Markus Meumann / Andrea Pühringer (eds.): The Military in the Early Modern World. A Comparative Approach (= Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit; Bd. 26), Göttingen: V&R unipress 2020, 312 S., 4 Abb., ISBN 978-3-8471-1013-2, EUR 45,00
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Der englischsprachige Sammelband präsentiert die Beiträge einer Tagung des Arbeitskreises Militär und Gesellschaft, die 2013 in Potsdam stattfand. Er enthält zwölf Fallstudien, die die Bedeutung des frühneuzeitlichen Militärs als Herrschaftsinstrument, als Lebenswelt und als Ergebnis vormoderner Gewaltökonomie herausarbeiten. Die Aufsätze decken weit verstreute geographische Gebiete in Europa, Ostasien und im kolonialen Nordamerika ab. Mit seinem vergleichenden Zugang ermöglicht der Band zugleich synchrone Unterscheidungen wie auch diachrone Entwicklungen des Militärischen zwischen 1600 und 1800 nachzuvollziehen.
Die Untergliederung des Buches orientiert sich an den untersuchten Weltregionen. In Sektion I ("The Empire") gehen Andrea Pühringer, Carmen Winkel und Stefan Kroll der Bedeutung von Armeen im Habsburgerreich, in Brandenburg-Preußen und in Kursachsen nach. Pühringer entlarvt das feindliche Osmanische Reich als Katalysator für die Modernisierung des habsburgischen Militärs, was erheblich zur Militarisierung der österreichischen Gesellschaft insgesamt beigetragen habe. Winkel bemüht sich an ihrem Beispiel zu zeigen, dass Armeen mehr waren als das Herrschaftsinstrument absolutistischer Fürsten. Vielfältige Aushandlungsprozesse (zwischen Kriegsherren, Kommandeuren und Offizieren) spielten im Militär eine ebenso große Rolle wie in der frühneuzeitlichen Gesellschaft generell. Heere waren nach Winkel somit zugleich "an instrument of power, a means to represent authority, an important means of integration for foreign elites, and finally the space in which nobility and monarch cooperated on varied levels". (87) Kroll beschwört die enge Verbindung zwischen Militär- und Zivilgesellschaft in der kursächsischen als der zeitweise drittstärksten Armee im frühneuzeitlichen Europa nach Österreich und Preußen. Die überterritoriale, ja europäische bzw. internationale Dimension der sächsischen, aber auch vieler anderer Streitkräfte im Subsidienwesen des 17. und 18. Jahrhunderts wird dabei leider völlig ausgeblendet, beschränkte sich die Bedeutung dieser Armee doch keinesfalls auf die Verteidigung des eigenen Herrschaftsgebietes. Sie stellte vielmehr ein vielfältig einsetzbares politisches Instrument dar.
Der Appell zum Zusammendenken militärischer und ziviler Gesellschaften setzt sich in Sektion II ("Western Europe") fort. Enrique García Hernán geht gar einen Schritt weiter und unterstreicht am Beispiel der zwischen 1535 und 1574 spanisch besetzten nordafrikanischen Stadt Tunis, "that the effective exercise of European military authority was dependent on collaboration with the local population". (125) Verschiebungen zwischen den beiden Gruppen als Folge der Professionalisierung der Soldaten im Laufe der Frühen Neuzeit stellt Olaf von Nimwegen für die Niederlande fest. Hervé Drévillon widmet sich den französischen Soldaten des 18. Jahrhunderts im Spannungsfeld von Individualität und Uniform(ität) bzw. von Untertänigkeit, Freiheit, Ehre und Heldentum.
In der dritten Sektion zu Nordost- und Südosteuropa erweitert Mikko Huhtamies die dominierenden Vorstellungen einer europäischen, auf Landstreitkräfte fokussierten Militärgeschichte um die schwedische "floating army". Die von Daria Starčenko vorgestellten Kosaken wurden im 16. und 17. Jahrhundert ebenfalls teilweise zu Wasser eingesetzt, nämlich im osmanisch kontrollierten Schwarzen Meer. Deren Aktivitäten waren bisher nur als "some sort of a side effect of unruly subjects on the periphery" (207) bekannt, stellten aber in Wirklichkeit einen eigenen und signifikanten Sektor dar, existierte in dieser Region doch einer der größten Gewaltmärkte der Frühneuzeit. Die Kosaken trugen maßgeblich zur Militarisierung des zuvor infrastrukturell kaum erschlossenen Schwarzen Meeres in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts bei. Dass Streitkräfte nicht nur im Krieg, sondern auch im Frieden wichtige Aufgaben wahrnahmen, demonstriert Rhoads Murphey am Beispiel der osmanischen Janitscharen, deren Status sich im Lauf der Epoche stark wandelte. Überhaupt kommt Friedenszeiten, die bei der Fokussierung der Militärgeschichte auf Konflikte ins Hintertreffen zu geraten drohen, in mehreren Beiträgen des Bandes eine prominente Rolle zu.
Als in vergleichender Perspektive besonders aufschlussreiche Betrachtungen nehmen sich in Sektion IV (Ostasien und Nordamerika) die Beiträge von Shinko Taniguchi zu japanischen Samuraikriegern und von Kiyohiko Sugiyama zu den Streitkräften der Qing-Dynastie, die China zwischen 1644 und 1912 beherrschte, aus. Abschließend zeigt Daniel Krebs am Beispiel Kolonialnordamerikas, dass nicht nur die europäische Frühe Neuzeit ein bellizistisches Zeitalter war: In den rund eineinhalb Jahrhunderten zwischen 1603 und 1763 verbrachten auch die nordamerikanischen Kolonien etwa ein Drittel der Zeit im Kriegszustand. Der Zusammenprall der Militärkultur europäischer Siedler, die nicht in einem stehenden Heer, sondern in Milizen organisiert waren, mit den Taktiken der nordamerikanischen Ureinwohner setzte bisher kaum beachtete gegenseitige Lern- und Adaptionsprozesse frei.
Immer wieder scheinen in den methodologisch äußerst vielfältig ausgerichteten Beiträgen zentrale Aspekte der Begriffs- und Forschungsgeschichte zu Militär, Gewalt und ihrer Historiographie sowie aktuelle Forschungsdebatten auf: die Überwindung der Trennung von Militär- und Zivilgesellschaft und ihrer separaten Geschichtsschreibung in westlichen Gesellschaften, die Abkehr vom Eurozentrismus der Forschung und die stärkere Miteinbeziehung nicht- und parastaatlicher Gewaltakteure zugunsten einer umfassenden 'Kulturgeschichte der organisierten Gewalt' (12). Die Zusammenschau der Aufsätze macht vor allem die enge Verbindung von gesellschaftlichen Wandlungsprozessen, militärtechnologischer Entwicklung und der Ausweitung des staatlichen Gewaltmonopols deutlich. Als drei wichtige Ergebnisse sind festzuhalten: 1. Die Entwicklung von Militärapparaten und Gewaltmärkten in den jeweiligen Gebieten basierte auf transnationalen Grundlagen. 2. Die Bedeutung geburtsständischer Privilegien im Militär und damit einhergehend die Lebensbedingungen in den Regimentern und deren gesamtgesellschaftlicher Status wandelten sich im Laufe der Frühen Neuzeit in zahlreichen Territorien. 3. Der verstärkt im 19. Jahrhundert aufkommende (National-)Patriotismus in den Armeen baute in vielen Gebieten auf älteren Konzepten von Loyalität und Gefolgschaft auf.
Die einzelnen Sektionen profitieren zusätzlich davon, dass ihre Inhalte jeweils von Experten (Martin P. Schennach, Ronald G. Asch, Hans-Jürgen Bömelburg, Marian Füssel) zusammengefasst und miteinander in Beziehung gesetzt werden. Anders als bei vielen Tagungsbänden finden sich die Kommentare der Sektionsleiter hier verschriftlicht ihrer jeweiligen Sektion vorangestellt - Kommentare, von denen allerdings mancher zu einer Art auffallend kritischer Protorezension im eigenen Band zu geraten droht. Der ein oder andere Aufsatz scheint über weite Strecken - und damit ungewöhnlich für dieses Format - zu einem Literaturüberblick bzw. einer Sammelrezension über die einschlägigen Erscheinungen der letzten Jahre auszuufern (92-97). Zu bedauern ist weiterhin der lange Zeitraum zwischen der Tagung und der Publikation ihrer Beiträge in dem Band, der sich selbst als "a performance record of the New Military History of the Early Modern Period [...] over the past 20 to 25 years" (25) aus einer möglichst globalen Perspektive versteht. Diese Verzögerung schmälert die Aktualität der Aufsätze und die Wahrnehmung ihrer Ergebnisse in der zügig voranschreitenden Forschung, etwa bezüglich des Gewaltmarktbegriffes (175): Der Band beklagt dessen noch geringe Aufnahme in der europäischen Forschung, inzwischen hat dieses Konzept aber längst als breit rezipiert und elaboriert zu gelten. Diesen Nachteil vermag die vollständige Englischsprachigkeit des Bandes, so bleibt es zu hoffen, ein Stück weit wettzumachen, ermöglicht sie doch seine zwar späte, dafür aber umso weiträumigere Wahrnehmung in der internationalen Academia.
Andreas Flurschütz da Cruz