Christopher König: Zwischen Kulturprotestantismus und völkischer Bewegung. Arthur Bonus (1864-1941) als religiöser Schriftsteller im wilhelminischen Kaiserreich (= Beiträge zur historischen Theologie; 185), Tübingen: Mohr Siebeck 2018, X + 628 S., ISBN 978-3-16-156069-9, EUR 124,00
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Bereits nach der vorzüglichen Einleitung der Groninger Dissertationsschrift von Christopher König hat man außergewöhnlich viel gelernt. Und auch nach der Lektüre der restlichen Kapitel lässt sich ohne Einschränkungen sagen, es mit einem hervorstechend klugen Buch zu tun zu haben. "Zwischen Kulturprotestantismus und völkischer Bewegung", so der programmatische Titel des Werks, wird der evangelische Theologe Arthur Bonus kenntnisreich in diverse Debatten und Suchbewegungen seiner Zeit eingezeichnet.
Ausgangspunkt der Studie ist die so deutungsbedürftige wie plakative Aussage Bonus' aus dem Jahr 1911: "Wir wollen unsere Religion deutsch" (1). Zu Recht markiert König ein Forschungsdesiderat hinsichtlich der Erforschung des Kulturprotestantismus, wenn er sich "die weltanschaulichen Auseinandersetzungen insbesondere an seinem rechten Rand" (3) zur Rekonstruktionsaufgabe macht. Bonus wird nicht im Stil einer klassischen Biografie erschlossen. Vielmehr gelingt es König, sein in der Einleitung skizziertes Vorhaben umzusetzen, eine "Fallstudie zum Wirkungskreis eines religiösen Intellektuellen" (18) zu fertigen, der an "Kontextualisierung intellektueller Denkstile und ihrer Produzenten" (19) gelegen ist. Arthur Bonus, dem innerhalb der theologiegeschichtlichen Forschung bislang übersichtliches Interesse entgegengebracht wurde, erweist sich hierfür als uneingeschränkt lohnenswerter Fall - vielleicht gerade aufgrund seines vielfachen Grenzgängertums. König wählt in seiner umfangreichen Studie einen überzeugenden Zugriff, der sehr bewusst unterschiedliche Kommunikationszusammenhänge und Textgattungen in den Blick nimmt: Briefwechsel, Rezensionen, Essays, Zeitungsartikel, Beiträge in Zeitschriften, Andachten, Monografien. Es gelingt auf diesem Weg nicht nur die Positionsbestimmung von Arthur Bonus in unterschiedlichen Zusammenhängen - innerhalb der akademischen Theologie, innerhalb des religionsintellektuellen Bürgertums, innerhalb der im weiteren Sinne kulturdeutenden Literatur. Vielmehr wird der Leser auch umgekehrt mit den Gesprächspartnern und Gegnern, mit verwandten und konkurrierenden Anliegen bekannt gemacht. Dazu gehören beispielsweise auch Erschließungen von Zeitschriftenprofilen oder Orientierungen in kirchlicher, theologischer und politischer Publizistik.
Die Systematik des Buches zeichnet einerseits chronologisch das Wirken und Werk von Arthur Bonus nach, versteht es dabei andererseits gleichzeitig, stets zur Kontextualisierung zu verhelfen. Da man es im Werk von Bonus und in der Darstellung von König oftmals mit hart umkämpften Begriffen, Ereignissen, Konzeptionen und Gestalten zu tun bekommt (Nation, Kultur, Religion, Mythos, Liberalismus, Volk, Glaube, deutsch, Jesus, Luther, dem Ersten Weltkrieg etc.), ist es nur sinnvoll, Bonus nicht in werkimmanenter Sterilität wahrnehmen zu sollen, sondern - soweit das in einer so breit angelegten Studie wie der vorliegenden möglich ist - Einblicke zu bekommen in die damaligen Debatten. Diese Debatten zeigen, dass Arthur Bonus zeitlebens umgetrieben war von der Suche nach tauglichen Gegenwartsbewältigungen im Gewand von Zukunftsvisionen, die sich nicht zuletzt im Spielfeld völkischer Konzeptionen fanden und aufstellen ließen. Es ging ihm um das programmatisch Neue, um Aufbruchsrezepte. Bonus war zeitlebens fasziniert von Entwürfen in der - von König erfreulich differenziert gezeichneten - theologischen Landschaft seiner Zeit, die Kirchen-, Kultur- und Gesellschaftskritik verbunden haben mit religiösen Erneuerungsfantasien. Die harsche Kritik, die Bonus an Kirchen und die Theologie richtete, zielte dabei darauf ab, dass er die Religion oder das Christentum gerade als unterschätzt und fehlbestimmt wahrnahm. Die Arbeit von König zeichnet die vielen Pfade nach, auf denen Bonus für eine neue Religion, einen neuen Mythos warb, wie er dies zum dringend angezeigten Kampf zur Überwindung zahlreicher Missstände begriff und welche Gewährsmänner aus Geschichte und Gegenwart er hierfür bemühte. Die national aufgeladene, entkonfessionalisierte Bildungsreligion, die das schöpferische Wirken des Einzelnen als Antidot gegen die Breitseiten der Moderne befand, profiliert König als vielseitig anschlussfähige Vision des theologischen Außenseiters Bonus.
Souverän und so klar wie unaufgeregt zeichnet König dessen Suchbewegungen im Sozialprotestantismus, in der Philosophie Fichtes, Nietzsches und Lagardes, seine Jesus- und Lutherfigurationen, sein lebenslanges, um Abgrenzung bemühtes Ringen mit diversen Spielarten liberaler Theologie, obgleich er viele Elemente des Liberalismus zu retten versuchte, seine energische Verklärung bestimmter 'nordischer' oder 'deutscher' Kulturerzeugnisse, seine auf Assimilation zielende Perspektivierung des Judentums, die sozialdarwinistische Imprägnierung seiner Argumentationen, sein merkwürdiges Mäandern zwischen akademischen Anschlusswünschen und Antiintellektualismus, sein Hadern mit dem Pfarramt und seine publizistischen Tätigkeiten in teils spannungsreich zueinander stehenden Organen nach. Kultur, Nation und Religion sind dabei - wie bei zahlreichen anderen (Religions-)Intellektuellen des Kaiserreichs - zentrale Marker, auf deren Verhältnisbestimmung und inhaltliche Füllung König akribisch Wert legt. Er rekonstruiert sie mit dem Befund dominierender Kontinuitätsmomente in der Krisendiagnostik und im Überwindungsinstrumentarium.
Nach der lehrreichen Einleitung (Kap. 1, 1-74) finden sich sieben weitere Kapitel, die instruktiv Bonus' Programm einer "Germanisierung des Christentums" (Kap. 2, 75-200), eingebettet in die unterschiedlichen "Religions- und Kulturdiskurse bis zur Jahrhundertwende" (201), die von Bonus verfolgte religiöse Reform ("Deutscher Glaube", Kap. 3, 201-310), Zu- und Widerspruch seitens der "modernen Theologie" samt Kirchenkritik und -vision (Kap. 4, 311-392), das von Bonus gemeinte Verhältnis von "Religion, Nation und Liberalismus" (Kap. 5, 393-446) und schließlich die im und gegenüber dem Ersten Weltkrieg als "Kulturkrieg" geformte Haltung (Kap. 6, 447-523) beleuchten. Hinzu treten ein vergleichsweise knapper Ausblick zu "Gefolgschaft und Ablehnung" in der Zeit ab 1932/33 (Kap. 7, 525-546) und eine prägnante Zusammenfassung (Kap. 8, 547-554). Die Studie macht es ihrem Leser zudem leicht, selbst der Vertiefung nachzugehen: neben einem Kurzlebenslauf findet sich ein hierfür so wertvolles wie nützliches Verzeichnis der Publikationen von Arthur Bonus, das König gleichwohl vom Anspruch auf Vollständigkeit entlastet (558-585).
Die elegante, illustrative Sprache und der gleichzeitig angenehm sachliche Stil des Verfassers kommen neben der hochinteressanten, methodisch reflektierten Handhabung der Materie dafür auf, sich durch knapp 600 Seiten arbeiten zu sollen, auf denen König sich so unnachgiebig wie detailbedacht an die Fersen eines am "rechten Rand" (3) des Kulturprotestantismus agierenden Akteurs des Kaiserreichs heftet.
Maren Bienert