Meta Niederkorn-Bruck (Hg.): Ein Heiliger unterwegs in Europa. Tausend Jahre Koloman-Verehrung in Melk (1014-2014), Wien: Böhlau 2014, 528 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-205-79556-8, EUR 49,00
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Thietmar von Merseburg trug in seiner Chronik zum Jahr 1017 die Nachricht vom Tod eines Fremden im heutigen Österreich nach: Ein Reisender namens Colomannus sei als Spion ergriffen, gefoltert und an einen trockenen Baum gehängt worden. Doch zeigte der Leichnam Spuren von Leben und der Baum ergrünte, wodurch sich das Opfer, das erklärtermaßen als pauper Christi unterwegs gewesen war, als heilig erwies. Markgraf Heinrich, ein Babenberger, habe ihn daher in der Burg Melk begraben lassen. Später datierten Annalen aus Niederaltaich und Melk diese Vorgänge zu 1012 bis 1014, und aus Koloman wurde ein Ire auf dem Weg nach Jerusalem.
Meta Niederkorn-Bruck legte zum (oder eher: zu einem möglichen) Koloman-Jubiläumsjahr 2012 eine voluminöse Sammlung von 21 Beiträgen vor. Die Herausgeberin umreißt eingangs einige für Pilgerfahrten und Heiligenverehrung relevante Bereiche in breitester Perspektive, resümiert Schritte der Koloman-Verehrung und legt ein besonderes Gewicht auf seine Nennung in Kalendern, zumal der Neuzeit.
Weitere Beiträge widmen sich den historischen Hintergründen und dem fortschreitenden Ausbau der Quellen zu Koloman. Rainald Dubski ist bestrebt, den politischen Kontext des Martyriums zu untersuchen, indem er Auszüge aus seiner Dissertation, vor allem zu den Ungarn, kompiliert. Andreas Bihrer liefert dann einen quellenkritischen Zugang: Er erklärt die politischen Konstellationen im Umfeld des Martyriums, die den Chronisten dazu motivierten, Koloman zu erwähnen, und stellt die Besonderheiten und Parallelen bei Thietmar deutlich heraus. Lesenswert ist dann auch, wie sich zum 12. Jahrhundert hin das Koloman-Bild in den Quellen zunehmend entfaltete. Christine Glassner knüpft hier thematisch an und untersucht weitere Stufen der hagiografischen Fortschreibung über die im 12. Jahrhundert entstandene Passio hinaus bis zu den volksprachigen Texten des späten Mittelalters. Im Humanismus setzte sich die literarische Auseinandersetzung mit Koloman fort, wie Elisabeth Klecker anhand eines Gedichtes von Johannes Stabius zeigt, das sie samt Übersetzung wiedergibt: Dabei wird der Kontext wetteifernder Dichter und konkurrierender Heiliger bestens ausgeleuchtet.
Für die Anfangszeit des Klosters Melk untersucht Klaus Lohrmann dessen adlige Förderer, die Vornbacher und insbesondere die Babenberger, deren Beziehung zu dem Ort schon vor der Ankunft der Benediktiner durch Thietmars Hinweis gesichert ist. Sehr wichtig im Blick auf Kolomans Nachleben sind die Hinweise auf Abt Erchanfrid, der nach 1121 die Traditionsbildung auf drei Feldern voranbrachte: Es entstanden damals Annalen, die 'Passio S. Colomanni' und gefälschte Urkunden. In Melk entstanden auch liturgische Gesänge zu Ehren Kolomans (David Merlin), und überwiegend an diesen Ort gebunden war die Erinnerung an den "Iren" Koloman, zu dem insulare irische oder Quellenzeugnisse kontinentaler Schottenklöster fehlen (Dagmar Ó Riain-Raedel).
Weitere Autoren behandeln die Beziehung zwischen Melk und Koloman (Gottfried Glassner), die in der Zeit des Barock aufblühte, was sich in der Errichtung eines neuen Altars und in Drucken niederschlug (Werner Telesko). Im 18. Jahrhundert entstanden auch zahlreiche Ansichten der Klosteranlage (Ralph Andraschek-Holzer). Außerdem wurde in dieser Zeit ein bereits Mitte des 13. Jahrhunderts erstmals belegtes literarisches Babenberger-Epitaph zum Relikt einer realen Grablege umgedeutet (Andreas Zajic), um den Vorrang Melks gegenüber konkurrierenden Klöstern zu betonen.
Hinzu kommen etliche Beiträge aus unterschiedlichen Richtungen, um das Martyrium lokal und personell weiter zu kontextualisieren: So stellt das Grab eines Reiters mit Pferd bei Gnadendorf einen wertvollen Beleg für eine ungarische Präsenz um das Jahr 1000 im lokalen Umfeld der Ereignisse um Koloman dar (Ernst Lauermann). Die schwächer ausgeprägte Koloman-Verehrung in Bayern untersucht Alois Schmid anhand von Ortsnamen, Patrozinien und Kunstwerken, wobei er St. Emmeram in Regensburg eigens betrachtet. Da Bischof Altmann von Passau in Göttweig gemeinsam mit Koloman verehrt wurde, befasst sich Udo Fischer regestenhaft mit dem Leben des ersteren.
Ernst Bruckmüller analysiert die Ortsangaben zu Kolomans Tod von Thietmar bis zu den Quellen des 14. Jahrhunderts, wobei erst letztere von "Österreich" sprechen: Diesen Begriff verfolgt er bis in die Zeit nach 1945. Da Jerusalem als Reiseziel Kolomans galt, widmet sich Michael Grünbart den Mitbringseln aus dem byzantinischen Osten, nicht ohne Verweis auf analoge Stücke mit Bezug auf Koloman. Thomas Schilp untersucht mit Reinoldus einen anderen reisenden Heiligen, der sich als Stadtpatron Dortmunds etablierte. Kathrin Pallestrang greift einen eigenen Text auf, um der Frage von Politik und Heiligenverehrung im groben Überblick und ohne Bezug auf Koloman nachzugehen, während Edeltraud Ambros auf seine heutige Verehrung eingeht und ihre 2007 vollzogene Feldstudie am Kolomanikirtag in Melk referiert. Abschließend stellt Andrea Longoni-Hötschl Lehreinheiten zu "Wallfahrt und Kult" vor.
Unter den Beiträgen gibt es Stücke solider, mitunter glänzender Wissenschaft neben Recycling-Material und anderem. Zu dieser Inhomogenität kommt, dass alle Verbindungslinien blass bleiben, weil die Aufsätze ohne Stringenz angeordnet sind. Die inhaltliche Vorgabe des Buchtitels wird nur ansatzweise erfüllt, denn Unterwegssein spielt eine ebenso marginale Rolle wie Europa.
Dass Koloman als Heiliger durchaus problematisch war, sei es als Person, in der Deutung oder in der nicht ungebrochenen Verehrung, tritt nur ganz am Rande hervor, wogegen eine allzu kontingente Gesamtschau meist überwiegt. Als Neuansatz wird dabei des Öfteren ein Punkt präsentiert: Koloman wurde quasi speculator getötet, was mehrere Autorinnen als "Bischof" deuten (186f., 232f.). Doch ist eine solche Verwendung von speculator bei Thietmar nicht nachzuweisen, da er das Wort stets im Sinne von Beobachter oder Kundschafter verwendet. Dementsprechend gab die Corveyer Überarbeitung hier das Synonym explorator. Koloman als Wanderbischof ist so nicht zu halten, und kein einziges mittelalterliches Zeugnis erklärte je den Heiligen dazu.
Insgesamt kam in dem Band die redaktionelle Feinarbeit zu kurz. Bis Thietmar richtig zitiert wird, muss man bis Seite 109 vorstoßen, weil das sonst nicht gelingt (so 57 Anm. 2: "(Monumenta Germaniae Historica, Scriptores 6, Scriptores rerum Germanicarum Nova Series 9, Hannover 1852)", oder 75 Anm. 1 "In: Robert Holtzmann (Hg.): Freiherr vom Stein Gedächtnisausgabe"; oder 219 Anm. 2, mit falschem Verweis auf fol. "002r" statt richtig 179r). Tiefe Zweifel kommen auf, wenn die Regesta Imperii mit einem Band "Sächsisches Hausgut" (81 Anm. 51) erscheinen, "Wippo" als Biograf Konrads II. debütiert oder Bonizo von Sutri, Liber ad amicum, mit "Migne Patrol. lat. anno 899" belegt wird (77 Anm. 18, 89 Anm. 37), um nur weniges von vielem zu nennen. Besser verhält es sich mit der Bebilderung des Bandes, die zumeist nützlich ist (aber nicht überall, etwa 489 Abb. 17-20), was auch für das Orts- und Personenregister gilt.
Man kann diesen Sammelband wegen seiner erwähnten Uneinheitlichkeiten kaum zusammenfassend würdigen: Immerhin enthält er einige wichtige Bausteine zur Erforschung der Koloman-Verehrung seit dem Mittelalter.
Otfried Krafft