Ruth Heftrig: Fanatiker der Sachlichkeit. Richard Hamann und die Rezeption der Moderne in der universitären deutschen Kunstgeschichte 1930-1960 (= Schriften zur modernen Kunsthistoriographie; Bd. 5), Berlin: De Gruyter 2014, X + 526 S., ISBN 978-3-05-006102-3, EUR 99,95
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Ruth Heftrig / Olaf Peters / Ulrich Rehm (Hgg.): Alois J. Schardt. Ein Kunsthistoriker zwischen Weimarer Republik, "Drittem Reich" und Exil in Amerika, Berlin: Akademie Verlag 2013
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Seit die politische Geschichte der deutschsprachigen Kunstwissenschaft in den Fokus des Faches geriet, war es immer wieder Richard Hamann, der das Interesse der Forschung auf sich zog. In seiner wissenschaftlichen Biografie und in seiner Arbeit spiegelt sich nicht nur ein halbes Jahrhundert unserer Fachgeschichte, sondern auch der politische Grundkonflikt zwischen einer ihrem Selbstverständnis nach unabhängigen Wissenschaft und dem Staat, der sie finanziert und unterhält. Zwar polarisiert der Fall Hamann das Fach nicht in demselben Maße wie der Pinder-Streit in den frühen 1990er-Jahren, das herrschende Bild der professoralen Autorität, an der die Versuche politischer Einflussnahmen und behördlicher Sanktionierungen abprallen, hat aber in den letzten Jahren mehr und mehr Risse bekommen.
Ruth Heftrig, die mit dem hier besprochenen Band, ihrer 2011 in Basel angenommenen Dissertation, die bisher dokumentationsstärkste Monografie über Hamann vorgelegt hat, gehört nicht nur zu den besten Hamann-Kennerinnen (sie hat seinen Nachlass in Marburg wissenschaftlich erschlossen), sondern ist seit vielen Jahren auch in der Erforschung der Kunstgeschichte im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit aktiv. Sie stellt Hamann in den fachgeschichtlichen und politischen Kontext, vergleicht seine Positionen mit denen der Kollegen und kommt auf dieser Basis zu einer differenzierten Bewertung des politischen Hamann. Ihr Augenmerk liegt dabei auf Hamanns Verhältnis zur Moderne und dessen (wissenschafts-)politischer Symbolik. Es geht ihr nicht um die wissenschaftliche Methodik seiner Arbeiten, nicht um ihre theoriegeschichtliche Einordnung und Bewertung, sondern letztlich um die politischen Faktoren wissenschaftlichen Handelns. Ihre eigene wissenschaftliche Herangehensweise ist an Bourdieu orientiert, dessen Feldtheorie sie sich zunutze macht. Sie begreift Hamann als Akteur auf den Feldern und Subfeldern der Kunst und der Politik, der mit seinen vielfältigen Aktivitäten symbolisches Kapital akkumuliert, um seine Position als wissenschaftlich Handelnder zu stärken und ein Höchstmaß an Autonomie zu gewinnen.
Die Untersuchung ist chronologisch aufgebaut und analysiert in drei großen Kapiteln - eingerahmt von einer Einleitung und einem Fazit - das wissenschaftliche Handeln Hamanns in der Weimarer Zeit, im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit. Innerhalb der Chronologie werden in Unterkapiteln die verschiedenen Tätigkeitsfelder Hammans in den Blick genommen, das heißt - immer in der Perspektive auf die Moderne - seine Lehrtätigkeit, seine Schriften und Vorträge, seine Interessen als Museumsleiter und als privater Sammler, sein Engagement als Institutsleiter und Gründer des Marburger Bildarchivs und nicht zuletzt seine kultur- und wissenschaftspolitischen Aktivitäten untersucht.
Im Kapitel über die Weimarer Zeit geht es vor allem darum, seinen Begriff der Moderne herauszuarbeiten, der sehr stark an dem des Deutschen Werkbundes orientiert ist. In seinem Credo für eine "Sachkultur" liegt möglicherweise der Schlüssel zur Beantwortung der Frage, warum es Hamann im Gegensatz zu vielen anderen gelingen konnte, sich über alle politischen Veränderungen hinweg in Deutschland in seiner Position halten zu können: "Sachlichkeit" galt sowohl in der spätwilhelminischen und in der Weimarer Zeit als auch im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit in Ost und West als Reformkonzept, auf das sich zu den verschiedenen Zeiten der jeweilige politische Veränderungswille projizieren ließ. Die ästhetischen Justierungen und Anpassungsleistungen, die Hamann erbringen musste, um anschlussfähig zu sein, waren in dieser Hinsicht relativ gering.
Wie diese Anpassungsleistungen ausgesehen haben, verdeutlicht Ruth Heftrig in ihrem Kapitel über die Zeit des Nationalsozialismus, in dem sie die Veränderungen des Moderne-Kapitels in Hamanns "Geschichte der Kunst" von der ersten (1932) über die zweite (1935) zur dritten Auflage (1937) herausarbeitet. Sie kann deutliche, politisch signifikante Akzentuierungen nachweisen, die sich von einem Bekenntnis für das Bauhaus zu einem Lob der NS-Architektur wandeln. In Vergleichen mit anderen Kunsthistorikern der NS-Zeit wie Pinder und Weigert (zur Architektur) sowie Kroll und Schrade (zur bildenden Kunst) zeigt sie aber auf, dass Hamanns Akzentverschiebungen moderat ausfielen, woraus sie entsprechende Rückschlüsse auf seine Haltung zum Nationalsozialismus und seine politische Position innerhalb seines Faches zieht.
Im Kapitel über die Nachkriegszeit werden die hochschul- und kulturpolitischen Aktivitäten Hamanns als Grenzgänger zwischen Marburg und Berlin und Vermittler zwischen Ost und West beschrieben. Von dem politisch motivierten und systembedingt kontrovers geführten Diskurs über die Tendenzen der Gegenwartskunst war sein vermittelnder, auf Sachlichkeit gründende Moderne-Begriff weitgehend entkoppelt, wie Vergleiche mit den Positionen jüngerer Kunsthistoriker in Ost (Hütt, Feist, Strauss) und West (Roh, Sedlmayr) zeigen. Ob man deshalb - wie Ruth Heftrig - Hamanns Moderne-Konzept als starr bezeichnen muss, sei dahingestellt. Hamann befand sich zwischen den Stühlen, und sein Handlungsspielraum war entsprechend gering. In einer sich polarisierenden politischen Situation wollte den von ihm vorgeschlagenen "dritten Weg", wie Jost Hermand später Hamanns vermittelnde Perspektive bezeichnet hat, niemand gehen.
Bemerkenswert an der Arbeit von Ruth Heftrig sind - neben der fulminanten Dokumentationsleistung, zu der auch ein umfangreicher, überaus nützlicher Anhang mit einem biografischen Lexikon, Vorlesungs-, Ausstellungs- und Sammlungsverzeichnissen und Quellenauszügen beiträgt - der beharrliche Verzicht auf die Hamann-typischen Klischees (vom "Sohn eines Briefträgers" zum "Verteidiger des Berliner Schlosses"), der skeptische, kritische Blick auf Hamann, der bis zum Schluss durchgehalten wird, und die sich auf fundierten Kenntnissen stützende vergleichende fachgeschichtliche Perspektive. Die theoretischen Anleihen bei Bourdieu tragen nicht maßgeblich zum Erkenntnisgewinn bei, haben aber offenbar die Strukturierung des Materials und die Perspektivierung der Untersuchung motiviert.
Die Möglichkeiten, Bourdieu, der ja eine besondere Affinität zur Kunstgeschichte hatte, für eine fachgeschichtliche Untersuchung fruchtbar zu machen, hätten unterdessen weit über die Verwendung seiner Feldtheorie hinaus genutzt werden können. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang insbesondere der in Auseinandersetzung mit Panofsky entwickelte Begriff des Habitus und die bildungssoziologischen Aspekte, die in Bezug auf Hamann und sein Handeln in den verschiedenen Milieus zu weiteren Erkenntnissen hätten führen können. Spekulieren ließe sich auch darüber, warum Bourdieu, der von Panofsky inspiriert und später von Baxandall begeistert war, Hamann offenbar nicht zur Kenntnis genommen hat. Hamann - das geht aus der Untersuchung von Ruth Heftrig hervor - war eher ein "Macher" und verfügte nicht über die theoretischen Ambitionen, das intellektuelle Vermögen und die Weltläufigkeit von Wissenschaftlern wie den beiden erwähnten, um für Bourdieu interessant zu sein. Als Gegenstand seiner bildungssoziologischen Forschungen hätte man sich Hamann dagegen gut vorstellen können.
Die kritischen Befunde zu Hamann, die Ruth Heftrig in ihrer beeindruckenden Studie herausgearbeitet hat, werden sicherlich nicht allen gefallen. In ihrer konsequent sachlichen Herangehensweise ist die Autorin dem Wissenschaftler Hamann aber vermutlich näher, als es die meisten seiner Bewunderer sind.
Martin Papenbrock