Klaus Bästlein: Der Fall Globke. Propaganda und Justiz in Ost und West, Berlin: Metropol 2018, 304 S., 26 s/w-Abb., ISBN 978-3-86331-424-8, EUR 22,00
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Zeitgeschichtlich Interessierten dürfte der Name Hans Globke vor allem aus zwei Gründen vertraut sein. Er repräsentiert jenen Typus des deutschen Juristen und Verwaltungsbeamten, der - ohne je Mitglied der NSDAP gewesen zu sein - nach 1933 entscheidend daran mitwirkte, die nationalsozialistische Rassenideologie in Gesetzestexte, Verordnungen und Rechtskommentare zu gießen. Zudem steht er als Symbol für eine westdeutsche Politik, die wegen ihrer fast schrankenlosen Reintegration von früheren NS-Funktionsträgern bis heute als schwere Hypothek für den demokratischen Neuanfang gilt. Weil Globke als Chef des Bundeskanzleramts bis zu seinem regulären Ausscheiden mehr oder weniger ununterbrochen im Fadenkreuz der nationalen und internationalen Kritik stand, war es für die SED-Propaganda ein Leichtes, diesen Umstand für ihre "antifaschistische Westarbeit" zu nutzen. Einer der Kulminationspunkte der ostdeutschen Kampagnenpolitik war ein großer Schauprozess, den die DDR 1963 in Ost-Berlin gegen den abwesenden Globke veranstaltete.
Obwohl Globkes Wirken im Reichsinnenministerium an sich bekannt ist und auch seine Nachkriegskarriere gerade genauer erforscht wird, ist der DDR-Prozess bislang noch nicht Gegenstand einer eigenen Untersuchung gewesen. Klaus Bästlein, von 2008 bis 2018 Referent beim Berliner Beauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur (früher: Landesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen) und Spezialist für Juristische Zeitgeschichte, möchte diese Lücke füllen. Vor allem zwei Gründe sprechen für ein solches Vorhaben: Erstens liegen auch dreißig Jahre nach Öffnung der Archive noch immer zu wenig gesicherte Erkenntnisse zur Geschichte der ostdeutschen NS-Strafverfolgung vor. Zweitens wird das Thema kommunistischer und nicht-kommunistischer Schauprozesse gerade als ein neues und fruchtbares Forschungsfeld entdeckt, das darauf zielt, die historiographischen Engführungen des Kalten Kriegs zu überwinden [1].
Die ersten Kapitel des Buchs beschäftigen sich mit Globkes Werdegang vor und nach 1945 sowie mit dessen Anteil an der Adenauerschen Reintegrations- und Amnestiepolitik. In geraffter Form werden der personelle Aufbau der Bundesbehörden und die Rolle der sogenannten Beamtengesetzgebung nach § 131 GG geschildert. Über weite Strecken orientiert sich der Autor dabei an der journalistischen Darstellung von Jürgen Bevers, die er ausdrücklich lobt. Neue Erkenntnisse finden sich hingegen nicht, vielmehr fällt Bästlein oftmals hinter den Forschungsstand zurück. So behauptet er etwa in Bezug auf Globkes Tätigkeit vor 1945, dieser sei an der Entstehung der Nürnberger Gesetze nicht unmittelbar beteiligt gewesen. Belege für diese irreführende Feststellung, die der nach 1945 verfolgten Exkulpationsstrategie seines Protagonisten entspricht, liefert er nicht. Die jüngere Ministerien- und Behördenforschung hat im Übrigen herausgearbeitet, dass Globke sowie einige andere Personen aus Adenauers engstem Umfeld eine Schlüsselstellung bei der personalpolitischen Besetzung der künftigen Bundesbehörden einnahmen. Doch diese einschlägigen Untersuchungen nimmt Bästlein erstaunlicherweise nicht zur Kenntnis, sondern zitiert stattdessen aus den Erinnerungen eines früheren Staatssekretärs, der Globkes Einfluss für eher gering hielt.
Der zweite Teil der Darstellung ist vorwiegend der Geschichte der deutsch-deutschen NS-Strafverfolgung und den propagandistischen Auseinandersetzungen um Adenauers wichtigsten Beamten gewidmet. Seine langatmigen Ausführungen zur Geschichte der westdeutschen NS-Prozesse nutzt der Autor vor allem dazu, um die bereits andernorts geäußerten Vorurteile gegen die Arbeit der Ludwigsburger Ermittler zu erneuern. So habe die Zentrale Stelle die Ahndung von NS-Straftaten lediglich "simuliert", weil man damit das westliche Ausland habe beeindrucken wollen (107). Einige Seiten weiter äußert er die krude These, der parlamentarische Kompromiss über eine Verlängerung der Verjährungsfristen sei nur aufgrund massiven Drucks der USA zustande gekommen. Zum verschwörerischen Grundton dieses Buchs passt auch, dass Bästlein das Münchner Institut für Zeitgeschichte als "verlängerte[n] Arm der Bonner Politik" (62) bezeichnet, das sich daran beteiligt habe, hochrangige "Schreibtischtäter" in den Bonner Behörden zu schützen. Dies verbindet er mit der spekulativen Behauptung, der eigentliche Initiator des Ost-Berliner Globke-Prozesses sei der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer gewesen.
Das durchgehend düstere Panorama, das der Verfasser von der westdeutschen Aufarbeitung zeichnet, dient ihm vor allem als Kontrastfolie, um die Geschichte der ostdeutschen NS-Strafverfolgung in möglichst hellem Licht erstrahlen zu lassen. So werden, nach dem altbekannten Muster des propagandistischen Schlagabtauschs im Kalten Krieg, in ebenso selektiver wie plakativer Weise Verurteilungszahlen ausgebreitet, die belegen sollen, dass die ostdeutschen NS-Ermittlungen im deutsch-deutschen Vergleich effektiver gewesen seien. Ausgeblendet bleibt hingegen die für die DDR typische Instrumentalisierung von alliierten Strafnormen zur Verfolgung von Opposition und Widerstand. Auch der selektive und funktionale Umgang der DDR mit dem Völkerstrafrecht wird nicht problematisiert. Weder findet sich ein Hinweis darauf, dass die Völkermordkonvention erst ein Vierteljahrhundert nach Kriegsende ratifiziert wurde, noch werden die verspäteten verfassungsrechtlichen Änderungen von 1968 erwähnt, mit denen das Nürnberger Recht übernommen wurde.
Nach gut einhundert Seiten ist dann erstmals vom Globke-Prozess die Rede. Der Autor greift hier vor allem auf Pressesammlungen zurück, mit denen er die Rezeption des Prozesses in Ost und West nachzeichnet. Er zeigt zum einen, dass der Prozess von einer aufwändigen medienpolitischen Kampagne begleitet war, die sich gleichermaßen auf die DDR-Printmedien, das Fernsehen und die ostdeutsche Filmproduktion erstreckte. Bemerkenswert ist auch, dass die Resonanz in den westdeutschen Medien und im westeuropäischen Ausland keineswegs durchgehend negativ ausfiel. Die Vielzahl der erfassten Stimmen kann daher als Indiz dafür gelten, dass das von der SED verfolgte Ziel einer Internationalisierung des Verfahrens eine beschränkte Wirkung entfaltete. Doch statt sich mit solchen relevanten Fragen auseinanderzusetzen, bricht die Darstellung schon nach wenigen Seiten ab. In grenzenlosem Vertrauen zu seinem Material lässt der Autor stattdessen nur noch die Akten "sprechen".
Das letzte Drittel des Buchs fällt gewissermaßen unter die Kategorie "Kurioses". Hier werden seitenweise und unkommentiert Exzerpte der Ost-Berliner Urteilsschrift wiedergegeben. Damit sucht Bästlein seine Ausgangsthese zu untermauern, der Globke-Prozess habe angeblich Maßstäbe für die juristische Aufarbeitung des Judenmords gesetzt. Denn obwohl das Verfahren "als Schauprozess" vorbereitet und damit "rechtsstaatswidrig" gewesen sei, so Bästlein, sei das Urteil "juristisch einwandfrei" und damit weder in rechtlicher noch historischer Hinsicht zu beanstanden (8). Wie es möglich sein soll, dass ein kommunistischer Schauprozess wesentliche Erkenntnisse einer jahrzehntelangen NS- und Holocaust-Forschung antizipiert, erklärt der Autor freilich nicht, so wie er überhaupt in Bezug auf seinen Standort auffallend einsilbig bleibt. Mit seinem reißerischen Ton und der offenkundigen Geringschätzung gegenüber Historikerinnen und Historikern, die andere Auffassungen als seine vertreten, hat er jedenfalls sowohl der Zeitgeschichte als auch der politischen Bildung einen Bärendienst erwiesen.
Anmerkung:
[1] Vgl. Kim Christian Priemel über Katharina Werz: Der Schauprozess im 20. Jahrhundert in Deutschland. Begriff, Funktion und Struktur anhand ausgewählter Beispiele, Berlin 2016, in: H-Soz-Kult, 31.7.2018, URL: https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-25909; vgl. auch Annette Weinke, Der Feind vor Gericht. Schauprozesse im kommunistischen Osteuropa, Erfurt 2016.
Annette Weinke