erst recht nicht der Kaiserzeit, zu sehen seien. [4] Trotzdem wiesen die Koina römischer Zeit hinsichtlich der "strukturellen Gestaltung" Gemeinsamkeiten auf, vor allem in Bezug auf den Herrscherkult. Auf diese Weise boten die "vorrömischen Koina jene Anknüpfungspunkte, die für eine Herrschaftsübernahme und territoriale Neustrukturierung wichtig und nützlich waren", auch wenn die Kontinuitäten zwischen vorrömischer Zeit und römischer Provinzverwaltung keineswegs bruchlos waren (35). Edelmann-Singer konstatiert drei "Traditionslinien", über die sich die Städtebünde unter römischer Herrschaft auf solche vorrömischer Zeit zurückführen ließen: "eine politisch-institutionelle, eine religiös-funktionale und eine kommunikativ-rituelle" (54).
Für die Provinzialen hätten die Koina schon in hellenistischer Zeit eine willkommene Möglichkeit geboten, "sich zu behaupten und einer politischen Ohnmacht durch Atomisierung im Angesicht der hellenistischen Großreiche vorzubeugen." (ebd.). Für den einzelnen Provinzialen wiederum boten die Koina oftmals die einzige Möglichkeit, sich politisch zu exponieren. Für Rom wiederum, so stellte schon Deininger fest, diente die "Übertragung des Provinzialkultes und seiner Institutionen [...] in erster Linie als wichtiges Mittel zur raschen Romanisierung neu eroberter Gebiete." (24) Auch Edelmann-Singer sieht in der Einführung des Augustus- und Roma-Kultes, dessen Pflege den Oberpriestern oblag, in erster Linie ein Instrument, "um die Provinz von innen zu stabilisieren" (96; 105).
Ausgehend von der Beobachtung, dass der rechtliche Status der Provinziallandtage nicht "in allen Details" juristisch geregelt war (153), beginnt das dritte Kapitel mit dem Versuch, die rechtliche Verfasstheit der Koina enger zu fassen (141-153). Hier weist die Autorin auf große Ähnlichkeiten der Koina mit religiösen Vereinen hin (145; 152), doch hätte der Rezensent diesen Abschnitt an früherer Stelle erwartet. Darüber hinaus widmen sich die folgenden Partien des Kapitels den 'Koinarchen' der jeweiligen Zusammenschlüsse (153-182) sowie den "Provinziallandtagen als Identitätsstifter" (182-191). Hier weist Edelmann-Singer plausibel nach, wie zentral die Koina für provinziale Eliten als Betätigungsfeld waren. Bei der Besetzung der Provinzialpriester lasse sich zudem "ein klares Muster bei der personellen Besetzung dieses Amtes" erkennen (154), da in erster Linie Angehörige der lokalen und provinzialen Elite die Koina zunehmend als Betätigungsfeld genutzt hätten. Da die Gruppe potentieller Amtsträger in jeder Provinz überschaubar war, habe diese Rekrutierungspraxis letztlich zur "Ausbildung eines 'Provinzadels'" geführt, die dadurch verstärkt wurde, dass es den Landtagen im Verlaufe der Kaiserzeit gelang, sich des Einflusses Roms weitgehend zu entledigen (160).
Die das dritte Kapitel abschließenden Partien zur Münzemission der Landtage (188-190) verweisen bereits auf das vierte Kapitel zur "wirtschaftlichen und finanziellen Dimension der Provinziallandtage" (193-308), einem Aspekt, den Deininger nur punktuell behandelt hatte. Neben im engeren Sinne wirtschaftshistorischen Fragen greift die Autorin auch die Münzprägung der Landtage wieder auf (269-302) und bietet u. a. einen nützlichen Katalog der von den Koina geprägten Münzen (278-293). Abgeschlossen wird das Buch durch nützliche und zuverlässige Indices, die das reiche Material erschließen.
Angesichts der Materialfülle ist das Buch gut redigiert, auch wenn einige formale Kleinigkeiten auffallen. [5] Auch hätten manche Passagen gestrafft werden können, etwa wenn eine Dio-Stelle zweimal in kurzem Abstand zitiert und mit der identischen Formulierung aufgegriffen wird (132 und 141). Zudem werden längere Quellenzitate teils mit, teils ohne, einmal mit einer englischen Übersetzung geboten. [6]
Diese Marginalien beeinflussen jedoch nicht den positiven Gesamteindruck dieser wichtigen Studie. Auch wenn es wünschenswert gewesen wäre, eine Aufarbeitung des gesamten seit Deininger erschienen Materials in den Händen zu haben, ist der Autorin beizupflichten, dass ein solches Unterfangen wohl den Rahmen gesprengt hätte. Edelmann-Singer bietet auf breiter Quellenbasis eine umfassende Interpretation verschiedenster Aspekte der Provinziallandtage in römischer Zeit, die zudem in ein schlüssiges Gesamtbild gegossen werden. Auch wenn ihre Arbeit Deiningers Werk nicht ersetzen wird, so beleuchtet sie zum einen zahlreiche Aspekte, die von diesem nur am Rande behandelt wurden, zum anderen bietet sie unter Rückgriff auf neu erschienenes Material der letzten fünfzig Jahre zahlreiche Präzisierungen und Umdeutungen, die die Forschung zur Weiterarbeit anregen werden.
Anmerkungen:
[1] Vgl. zuletzt H. Beck: Polis und Koinon. Untersuchungen zur Geschichte und Struktur der griechischen Bundesstaaten im 4. Jahrhundert v. Chr. (Historia Einzelschriften; 114), Stuttgart 1997; P. Funke / M. Haake (Hgg.): Greek Federal States and Their Sanctuaries. Identity and Integration, Stuttgart 2013; H. Beck / P. Funke (Hgg.): Federalism in Greek Antiquity, Cambridge 2015.
[2] J. Deininger: Die Provinziallandtage der römischen Kaiserzeit von Augustus bis zum Ende des dritten Jahrhunderts n. Chr. (Vestigia; 6), München 1965.
[3] Vgl. Deininger, Provinziallandtage der römischen Kaiserzeit, 7-24.
[4] Vgl. Deininger, Provinziallandtage der römischen Kaiserzeit, 9-10.
[5] Z. B. κοινὸν statt κοινόν (13); "Sahin" statt "Şahin" (passim); M. Carter: Neokoria and the Imperial Cult in the Greek East, JRA 18 (2005), 635-637 statt JRA 95 (2005) (322).
[6] Unübersetzt bleibt etwa die ephesische Ehrung Caesars (52; Syll.³ 760); eine Übersetzung bieten K. Brodersen / W. Günther / H. H. Schmitt (Hgg.): Historische griechische Inschriften in Übersetzung, Darmstadt 2011, Nr. 511; für Philostrat (159-160) wird eine Übersetzung aus der Loeb-Ausgabe gedruckt.
Christoph Begass