Khalid M. Al-Azri: Social and Gender Inequality in Oman. The Power of Religious and Political Tradition (= Durham Modern Middle East and Islamic World Series; 26), London / New York: Routledge 2013, XXII + 200 S., ISBN 978-0-415-67241-2, EUR 85,00
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Das Werk "Social and gender Inequality in Oman" von al-Azri behandelt mit der Rolle der Frau im Oman ein - wie der Autor anhand eines aktuellen Beispiels im Vorwort aufzeigt - hochaktuelles und in seiner Problematik vielfältiges Thema. Ziel der ursächlich als Doktorarbeit gedachten Studie ist es herauszuarbeiten, wie stark die Macht von religiöser und politischer Tradition soziale Ungleichheit vor allem für die Frauen prägt, und der These nachzugehen, dass Angst das geeignete Schlüsselwort zur Beschreibung der omanischen Familie ist.
In Bezug auf den Forschungsstand stellt die Studie insofern Neuland dar, als dass sie erstmals den Zusammenhang zwischen politischer Entwicklung des Oman, islamischem Recht, Debatten um Kernbegriffe wie Scheidung und sozio-ökonomischen Wandel herstellt. Im ersten Kapitel stellt al-Azri selbst sein diesbezügliches Vorgehen vor: Er fokussiert zunächst die Haltung der ibadischen Gelehrten zu Themen wie Frauenrechte, soziale Gleichheit und Modernisierung und geht dann auf die Konfrontation dieses Diskurses mit stammesbezogenen, kulturellen Normen ein. Entsprechend rücken kafa'a und talaq als Kernbegriffe für diskriminierende Beziehungen in der omanischen Gesellschaft ins Zentrum der Diskussion: kafa'a definiert al-Azri dabei als die Bezeichnung für die erforderliche Gleichheit der Herkunft beider Ehepartner, talaq bedeutet das Recht des Mannes auf Scheidung. Im Hinblick auf das Studienziel will der Autor hier herausarbeiten, wie diese auf islamischem Recht basierenden Begriffe bzw. Normen bis heute gerechtfertigt werden; gleichzeitig weist er auf die Vielfalt der diesbezüglich existenten Meinungsverschiedenheiten in der omanischen Gesellschaft zu den Themen Würde, Frauenrechte, Gleichheit, Entwicklung und Kultur hin. Hierbei greift al-Azri für aktuelle Beispiele auf seine Feldforschungen von 2003-2008 und 2011 zurück, welche auf die Situation in der Hauptstadt Muskat, auf Fatwas und Interviews mit Gelehrten sowie auf den öffentlichen Diskurs (z.B. Internet, Tagespresse, Regierungseinrichtungen) fokussierten.
Methodisch geht der Autor zunächst in Kapitel zwei auf die historische Entwicklung des Oman bis 1970 ein, um dadurch zentrale Merkmale der omanischen Kultur vorzustellen. So konstatiert al-Azri, dass der Oman bis zu dem von den Briten unterstützten Staatstreich von 1970 ein isoliertes Land war, welches stagnierte und in welchem Unterentwicklung als Methode zur Bevölkerungskontrolle diente. Weitere zentrale Faktoren der omanischen Gesellschaft sind ihre tribale Hierarchie mit der Unterteilung in Verwandtschafts- und Herkunftsgrade sowie die Rolle der ibadischen Imame. Mit Blick auf die Geschichte bis 1970 wird die Vielzahl von auf Stammeskonflikten beruhenden Kriege aufgezeigt, die zum einen durch religiöse Heterogenität von Sunniten und Ibaditen im Oman, aber auch durch die Existenz von als sozial ungleichen angesehenen, nicht arabischen Gemeinden unter den Völkergruppen des Landes mit 8-14 verschiedenen Sprachen geprägt sind. Erst mit der Machtübernahme durch Sultan Qaboos 1970 hat sich die soziale Lage im Oman durch die Vorbild-Funktion der Nachbarstaaten sowie neue finanzielle Möglichkeiten durch Öl verbessert, wobei seit 1995 auch nach alternativen Wirtschaftszweigen gesucht wird. Gleichzeitig achtet der Staat jedoch darauf Allianzen mit der Gesellschaft durch seine Subsidierungswirtschaft zu erhalten, z.B. durch "freie Dienstleistungen" im Bereich Gesundheit und Erziehung.
Nach diesem historischen Einstieg geht der Autor im dritten Kapitel auf den konzeptionellen Rahmen der Studie, das islamische Recht, ein. Dabei greift er zur Definition zentraler Begriffe den Gegensatz von fiqh und Scharia auf vorliegende Quellen und Forschungsarbeiten zurück, ebenso für seine Darstellung der Entwicklung des islamischen Rechts im 1 und 2 Jahrhundert der Hidschra. Dabei geht al-Azri vor allem auf Erneuerung als Teil der islamischen Tradition ein und belegt diese anhand von Reformen des Scharia Rechts durch die sozio-ökonomischen Veränderungen der islamischen Gesellschaften seit 1800. Im Hinblick auf die Herausforderungen der Moderne für den Oman rücken die Reaktionen der Ibadi-Gelehrten als erste auf die Harigiten zurückgehende islamische Rechtsschule in den Vordergrund. Anhand zweier historische Beispiele verdeutlicht die Studie den Einfluss der ibadischen Rechtschule auf die Gesellschaft und erläutert, warum die Regenten auch heute bei Modernisierungsbestrebungen diesen Rechnung tragen müssen.
Kapitel vier thematisiert nun die unter den Gelehrten herrschende Debatte um kafa'a und sozio-ökonomischen Wandel, wobei klargestellt wird, dass es sich hierbei um ein in vielen islamischen Staaten existentes und das Recht prägende Phänomen handelt. Al-Azri weist nach, dass alle vier islamischen Rechtsschulen außer den Malikiten kafa'a anwenden, sich jedoch über den Anwendungsumfang und die Dimension je nach ihrer sozio-kulturellen Entwicklung uneinig sind. Anhand von zwei Beispielen zeigt der Autor dann auf, das kafa'a im Oman zur klaren Differenzierung zwischen Stammesangehörigen (Arabern) einerseits und Sklaven, Mawali usw. andererseits diente und somit die ursächliche Hierarchie/Stammeskultur und Struktur bewahren sollte. Wie groß der gegenwärtige Konflikt zu dieser Thematik unter den Gelehrten ist, zeigt das folgenden Kapitel. Dabei rückt der Gegensatz zwischen offiziell erwünschter sozialer Gleichheit und den traditionellen Werten ins Zentrum der Debatte, so z.B. mit Blick auf Spannungen zwischen dem seit 1996 bestehenden Grundgesetz des Oman und dem Personenstandrechts islamischer Prägung. Des Weiteren wird verdeutlicht, dass nach wie vor starke Unterschiede in der Entwicklung in den Küstenregionen und im Landesinneren bestehen und der Zugang zu einzelnen Berufsfeldern immer noch ethnisch geprägt ist, wodurch die kulturellen Normen vor der Modernisierungsphase ab 1970 ihren Einfluss behalten. Insofern konstatiert al-Azri hier einen Stillstand beim Versuch zur Veränderung und dem dagegen herrschenden Widerstand. Mit dem Hinweis auf das Verbot des ersten Buches mit kritischer Diskussion zum Thema kafa'a - so als Rassendiskriminierung in der Ehe - 2003 im Oman, unterstreicht al-Azri abschließend den nach wie vor herrschenden Gegensatz zwischen gesellschaftlicher Modernisierung einerseits und der Dominanz religiöser und kultureller Normen andererseits, der derzeit im Bereich kafa'a für den Oman noch unlösbar ist.
Damit wendet sich die Studie dem eingangs genannten zweiten Kernbegriff, talaq, zu. Das sechste Kapitel befasst sich diesbezüglich basierend auf dem Forschungsstand und den Quellen mit verschiedenen talaq Varianten in der islamischen Geschichte allgemein und konkret mit der Diskussion um gerechtfertigten vs. unrechten talaq bzw. zurücknehmbaren vs. nicht direkt gültigem talaq. Es geht also darum, ob das einmalige Aussprechen des Wunsches zu talaq ausreichend für eine endgültige Scheidung ist oder erst die dreimalige Wiederholung desselben. Außerdem werden Änderungen im Scheidungsrecht in den islamischen Ländern seit 1915 überblicksartig dargestellt. Das abschließende siebte Kapitel geht auf das im Oman durch die Praxis des talaq gegebene Dilemma ein, wobei zunächst ein kurzer allgemeiner Blick auf dortige Heiratsbräuche erfolgt. Al-Azri weist anhand einer Statistik von 1990 nach, dass 80% der Frauen wegen persönlicher Differenzen oder aus wirtschaftlichen Gründen nichts gegen die Scheidung einzuwenden haben, diese jedoch wegen der hohen Hochzeitskosten andere Probleme mit sich bringt, so dass Polygamie z.T. als geeignete Alternative angesehen wird. Anhand seiner Feldforschung kristallisiert der Autor unter seinen Befragten zwei Hauptgruppen, Traditionalisten und Reformer, heraus. Die Traditionalisten gehen nach dem Islam davon aus, dass Mann und Frau in bestimmten Gebieten gleich sind, und sehen talaq als festen Bestandteil ihrer Kultur an. Insofern lehnen sie Einschränkungen des Rechtes auf talaq ab, sind aber ansonsten offen für die Abschaffung der weiblichen Diskriminierung. Die Reformer hingegen betrachten das vom Staat nach wie vor geförderte patriarchalische System und die Orientierung an der traditionellen Kultur als Hauptprobleme v.a. in Bezug auf Rechte der Frau; sie sind für Gender-Gleichheit, lehnen aber dennoch die Heirat zwischen Angehörigen unterschiedlicher Gruppen ab. Beide Positionen verdeutlichen, dass die omanische Gesellschaft gewissermaßen zwischen dem Wunsch nach Anpassung an die Moderne einerseits und dem Erhalt der eigenen Kultur andererseits hin- und hergerissen ist. So hat nach ibadischem Recht der Mann allein die Verantwortung für die Familie und darf folglich über die dafür zu emotional angesehene Frau entscheiden, andererseits gewährt jedoch eine neue Ministerentscheidung Mann und Frau die gleiche finanzielle Verantwortung für die Familie. Al-Azri zeigt verdeutlicht hier erneut, wie auch beim Begriff kafa'a, den Gegensatz zwischen dem Wunsch zum Erhalt alter Werte und Modernisierung, er kann allerdings derzeit keine konkreten Lösungsansätze aufzeigen.
Obwohl der Autor selbst auf Schwierigkeiten wie eingeschränkten Zugang zu Richtern sowie Angst bzw. Misstrauen gegenüber westlichen Forschungsmethoden hinweist, gelingt es ihm, den bestehenden Forschungsstand zu sozialen Ungleichheiten im Oman durch aktuelle Beispiele und Meinungen erstmals kritisch einem westlichen Forscherkreis zu präsentieren. Im Hinblick auf seine Ausgangsthese lässt sich zur aktuellen Stagnation der Modernisierungsbestrebungen im Bereich talaq und kafa'a feststellen, dass die Angst vor Veränderungen der Sozialstruktur vor allem in der Familie tatsächlich das Haupthindernis sein kann. Hier könnten vergleichende Studien zu anderen muslimischen Staaten möglicherweise nützliche Hinweise liefern, auch erscheint es sinnvoll in einem weiterführenden Projekt den Einfluss der umliegenden Golfstaaten auf diesen Entwicklungssektor des Oman zu untersuchen.
Tonia Schüller