Michaela Schmölz-Häberlein: Juden in Bamberg (1633-1802/03). Lebensverhältnisse und Handlungsspielräume einer städtischen Minderheit (= Judentum - Christentum - Islam. Interreligiöse Studien; Bd. 11), Würzburg: Ergon 2014, 295 S., ISBN 978-3-95650-019-0, EUR 39,00
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Das Buch widmet sich der Geschichte der Bamberger Juden. Michaela Schmölz-Häberlein skizziert dazu die Lebensverhältnisse und Handlungsspielräume der jüdischen Gemeinde seit der Ansiedlung im Jahr 1633 bis zur Mediatisierung des Fürstbistums 1803. Mit ihrer im Rahmen eines Forschungsprojektes zum jüdischen Leben in Franken entstandenen lokalhistorischen Studie möchte die Autorin Lücken in eben dieser Geschichte schließen. [1] In diesem Bestreben grenzt sich die Arbeit von bisherigen Forschungen ab, die mit Blick auf die Randgruppen- und Außenseiterposition der jüdischen Bevölkerung eher das Trennende in der deutsch-jüdischen Geschichte betonten. Schmölz-Häberlein lehnt eine solche "eindimensional konstruierte Leidensgeschichte" ab und will die "engen Beziehungen zwischen jüdischen und christlichen Lebenswelten" herausarbeiten (16). Um dies zu erreichen, konzentriert sie sich auf die wesentlichen Aspekte der "demographischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung" (18) der jüdischen Gemeinde.
An sich ist die quellennah angelegte Untersuchung wie ähnliche regionalhistorische Studien traditionell aufgebaut. In zehn Kapiteln werden dem Leser Informationen zu unterschiedlichen Aspekten dargeboten: zur Entwicklung der jüdischen Gemeinde, zur Rechtsstellung der Bamberger Juden, ihren Selbstverwaltungsorganen, den jüdischen Hoffaktoren, zum Erwerbsleben (hier ist vor allem der Abschnitt zum Uhrenhandel lesenswert), zu zentralen religiösen Bräuchen, zur Familie und zum Lebenszyklus sowie zum Zusammenleben zwischen Juden und Christen im Spannungsfeld von Koexistenz und Konflikt sowie abschließend zum Phänomen der Konversion. Kurze Resümees fassen die Erkenntnisse nach jedem Kapitel zusammen, um wiederum in einem Schlusskapitel von der Autorin im Rahmen eines Phasenmodells zur jüdischen Geschichte Bambergs einzufließen.
Die erste Phase (1633-1680) sei von der jüdischen Wiederansiedlung in Bamberg und von der Schaffung personeller und organisatorischer Grundlagen für einen nachhaltigen Aufschwung geprägt gewesen. Die zweite Phase (1680-1740) sei als Blütezeit der Bamberger Juden anzusehen, in der neben einem intensivierten Gemeindeleben weiträumige intellektuelle und wirtschaftliche Netzwerke entstanden, die dritte und letzte Phase (1740-1803) schließlich durch Stagnation, wachsende Konkurrenz zu christlichen Kaufleuten, Autonomieverlust und zunehmende innergemeindliche Konflikte im Zuge der Aufklärung gekennzeichnet gewesen.
Insgesamt bietet die Studie einen sehr guten und zugleich tiefen Einblick in die Lebensverhältnisse der Bamberger Juden. Gerade als Grundlage für weitere Studien zu diesem Thema wird das Werk Schmölz-Häberleins zentral sein, da sie einen breiten Einblick in die lokale Quellenlage bietet.
Das Ansinnen der Autorin, eine jüdische Geschichte Bambergs abseits der Verfolgungsgeschichte zu schreiben, erscheint dagegen nicht gelungen. Die oben angedeutete konservative Zugangsweise zum Quellenmaterial kann die Handlungsspielräume Bamberger Juden allenfalls anreißen. Hermeneutisch weiterführender wäre es an dieser Stelle vielleicht gewesen, die Handlungsspielräume über die Argumentationsstrategien der Juden vor Ort beispielsweise in lokalen Gerichtsprozessen oder in behördlichen Kontakten auszuloten und mit den Reaktionen des jeweiligen Gegenübers abzugleichen. Insgesamt treten Kontakte zwischen Juden und Bamberger Bürgern allenfalls holzschnittartig hervor, was auch daran liegen mag, dass in dieser Hinsicht zentrale Veröffentlichungen der jüngsten Zeit zu diesem Thema unbeachtet geblieben sind. [2]
Dabei bietet das Buch wertvolle Ansätze für die Erforschung eines 'normalen Miteinanders' (21, 35, 59f.): Dies betrifft neben den ausführlich herausgearbeiteten gemeinsamen Kultur- und Freizeitkontakten (205-208) die scheinbar normale Übertragung einer Hoffaktorenstelle auf den Sohn (115), die Verleihung von Hoflieferantentiteln an Juden und Christen gleichermaßen (119), die fragwürdige Einhaltung scheinbar antijüdischer Restriktionen (129), jüdische Getreidespenden an die Bürgerschaft in Notzeit (134), die bei den Stadtbürgern allgemein akzeptierten Eruwim (171-173) und den gemeinsamen Schulunterricht (198). Die Neubewertung von Gettoprojekten als jüdische Initiativen zur Positionierung in der ständischen, nach dem Prinzip der räumlichen und rechtlichen Abgrenzung funktionierenden Gesellschaft (27f., 47) hätte an dieser Stelle mit Blick auf bisherige Veröffentlichungen ebenso ausführlicher ausfallen können [3], wie die scheinbar am Ende des 18. Jahrhunderts in Bamberg sich entwickelnde Debatte darüber, wie eine partielle zivilrechtliche Gleichstellung der Juden mit den Christen hätte gestaltet werden können. Schließlich bahnte sich hier eine Art Emanzipation vor der Emanzipation tendenziell an (z.B. 93). Dem gegenüber kommt es an einigen Stellen des Buches zu oftmals nur auf einem Beispiel basierenden Überinterpretationen bezüglich einer weiter existierenden Judenfeindschaft (z.B. 29) oder zur Betonung 'alter' Weisheiten wie der enormen Höhe und Vielfalt der finanziellen Belastungen (59). Gerade an diesen Stellen wären Vergleiche mit anderen Bevölkerungsgruppen sinnvoll gewesen, um die Belastungen richtig einschätzen zu können. [4]
Hinzu gesellen sich einige Unebenheiten: Die Autorin wertet zwar die Akten zu den Reichskammergerichtsprozessen aus, die zum Reichshofrat lässt sie aber unbeachtet. Ein lokal begrenzter Vergleich wäre hier sicherlich lohnenswert gewesen. Die komplexe rechtliche Stellung der Juden wird freilich benannt, aber in den Quellen letztlich nur oberflächlich untersucht (51). Das RKG stand zudem nicht als solches allein im Ruf, eine Trennung von Prozesspartei und Prozessgegenstand vorzunehmen (67). Dies galt zum einen für beide Reichsgerichte und zum anderen war dies ein Rechtsgrundsatz, der sich seit dem Reuchlin-Pfefferkorn-Streit in der juristischen Fachwelt allmählich durchgesetzt hatte. [5] Ob für diesen Punkt letztlich der von der Autorin zitierte protestantische Theologe Christoph Georg Bodenschatz (74) ein sinnvoller Gewährsmann ist, sei dahingestellt. Selbiges gilt auch für die Frage nach der Definition einer jüdischen Wirtschaftselite (19, 99-101). Dieser Begriff wird verallgemeinernd für alle jüdischen Hoffaktoren verwendet, ohne die Zwischenstufen deduktiv aus dem Quellenmaterial heraus zu schärfen. [6] War zudem Friedberg bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts nicht ein durchaus wichtiges Rabbinat (177)? Und warum wird die Frankfurter Messe nicht neben der Leipziger Messe gleichwertig behandelt (135)?
Alle diese Anmerkungen dürfen aber nicht die solide Leistung von Schmölz-Häberlein in den Hintergrund treten lassen. Als quellennahe Lokalstudie bietet ihr Buch eine Fülle von interessanten Beobachtungen, es wird für vergleichende Arbeiten zentrale Anknüpfungspunkte bieten. Für die Bamberger Lokal- und Regionalgeschichte leistet dieses Werk zudem sicherlich einen wertvollen Beitrag zur Erforschung der lokalen Bamberger Identität.
Anmerkungen:
[1] Marion Krüger-Hundrup: Forscher im Haus des Lebens, in: Die Welt am Sonntag vom 16.01.2011.
[2] Hingewiesen sei auf die Veröffentlichungen im Kontext des Projektclusters Jüdisches Heiliges Römisches Reich.
[3] Wolfgang Treue: Jewish and Christian Elites in Frankfurt: Power and Control in an Early Modern German City, in: Fritz Backhaus / Gisela Engels / Robert Liberles / Magarete Schlüter (Hgg.): The Frankfurt Judengasse. Jewish Life in an Early Modern German City, London / Portland 2010, 59-72; vgl. Andreas Gotzmann: Im Zentrum der Selbstverortung? Das Ghetto als jüdischer Raum, in: Fritz Backhaus / Gisela Engel / Gundula Grebner (Hgg.): Frühneuzeitliche Ghettos in Europa im Vergleich, Berlin 2012, 333-367; Barbara Staudinger: Jenseits der Brücke. Die Wiener Judenstadt 1624-1670 und der städtische Raum, in: ebd., 241-267; David B. Ruderman: Das Ghetto und die Entstehung einer jüdischen Kultur im Europa der Frühen Neuzeit: Betrachtungen zur Geschichtsschreibung, in: ebd., 39-52.
[4] Am Beispiel Nassau-Usingens ist abzulesen, dass Bauern über 230 verschiedene Zahlungen zu leisten hatten. Vgl. Friedrich Lenger: Economy and Society, in: Jonathan Sperber (Hg.): The Shorter Oxford History of Germany. Germany 1800-1870, New York 2004, 91-114, hier 96.
[5] Bis heute zentral Wilhelm Güde: Die rechtliche Stellung der Juden in den Schriften deutscher Juristen des 16. und 17. Jahrhunderts, Ostfildern 1981.
[6] Siehe hierzu Rotraud Ries: Status und Lebensstil - Jüdische Familien der sozialen Oberschicht zur Zeit Glikls, in: Monika Richarz (Hg.): Die Hamburger Kauffrau Glikl. Jüdische Existenz in der frühen Neuzeit, Hamburg 2001, 280-306.
André Griemert