Daniel Hershenzon: The Captive Sea. Slavery, Communication, and Commerce in Early Modern Spain and the Mediterranean, Philadelphia, PA: University of Pennsylvania Press 2018, X+ 289 S., ISBN 978-0-8122-5048-0, USD 55,00
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Nach einer langen Phase ständiger militärischer Auseinandersetzungen einigten sich Habsburg und die Hohe Pforte im Jahre 1581 auf einen Waffenstillstand. Politisch wandten sich beide Großmächte in der Folgezeit von dem Mittelmeer ab und richteten ihre Interessen in andere Regionen. Habsburg musste sich um die Niederlande kümmern und konzentrierte sich in der Folgezeit verstärkt auf seine Kolonien in Amerika, wohingegen die Osmanen ihren Blick nach Osten in Richtung des Safavidenreiches lenkten. Zudem unterschrieb König Philipp III. von Spanien (gest. 1621) 1609 einen Erlass, der die Ausweisung aller Morisken aus Spanien anordnete. Damit hatten ein Jahrhundert nach der Vertreibung der Juden von der Iberischen Halbinsel auch die Muslime das Land zu verlassen. Die meisten von ihnen begaben sich in die islamischen Herrschaftsgebiete in Nordafrika. Das entstandene Machtvakuum wurde im westlichen Teil des Mittelmeeres sehr schnell durch freibeuterische Aktivitäten verschiedener christlicher und muslimischer Akteure gefüllt. Hershenzon postuliert nun, dass es trotz - oder jenseits - des permanenten militärischen Konfliktzustandes und der religiösen Antagonismen gerade durch die Verknüpfung von Gefangennahme, Versklavung und Loskauf immer auch die Bildung von Netzwerken sowie einen intensiven Austausch von Waren, Ideen und Wissen in der Region gegeben hat: "This book argues that piracy, captivity, and redemption shaped the western Mediterranean as an integrated region socially, politically, and economically. It explores the entangled experiences of Muslim and Christian captives and by extension the entangled histories of the Spanisch Empire, Morocco, and Ottoman Algiers in the seventeenth century" (4-5)
Für sein Buch hat Daniel Hershenzon sehr unterschiedliche Quellen ausgewertet, insbesondere Bittbriefe, Schreiben an die Verwandtschaft und offizielle Institutionen, nachrichtendienstliche Berichte, captive narratives, Geographien, Tagebücher und archivalisches Material. Leider sind die Angaben nicht sehr ausführlich. Hier hätte man sich etwas mehr Informationen gewünscht.
Das Werk ist zweigeteilt, wobei jeder Teil aus drei Kapiteln besteht. Zunächst geht es um die Hauptprotagonisten, nämlich um die versklavten Personen, die Ordensbrüder und die anderen Mittelsmänner in dem Freikaufgeschäft sowie um die beteiligten Herrscher. Ein näherer Blick auf die Lebensläufe von Gefangenen zeigt, dass Gefangenschaft, Versklavung, Aufenthalt in der Fremde, Freilassung und Rückkehr für eine große Dynamik und transkulturelle Mobilität der einzelnen Personen sorgten. Auf die Auslösung von Sklav*innen in Nordafrika hatten sich in katholischen Gebieten bekanntermaßen zuvörderst der Trinitarier- und der Mercedarierorden spezialisiert. Auf protestantischer Seite bildete man für diesen Zweck Sklavenkassen. Grundsätzlich konkurrierten beide Einrichtungen mit zahlreichen Händlern, die an dieser speziellen Art des Menschenhandels profitieren wollten. Alle Akteure mussten sich gegenüber durchaus einflussreichen Stimmen zur Wehr setzen, die diese Praktiken als Schwäche kritisierten und beendet wissen wollten. Die muslimischen Machthabe veranlassten ebenfalls in größerem Maßstab die Rückholung ihrer Religionsgenoss*innen aus den christlichen Regionen, obwohl es auch hier viele Einzelinitiativen gab. Auf den Freikaufprozess an sich geht Hershenzon abschließend in einem weiteren Abschnitt des ersten Teils anhand einiger repräsentativer Beispiele ausführlicher ein.
Die eigentliche Wissenszirkulation und deren Bedeutung für die Vernetzung und Verflechtung des westlichen Mittelmeerraumes stehen dann im Mittelpunkt des zweiten Teils. Schreiben, die die Gefangenen an ihre Verwandtschaft, Freunde und Vertreter ihrer Religionsgemeinschaft schickten, verdeutlichen anschaulich die Breite und die Intensität des Informationsflusses. Da wird über die mangelnde Zuverlässigkeit der Zustellung der Briefe geklagt oder über Todesfälle, die Zustände in der "Fremde" und familiäre Angelegenheiten berichtet. Ein zentrales Thema stellt Gewalt dar. In kommunikationstheoretischer Hinsicht sei die Verletzung der körperlichen Unversehrtheit, so Hershenzon, sogar positive zu bewerten: "violence against captives generated, rather than disrupted, communication: slaves wrote to their families; kin pleaded with their rulers; Maghribi governors sent messages to Spain; redeeming friars delivered those messages; royal officials contracted local officials ordering investigations; local officials reported back to Madrid; and, having decided how to react, the Council of War and Council of State informed the pasha and the divan on their decision." (139)
Die spanischen Behörden und Herrschaftseliten erhielten zu Beginn des 17. Jahrhunderts trotz der oben skizzierten politischen Neuausrichtung des Habsburgerreiches sehr viele Informationen über die von muslimischen Mächten kontrollierten nordafrikanischen Regionen. Dazu zählten die geographisch-historischen Beschreibungen von Luis del Mármol Carvajal (gest. 1600), Diego de Torres (gest. um 1580), Antonio de Sosa (gest. nach 1581) und Leo Africanus (lebte in der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts) ebenso wie detaillierte (mündliche wie schriftliche) Berichte ehemaliger Sklaven oder dafür bezahlter Informanten. Der Leser/die Leserin lernt, wie Gefangene in der Produktion aller Arten von Wissen über aktuelle Angelegenheiten in feindlichen Gebieten instrumentalisiert wurden. Das Buch schließt mit vier repräsentativen Einzelfällen. Daniel Hershenzon beschreibt den jeweiligen historischen Kontext und bettet sie in die Fragestellungen seiner Abhandlung ein. Dabei streift er noch einmal die wichtigsten Themen: "the interdependence of the captivities of Muslims and Christians, the relations between commerce and redemption, the role of violence against captives in generating communication, and the informational networks the world of ransom engendered." (165)
Die Studie von Daniel Hershenzon bietet eine sehr lesenswerte Interpretation des Handels, der im 17. Jahrhundert mit dem Loskauf von Sklav*innen oder Gefangenen im westlichen Mittelmeerraum verbunden war. Die These, dass die damit verbundenen Aktivitäten und vor allem Mobilitäten ein Informationsnetzwerk kreierten, das jenseits der politischen und religiösen Feindschaften für eine intensive Verknüpfung des Raumes sorgte, ist überaus interessant. Gleichwohl sollten aber auch der ebenfalls verflechtend wirkende Austausch von Waren und kulturellen Erzeugnissen nicht in den Hintergrund gedrängt werden.
Stephan Conermann