Reinhard Bodenmann / Alexandra Kess / Judith Steiniger (Bearb.): Heinrich Bullinger Werke. Zweite Abteilung: Briefwechsel. Bd. 19: Briefe von Januar bis März 1547, Zürich: TVZ 2019, 496 S., ISBN 978-3-290-18186-4, EUR 145,00
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Heinrich Bullinger, emsiger Korrespondent, hellsichtiger Beobachter und meist ausgewogener Kommentator theologischer, kirchlicher und politischer Entwicklungen in Europa, verbrachte in den Jahren 1546/47 sehr viel Zeit mit dem Schreiben und der Lektüre von Briefen. Diese Tatsache war den dramatischen politischen wie auch militärischen Ereignissen jener Monate geschuldet. So nahmen beispielsweise der sich dem Ende zuneigende Schmalkaldische Krieg, die militärischen Erfolge des Kaisers in Süddeutschland, die Krise um Konstanz, aber auch die Ereignisse im Oberdeutschen Raum um Straßburg oder im Rheinland - hier wären beispielsweise die politischen Entwicklungen in Jülich-Berg oder auch im Kurfürstentum Köln zu nennen - in den Korrespondenzen einen großen Raum ein. Bullingers Sammlung, Kommentierung und letztlich die Weitergabe von Informationen diente ihm dabei nicht nur für eine sorgfältige politische Einordnung jener Ereignisse, sondern auch stets für eine angemessene theologische und kirchliche Reaktion darauf.
Der Umfang wie auch die inhaltliche Bedeutung dieser Briefe führte die Bearbeiter dazu, die insgesamt 137 edierten Schreiben, davon 24 aus Bullingers Feder, aus den Monaten Januar bis März 1547 in einem rund 500 Seiten starken Band zusammenzufassen. Eine inhaltlich angemessene Entscheidung. Denn so blieb auch in diesem 19. Band der Bullinger-Briefwechseledition genug Raum für eine umfangreiche Einleitung, für die ausführlichen Inhaltsangaben der einzelnen Briefe, in denen benutzerfreundlich die zentralen Aussagen numerisch erfasst wurden, sowie für die gewohnt zuverlässige Kommentierung in den sach- und textkritischen Apparaten. Ein benutzerfreundliches Register rundet dieses Werk ab.
Reinhard Bodenmann gelingt in seiner Einleitung das Kunststück, nicht nur das dichte Netzwerk von Bullingers Korrespondenten zu analysieren. Er führt zugleich in die Biographie der Korrespondenten ein und nimmt schließlich eine gelungene Kontextualisierung der edierten Briefe unter politischen, theologischen wie auch kirchenhistorischen Aspekten vor. Bemerkungen zum Buch- und Schulwesen wie Überlegungen zur Briefbeförderung runden diese instruktive Einleitung ab.
Die wiedergegebenen Briefe besitzen als historische Quelle höchsten Wert. Sie bieten eine Fülle von Entdeckungen zu kirchlichen, politischen und gesellschaftlichen Prozessen im gesamteuropäischen Kontext, die im Rahmen einer Rezension noch nicht einmal ansatzweise erschöpfend behandelt werden können. Um nur zwei Beispiele zu nennen: So bieten die aus dem Rheinland gerichteten Schreiben nicht nur zum Teil neue Einsichten zur Kölner Reformation oder zur politischen Lage im Doppelherzogtum Jülich-Berg, auch können zusätzliche Erkenntnisse über Bullingers Kölner Studienzeit und das weitere Ergehen seiner Kommilitonen und Lehrer gewonnen werden. Und dass der Zürcher Rat Bullingers Forderung, offenen Widerstand gegen Karl V. zu leisten, um Konstanz wirkungsvoll unterstützen zu können, nicht folgte, bedauerte er, verbunden mit Schuldgefühlen, zutiefst. Alleine die Forderung selbst überrascht, da Bullinger in seiner Argumentation stets militärische Optionen ablehnte. Offensichtlich plädierte er nun doch für den Kriegseintritt zumindest der protestantischen Vier-Orte, setzte sich jedoch mit diesem Vorhaben im Rat nicht durch. In einem Schreiben vom 24. Januar 1547 beklagte Bullinger die Zürcher Mutlosigkeit und die fehlende Bereitschaft, sich im Eintreten für Konstanz der Gefahr und dem Tod auszusetzen; dabei erweisen sich die Zürcher sich nicht nur als menschlich schwach, sondern sogar als boshaft. Diesen Gedanken schloss Bullinger mit der Überlegung ab, dass auch er selbst nicht so sei, wie er eigentlich sein sollte.
Dieser vorgelegte Band der Bullinger-Briefwechseledition hält das hohe editorische Niveau der Vorgängerbände und setzt inhaltliche Maßstäbe, an denen sich andere Editionsprojekte weiterhin werden orientieren müssen. Denn Bullinger selbst sammelte nicht nur eine Fülle von Informationen, er suchte diese auch historisch und zeitgeschichtlich einzuordnen, um auf diese Weise Impulse für die eigene kirchliche, theologische und politische Arbeit gewinnen zu können. Und genau dies gelingt den Bearbeiterinnen und dem Bearbeiter dieser Edition ebenfalls eindrücklich. So wird deutlich: Die Erschließung und Einordnung des riesigen Fundus an Informationen, den der Bullinger-Briefwechsel bereithält, kann nur im Rahmen einer Edition gelingen.
Eine bloße Wiedergabe von transkribierten Briefmanuskripten mag für die Handvoll von Bullinger-Spezialisten eine reizvolle Vorstellung sein, doch selbst Historikerinnen und Historiker mit dem Arbeitsschwerpunkt "Frühe Neuzeit" werden weiterhin dankbar den Kommentierungen, Einordnungen, weiteren Querverweisen, schließlich den Archiv- und Literaturangaben im Rahmen dieser Edition folgen. Durch die Bullinger-Briefwechseledition erschließt sich die Zürcher Quelle der Fachzunft wie einer interessierten Öffentlichkeit gleichermaßen, gewinnt die Zürcher Perspektive auf die europäische Geschichte in der Forschung jene Bedeutung, die ihr tatsächlich auch zukommt.
Den Bearbeiterinnen und dem Bearbeiter bleibt für ihre sorgfältige Editionsarbeit an den Briefen von Januar bis März 1547 zu danken. Nicht nur der Rezensent erwartet die rasche Fortsetzung ihrer Arbeit: Mögen noch zahlreiche Bände innerhalb der Bullinger-Briefwechseledition erscheinen.
Andreas Mühling