Eike Wolgast (Hg.): "Nit wenig verwunderns und nachgedenkens". Die "Reichsakten - Mittlere Reihe" in Edition und Forschung, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2015, 115 S., 9 s/w-Abb., ISBN 978-3-525-36083-5, EUR 39,99
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Im vorliegenden Band präsentieren der Leiter und die Mitarbeiter des Editionsunternehmens der Mittleren Reihe der Deutschen Reichstagsakten, Eike Wolgast, Dietmar Heil und Reinhard Seyboth, sowie zwei externe Fachleute für die Epoche Maximilians I., J. Friedrich Battenberg und Horst Carl, die Ergebnisse ihres Workshops vom 8. Oktober 2013 im Historischen Kolleg in München, und zwar in überarbeiteten Schriftfassungen mit häufig den Text diskursiv ergänzenden oder weiterführenden Anmerkungen.
Den Auftakt macht die sehr dichte, weil auf der Basis seiner Studie von 2008 (11, Anm. 1) komprimierte, und - vor allem, was die handelnden Personen betrifft - recht kritische Einführung von Eike Wolgast "Zur Geschichte und Entwicklung der Edition 'Deutsche Reichstagsakten'" (11-17). Bei dem ohnehin anachronismusbedrohten Forschungsbegriff 'Reichstag' [1] irritieren Analogien wie "Gesetzgebungsverfahren" (11) und "Petitionsausschuss moderner Parlamente" (12) eher, aber ansonsten gewinnt man einen prägnanten Eindruck von den Schwierigkeiten des Unternehmens, deren Lösung schließlich die Aufteilung der Stoffmassen auf vier Abteilungen war. An Wolgasts Resümee, dass "alles von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern abhängt" (17), mag man nach der Lektüre seines Beitrags anfügen: aber auch vom Engagement der Abteilungsleiter und der Haltung der Geldgeber.
Daran anschließend lässt sich Dietmar Heil unter dem programmatischen Titel "Per aspera ad acta. Ein Werkstattbericht zur Edition der Deutschen Reichstagsakten aus der Zeit Kaiser Maximilians I." (19-43) als Editor über die Schulter (und ein wenig in den Kopf) schauen. Ausgehend von grundsätzlichen Feststellungen zur Charakteristik maximilianeischer Reichstage und der aus ihr resultierenden Anforderungen für die Konzeption der Edition, konfrontiert Heil zunächst das für die Mittlere Reihe erhobene Vollständigkeitspostulat mit seiner über 20-jährigen Erfahrung bei der Materialsichtung in den Archiven. Anschließend legt er detailliert die Methoden und einzelnen Schritte dar, nach der die Dokumente für die Edition aufbereitet werden. Was den Ertrag betrifft, so führt Heil gegen die Positivismuskritik den ungebrochenen Wert der Quellen ins Treffen. Eine Schwerpunktverlagerung respektive Ausdehnung über die Bestände staatlicher Provenienzen hinaus scheint ihm nicht notwendig, da sich in der Vielfalt der für die Edition herangezogenen Quellengruppen weit mehr als nur das politische Handeln abbilde, was "ihre Nutzbarkeit für ein großes Spektrum von Fragestellungen auch jenseits des Politischen" (39) garantiere. Nachfolgend plädiert Heil trotz aller daraus zusätzlich erwachsenden Belastungen zwar für eine künftige "Hybridedition", idealer Weise als eine sich ergänzende Buch- und Online-Publikation, warnt aber in seinem abschließenden Fazit vor einem "informationellen Overload" (41) und davor, die "beinahe ideal[e]" methodische Vorgehensweise der Mittleren Reihe zugunsten der Forderungen der e-Editorik zu verändern. Vor dem Hintergrund des Spannungsfeldes zwischen Möglichkeit und Notwendigkeit, Theorie und Praxis, Aufwand und Ergebnis, wie sie sich allen Editionsunternehmen stellt, sollte seine klare Haltung die Diskussionsbasis für Überlegungen zum Fortgang der Edition bieten.
Dass der Beitrag von J. Friedrich Battenberg "Maximilian I. und die Juden im Heiligen Römischen Reich" (45-69) in den Band aufgenommen wurde, obwohl die Quellengrundlage der Mittleren Reihe der Reichstagsakten allein für diese Thematik nur "fragmentarische und einseitige Perspektiven" (45) liefern würde, weil Judenangelegenheiten durchweg nur unter dem fiskalisch-steuerlichen Aspekt auf der Reichstagsagenda standen, ist wichtig. Gerade weil Battenberg das Thema insgesamt überblickt, kann er sich nicht nur kritisch mit der Literatur herauf bis zur neuesten Analyse der maximilianeischen Judenpolitik durch David H. Price [2] auseinandersetzen, sondern selbst, in Ergänzung zu den Reichstagsakten, ein differenzierteres Bild bieten. Das gilt obgleich die Haltung der Funktionseliten bei Hof und in den Ländern dabei etwas unterbelichtet bleibt und im Zusammenhang mit dem sogenannten Judenbücherstreit Paulus Ricius nicht erwähnt wird, ein zum Christentum konvertierter Jude, der Maximilian I. ab 1514 als Leibarzt diente sowie als Humanist und Hebraist vom Kaiser mit der Übersetzung des Talmud ins Lateinische beauftragt wurde.
Um die Wichtigkeit der Kontextualisierung geht es ganz wesentlich auch im Beitrag von Horst Carl "Reichstage - Bundestage - Landtage. Foren politischer Kommunikation im Reich Maximilians I." (71-86). Da bei den Reichstagsakten die Dosis das Gift macht - zu wenig erzeugt ein Konstrukt, zu viel eine "editorische Sackgasse" (72) -, hilft sein fachmännischer Blick von außen. Er bestätigt die für die Editionsgrundsätze der Mittleren Reiche maßgebliche These von Reinhard Seyboth, dass der Reichstag zwischen 1486 und 1519 eine tief greifende Umgestaltung infolge des allgemeinen Verdichtungsprozesse der Verfasstheit des Alten Reichs erfuhr. Aus diesem Blickwinkel liefert die Reichstagsforschung wesentliche Erkenntnisse über die Eigenschaften und Eigenheiten vorkonstitutioneller und vordemokratischer Gesellschaftssysteme, ihren Organisationsgrad, ihre Symmetrien und Asymmetrien, wobei die Erweiterung des Beobachtungsfelds auf parallele Foren wie Bundes- oder Landtage das Bild zusätzlich verfeinert und abrundet, wie Carl eindrucksvoll zeigt.
Ein schöner Abschluss gelingt Reinhard Seyboth mit seinem Beitrag "Politik und religiöse Propaganda. Die Erhebung des Heiligen Rockes durch Kaiser Maximilian I. im Rahmen des Trierer Reichstags 1512" (87-108). Ebenfalls stark kontextualisiert gelangt er aufgrund bisher weitgehend unbekannter, im Zuge der Quellenforschung für den Trierer Reichstag zu Tage gekommener Dokumente zu einer neuen Deutung dieses Aufsehen erregenden Ereignisses: nicht Türkenzugspropaganda war das Ziel, sondern die Imagination eines frommen, verwitweten und in kirchlich-religiösen Fragen kompetenten Kaisers als besseres Oberhaupt der Christenheit denn der Papst. Diese Deutung ist nicht nur hinsichtlich der cäsaropapistischen Selbstinszenierung Maximilians I. und seiner geplanten memorialen Selbstdarstellung, sondern auch angesichts der antikurialen Stimmung im Reich am Vorabend der Reformation einleuchtend.
Die einzelnen Beiträge sind in ihrer jeweiligen Länge recht ausgewogen, gut lesbar, und verzichten auf methodisch-theoretische Überfrachtung. Zum Schluss wird gesondert eine bibliografische Übersicht über die 13 Bände der Deutschen Reichstagsakten der Mittleren Reihe geboten (109), von denen acht bereits vorliegen. Bildnachweis (110), Abkürzungsverzeichnis (111) und Autorenverzeichnis (112) sind ebenso vorhanden, wie ein Register (113-115), das sich bei Stichproben bis auf den unter "Österreich" genannten Babenberger Markgrafen Leopold III. den Heiligen (im Register versehentlich mit dem gleichnamigen Habsburger Herzog verwechselt) als zuverlässig erwies.
Anmerkungen:
[1] So Peter Moraw: Lexikon des Mittelalters VII, 1995, Sp. 640, zitiert bei Jürgen Miethke: Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Friedrich III. (Rezension), in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 10 [15.10.2013], URL: http://www.sehepunkte.de/2013/10/23800.html.
[2] David H. Price: "Großes Unheil wird daraus entstehen". Die Judenpolitik Maximilians I., in: Johannes Reuchlin und der "Judenbücherstreit" (= Tübinger Bausteine zur Landesgeschichte; Bd. 22), hgg. v. Sönke Lorenz / Dieter Mertens, Ostfildern 2013, 199-222.
Manfred Hollegger