Niels Petersen: Die Stadt vor den Toren. Lüneburg und sein Umland im Spätmittelalter (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen; Bd. 280), Göttingen: Wallstein 2015, 550 S., 1 Karte, ISBN 978-3-8353-1586-0, EUR 44,00
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Die Mittelalterforschung hat sich immer wieder Städten und städtischen Gruppen zugewandt, die im späten Mittelalter zu gewichtigen politischen Kräften geworden waren. Besonders die ältere Forschung zeigte sich interessiert an Umlandspolitik, oft verknüpft mit Inbesitznahme verschiedenster Burgen, bis hin zu durch Städte eingerichtete und verwaltete Territorien. Diesen Umstand, dass die Stadt im Mittelalter nicht an ihrer Mauer aufhörte, sondern bisweilen weit in das Umland hinausgriff sowie unter vielfältigen Begriffen Übergangszonen vorhanden waren, macht Niels Petersen zum Ausgangspunkt seiner Dissertation. Denn trotz ihres Vorhandenseins wurden die Stadtfelder bzw. Stadtmarken derjenigen Städte, die nicht allein dem Kaiser unterstanden, bisher kaum untersucht (9). Dem gegenüber steht eine vielfältige und zum Teil sehr ergiebige Forschung, die besonders zu Reichsstädten - insbesondere solchen mit eigenem Landgebiet - fruchtbare Ergebnisse vorlegen konnte.
Diese städtischen Räume vor der Stadt konnten durch vielfältige urbane Player besetzt sein. Petersen interessiert sich besonders für die "Aspekte der städtischen Raumbeziehungen, welche einen Niederschlag durch Bauten im Umland erfuhren" (10). Dazu wählt er die Hansestadt Lüneburg im 15. Jahrhundert, die sich auf mehreren Ebenen sehr gut dazu eignet. Zum einen handelte es sich um eine der größten Städte im norddeutschen Raum. Darüber hinaus finden sich zahlreiche zu analysierende Elemente wie inner- und außerstädtische Bauaktivitäten in mehreren Branchen, beispielsweise Holzhuden, daneben sowohl Steinbruch als auch Ziegelproduktion und der Abbau von Kalk. Diese Eigenbetriebe waren einer strukturierten Verwaltung durch die Ratsherren unterworfen. Dazu fertigten die Bauherren, aber auch andere mit Baubetrieben befasste Ratsherren, Rechnungen an, die sich für die Fragestellungen Petersens auswerten lassen. Insbesondere geht Petersen von den Ergebnissen Fouquets über das Bauen für die Stadt aus, der einen Anspruch des Rats festgestellt hatte, eine "innere Urbanisierung" (28) durchgeführt zu haben. Die Folgen eines solchen städtischen Bauprogramms für das Umland seien dagegen nicht untersucht worden (29). Folglich wählt Petersen diesen Umstand als Ausgangspunkt.
Die durch ihre hinlänglich erforschte Saline berühmt und zugleich reich gewordene Stadt Lüneburg sah sich in der Produktion von Baumaterialien zahlreichen anderen, meist monastischen Produzenten gegenüber. Zum Teil traten sie in Konkurrenz zu den städtischen Eigenbetrieben. Doch konnten sie durch ihr Vorhandensein den Markt auch bereichern. Manches Mal konnte die Stadt durch von ihnen angekaufte Produkte eigene Engpässe überwinden. Gerade der Kalk als Handelsware diente dem Rat im Spätmittelalter auch als ein politisches Mittel der Raumerschließung, da die Ratsherren mit der Erlaubnis von Lieferungen an weltliche und geistliche Herren bzw. Kommunitäten diese für sich gewinnen konnten (202).
Dies verbindet zudem die verschiedenen Lebenswelten von Bürgern und Adligen. Im täglichen Umgang miteinander waren diese Bereiche der spätmittelalterlichen Gesellschaft unweigerlich aufeinander angewiesen. Petersen kann dies unter anderem am Beispiel der Pfandburg Bleckede an der Elbe aufzeigen. Hier kam es immer wieder zu Konflikten zwischen dem Rat und Adligen, die an beiden Ufern des Flusses begütert waren. Durch verschiedene Investitionen in die Pfandburgen - Dächer wurden erneuert, Mauern ausgebessert - erhöhte der Rat die Pfandsumme konsequent. In der Folge kam es zu einer längerfristigen Bindung der adligen Burghauptleute an die Stadt. Zugleich übernahmen die meist aus dem Niederadel stammenden Hauptleute Verwaltungsaufgaben für den Rat, beispielsweise die Abwicklung von Zoll und Geleit. Durch die so eingegangenen Verbindungen suchte der Rat die wirtschaftlichen Erfolge sowie den Zugriff auf Brenn- und Bauholz aufrecht zu erhalten und zu sichern.
Nach der Untersuchung des städtischen Bauwesens in Lüneburg (79-203) widmet sich der vierte Teil dem Land und den darin begegnenden städtischen Ansprüchen. Petersen fragt hier danach, wie die städtische Akteure in den naturräumlichen Gegebenheiten mit ihrem Landbesitz umgingen. Hierbei ist zu unterscheiden zwischen den Klöstern, den Bürgern sowie den Hospitälern Lüneburgs. Daran schließt die Frage an, wie es um gemeinschaftlich genutzte bzw. benötigte Einrichtungen bestellt war, also Fragen nach der Ver- und Entsorgung, der Sicherheit gewährenden Landwehr, Zeichen städtischer Frömmigkeit und den verschiedenen Wasserwegen und Straßen, die es zu unterhalten galt. Um diese Bauten der Gemeinschaft näher zu beschreiben, stellt Petersen Aspekte der geographischen Lage, der Nutzung sowie der Verwaltung des Landbesitzes Lüneburger Bürger dar. Auch hier fragt er nach den Bauwerken, die "im Zusammenhang mit den Bedürfnissen einer optimalen Nutzung des [...] Raumes entstanden" (205). Zur Beschreibung und Analyse des städtischen Vorfeldes werden immer wieder Stadtansichten und Karten nutzbar gemacht, die im Lauf des 16. und 17. Jahrhunderts entstanden. Zum Teil sind sie Teil des Lüneburger Diskurses um die neu angelegte Landwehr. Doch auch auf den übrigen überlieferten Ansichten finden sich sehr oft die untersuchten Bauten aus der vielfältigen Besitzlandschaft des Lüneburger Umlandes wieder. Am auffälligsten sind dabei die diversen Zeichen der Frömmigkeit. Dass die Kapellen im Stadtfeld einen unterschiedlichen Bezug zu diesem hatten, wird insbesondere durch die anschaulichen Bildquellen deutlich. Intensiv widmet sich Petersen der zum Ende des 14. Jahrhunderts angelegten und später erneuerten Landwehr (316-339), die als militärische sowie wirtschaftlich-verkehrspolitische Anlage charakterisiert und als das markanteste Bauwerk außerhalb der Stadt benannt wird. Dem reich überlieferten Lüneburger Quellenmaterial ist zudem zu verdanken, dass Petersen im Detail die Anlage, Instandhaltung sowie den Betrieb der Warten nachzeichnen kann, bis hin zu den herangezogenen Arbeitern (332). Durch die Analyse des Stadtfeldes mit seinen Bauten, das die Landwehr begrenzte, kann Petersen den bereits früher festgestellten Wandel der Bodennutzung in Bezug auf das Zentrum nachvollziehen (362).
Insgesamt stellt Petersen fest, dass sich die Raumkonstitution des Lüneburger Rates bis zum Ende des 16. Jahrhunderts wandelte. Die zuvor militärisch und wirtschaftlich genutzte Landwehr verlor zunehmend ihre traditionelle Bedeutung und ihre Warten dienten als Freizeitziel der Bürger. Die Politik des Rates verfolgte das Ziel, den Stadtraum mit seinem nahen Stadtfeld möglichst intensiv zu durchdringen, was ihm durch die analysierten Bauten, Verträge sowie fließenden Übergänge zwischen den unterschiedlich geprägten Räumen gelang.
Im Anhang der detailreichen Studie finden sich verschiedene sehr nützliche Listen. Neben den in Lüneburg gängigen Maßen und Gewichten (499) kann sich der Leser übersichtlich über die diversen Ämter im ausgehenden 14. und im 15. Jahrhundert informieren, wobei zahlreiche Parallelen aus den führenden Familien der Stadt deutlich werden. Mehrere schematische Übersichtskarten sowie drei farbige Reproduktionen der Karten des Daniel Frese aus den 1570er Jahren sowie ein gut gemachtes Register der Personen und Orte runden den Band ab. Die Forschung wird ihn in Hinblick auf das Verständnis städtischer Politik und Raumnutzung im ausgehenden Mittelalter zukünftig gewinnbringend verwenden.
Florian Dirks