Joe Burton: NATO's Durability in a Post-Cold War World (= SUNY series, James N. Rosenau series in Global Politics), New York: Suny Press 2019, XXIV + 269 S., ISBN 978-1-4384-6873-0, USD 25,95
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Bernd Lemke (ed.): Periphery or Contact Zone? The NATO Flanks 1961 to 2013, Freiburg/Brsg.: Rombach 2015
Stefan Maximilian Brenner: Die NATO im griechisch-türkischen Konflikt 1954 bis 1989, Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2017
William H. Hill: No Place for Russia. European Security Institutions Since 1989, New York: Columbia University Press 2018
Moritz Pöllath: Eine Rolle für die NATO out-of-area? Das Bündnis in der Phase der Dekolonisierung 1949-1961, Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2017
Andrew Mumford: Counterinsurgency Wars and the Anglo-American Alliance. The Special Relationship on the Rocks, Washington, DC: Georgetown University Press 2017
William C. Potter / Sarah Bidgood (eds.): Once and Future Partners. The United States, Russia and Nuclear Non-Proliferation, London / New York: Routledge 2018
Odd Arne Westad: Der Kalte Krieg. Eine Weltgeschichte, Stuttgart: Klett-Cotta 2019
Klaus Brummer / Friedrich Kießling (Hgg.): Zivilmacht Bundesrepublik? Bundesdeutsche außenpolitische Rollen vor und nach 1989 aus politik- und geschichtswissenschaftlichen Perspektiven, Baden-Baden: NOMOS 2019
Die NATO feiert 2019 ihr 70-jähriges Bestehen, doch das Jubiläum wird von einer tiefen Krise überschattet. Im Januar 2017 erklärte Donald Trump das Bündnis für obsolet und erschütterte damit das Vertrauen vieler Menschen in die Führungsrolle der USA. Zudem entfachte er den Streit über die Beitragsverpflichtungen der Mitglieder von neuem; kritische Stimmen in den USA warnen, dass die NATO am "deutschen Geiz" zu zerbrechen drohe. [1] Diese Krise und das Jubiläum nimmt sich der neuseeländische Politikwissenschaftler Joe Burton zum Anlass, um in seinem 2019 erschienen Buch der Frage nachzugehen, was das Bündnis eigentlich zusammenhält und warum es 29 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges immer noch eine wichtige Rolle in den internationalen Beziehungen spielt.
Burton ist damit Teil einer breiten Forschungslandschaft, die von zwei unterschiedlichen theoretischen Erklärungsansätzen dominiert wird: erstens einem "Liberal Narrative", wonach die gemeinsamen demokratischen Werte für die nötige Kohäsion sorgen; zweitens einem "Realist Narrative", nach dem äußere Bedrohungen und gemeinsame Sicherheitsinteressen die NATO zusammenschweißen. [2] Burtons Ziel ist es, beide Ansätze in einem "Historical Narrative" zu verbinden und zu zeigen, wie sie in den unterschiedlichen Phasen seit 1991 im Tandem wirkten und das Bündnis durch Krisen und Konflikte führten.
Chronologisch widmet sich der Autor fünf komplexen Themen, die zugleich die Kapitelstruktur des Buches festlegen. Vom Ende des Kalten Krieges ausgehend, untersucht er die Debatten über die NATO-Osterweiterung, die Interventionen in Bosnien und im Kosovo, die Folgen des 11. September, den Krieg in Afghanistan und die Konflikte in Libyen, der Ukraine und den Kampf gegen den Islamischen Staat. Burton bleibt dabei an der Oberfläche öffentlicher Diskurse und stützt sich ausschließlich auf publiziertes Quellenmaterial wie Reden, Interviews und Sekundärliteratur.
Laut "Liberal Narrative" förderte die Globalisierung und politische Instabilität in den 1990er Jahren die Expansion der NATO. Das Bündnis repräsentierte demokratische Werte, Wohlstand und Rechtsstaatlichkeit, wodurch es zum Anker der Stabilität in unruhigen Zeiten wurde. Während sich postsozialistische Staaten von einer NATO-Mitgliedschaft vor allem eine Anbindung an den Westen und wirtschaftliche Prosperität erhofften, sahen die USA und die westeuropäischen Staaten darin ein Mittel zur Demokratisierung Osteuropas, mit dem Ziel langfristig für Sicherheit zu sorgen. Zwar gab es auf Seiten der USA Argumente, die russische Einflusssphäre zurückzudrängen und Russland damit bewusst zu schwächen. Diesen misst Burton aber weniger Gewicht bei, als die von u.a. Bill Clinton nach außen getragene moralische Verpflichtung, die osteuropäischen Staaten nicht wie 1945 sich selbst zu überlassen. Historische Studien deuten da eher in die andere Richtung, werden vom Autor aber nicht berücksichtigt. [3]
Aus Sicht des "Realist Narrative" spielten die Bürgerkriege auf dem Balkan hingegen eine wichtige Rolle. Die NATO musste dort einspringen, wo die UNO und die EU versagten, um internationale Beschlüsse umzusetzen und den Frieden zu sichern. Das führte zu internen Friktionen, am Ende bewies die NATO aber, dass sie auch im neuen sicherheitspolitischen Umfeld als Instrument zur multilateralen militärischen Kooperation gebraucht wurde und in innerstaatlichen Konflikten und zu humanitären Zwecken eingesetzt werden konnte. Dass sich Russland und andere osteuropäische Staaten an der militärischen Friedenssicherung in Bosnien beteiligten, verstärkte zudem das "Liberal Narrative", wonach die NATO der internationalen Zusammenarbeit diene, und verdeutlicht den von Burton beschriebenen Tandemeffekt aus gemeinsamen Sicherheitsinteressen und demokratischen Werten.
Dieses Tandem geriet in der Folge des 11. September in die Krise. Erstmals wurde Artikel 5 des NATO-Vertrags in Kraft gesetzt: Die internationale Solidarität mit den USA im Kampf gegen den Terror war zunächst groß. Doch die Politik der Bush-Regierung spaltete die NATO und stellte das "Liberal Narrative" auf die Probe. Deutschland und Frankreich verweigerten die Gefolgschaft, und die USA trieben mit ihrer "Koalition der Willigen" einen Keil zwischen die neuen und alten Allianzmitglieder. Zugleich dehnten sie die NATO weiter nach Osten aus. Der Irakkrieg 2003 wurde zur Zerreißprobe. Um einem Bruch entgegenzuwirken, weitete die NATO ihr Engagement in Afghanistan aus und verfing sich im bis dato längsten, größten und blutigsten Einsatz ihrer Geschichte. Dennoch half die Fokussierung auf gemeinsame Sicherheitsinteressen, die Krise zwischen den USA und der NATO zu überwinden. Insgesamt ging das Bündnis laut Burton gestärkt aus dieser Phase hervor und erlebte ein "democratic renewal" (142), wonach die europäischen Mitglieder am Ende ihren politischen Einfluss ausbauen konnten. Zugleich sammelte die NATO in Afghanistan wichtige operative Erfahrungen und zeigt, dass sie das einzige Militärbündnis ist, das solch komplexe Einsätze schultern kann. Dass die Mission in Afghanistan scheiterte, ist für den Autor dabei nebensächlich.
Auf die neuen Herausforderungen in Libyen, der Ukraine und Syrien geht Burton abschließend nur kurz ein. Die Intervention in Libyen hatte demnach ambivalente Folgen. Zwar verschaffte die NATO der "Responsibility to Protect" Geltung, zugleich aber unterminierte sie diese, indem sie aktiv einen "Regime Change" betrieb. Durch den Konflikt in der Ukraine und in Syrien droht nun ein Auseinanderdriften der Sicherheitsinteressen der Mitglieder zwischen denen, die Schutz vor Russland suchen, und denen, die ihre Grenzen vor den Folgen des Staatszerfalls in der arabischen Welt und dem Terrorismus sichern wollen. Zugleich werden die demokratischen Grundwerte von immer mehr Mitgliedern in Frage gestellt, wodurch das Tandem aus gemeinsamen Werten und Sicherheitsinteressen an Zugkraft verliert.
Burtons Arbeit bietet einen Überblick über die Entwicklung der NATO seit 1991 und zeigt, wie diese auf verschiedene Krisen und Herausforderungen reagierte. Zugleich stellt er unterschiedliche Argumentationen gegenüber, verknüpft diese und zieht daraus Schlüsse. Diese Gegenüberstellung ist allerdings problematisch, weil die Grenzen zwischen dem (mythologisierenden) Selbstbild der NATO und einer objektiven analytischen Betrachtung verschwimmen. Wenn Burton schreibt: "NATO has always been an alliance of democracies and one committed to democratic values" (170), ist nicht klar, ob das seine Meinung oder die der NATO ist. Anstatt das Selbstbild des Bündnisses zu dekonstruieren, reproduziert er es.
Zudem fehlt dem Leser der eingangs versprochene historisierende Zugriff gänzlich. Obwohl Burton in der Einleitung Parallelen zu älteren Konflikten aufzeigt, wie der Suezkrise 1956 oder der Nachrüstungsdebatte in den 1980er Jahren, versäumt er es, diese wieder aufzugreifen und in seine Betrachtung miteinzubeziehen. Dabei hätte ein Blick in die Zeit vor 1991 sein Argument gestärkt. Demokratische Werte tauchen zwar in den Gründungsdokumenten der NATO auf, spielten im weiteren Verlauf des Kalten Krieges aber keine Rolle und trugen wenig zur Kohäsion bei. Erst nach 1991 gewann das Selbstbild einer demokratischen Allianz an Bedeutung und diente dazu, die Existenz des Bündnisses neu zu legitimieren. Burton verpasst diese Chance und bietet damit zugleich Historikerinnen und Historikern Ansporn, diese Lücke zu schließen und die Geschichte der NATO in der "Post-Cold War World" zu historisieren.
Anmerkungen:
[1] Walter Russel Mead: NATO Is Dying, but Don't Blame Trump. Germany reneges on defense commitments, thumbing its nose at the alliance, in: Wall Street Journal vom 25.03.2019, URL: https://www.wsj.com/articles/nato-is-dying-but-dont-blame-trump-11553555665
[2] Vgl. William H. Hill: No Place for Russia. European Security Institutions Since 1989, New York 2018; Johannes Varwick: NATO in (Un-)Ordnung. Wie transatlantische Sicherheit neu verhandelt wird, Schwalbach 2017; David S. Yost: NATO's Balancing Act, Washington, DC 2014; Wallace J. Thies: Why NATO Endures, New York 2009.
[3] Vgl. Hal Brands: Choosing Primacy: U.S. Strategy and Global Order at the Dawn of the Post-Cold War Era, in: Texas National Security Review 1 (2018) Issue 2, 9-33; Melvyn P. Leffler: Dreams of Freedom, Temptation of Power, in: Jeffrey A. Engel (ed.): The Fall of the Berlin Wall. Revolutionary Legacy of 1989, Oxford / New York 2009, 132-169.
Peter Ridder