Claire Gantet / Markus Meumann: Les échanges savants franco-allemands au XVIIIe siècle. Transferts, circulations et réseaux (= Histoire), Rennes: Presses Universitaires de Rennes 2019, 356 S., 13 s/w-Abb., ISBN 978-2-7535-7820-3, EUR 28,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Ulrich Niggemann: Immigrationspolitik zwischen Konflikt und Konsens. Die Hugenottenansiedlung in Deutschland und England (1681-1697), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2008
Bettina Scherbaum: Die bayerische Gesandtschaft in Rom in der frühen Neuzeit, Tübingen: Niemeyer 2008
Alessandro Valignano: Dialogo sulla missione degli ambasciatori giapponesi alla curia romana e sulle cose osservate in Europa e durante tutto il viaggio. basato sul diario degli ambasciatori e tradotto in latino da Duarte de Sande, sacerdote della compagnia di Gesù. A cura di Marisa Di Russo. Traduzione di Pia Assunta Airoldi. Presentazione di Dacia Maraini, Florenz: Leo S. Olschki 2016
Jörg Rogge / Markus Meumann (Hgg.): Die besetzte res publica. Zum Verhältnis von ziviler Obrigkeit und militärischer Herrschaft in besetzten Gebieten vom Spätmittelalter bis zum 18. Jahrhundert, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2006
Claire Gantet: Guerre, paix et construction des États 1618-1714, Paris: Éditions du Seuil 2003
Claire Gantet: La Guerre de Trente Ans 1618-1648, Paris: Tallandier 2024
Im Jahre 1985 veröffentlichten die Germanisten und Kulturhistoriker Michel Espagne und Michael Werner einen kurzen Aufsatz in der Zeitschrift "Francia", der Forschungsgeschichte schrieb: In ihrer Problemskizze stellten sie ihr Forschungskonzept "Kulturtransfer" vor. [1] Seither leisteten dieses (in späteren Publikationen geschärfte und weiterentwickelte) Konzept sowie die kritische Auseinandersetzung hiermit wesentliche Forschungsimpulse, die weit über ihren Entstehungskontext - die französische Germanistik im engeren und die deutsch-französische Kulturtransfer-Forschung im weiteren Sinne - hinausreichen. Die kritische Reflexion über die analytischen Möglichkeiten und Grenzen des Kulturtransfer-Paradigmas führte zu einer intensiv geführten methodischen Debatte sowie zur Entwicklung konkurrierender theoretischer Ansätze und alternativer Forschungskonzepte wie der Histoire croisée [2].
Trotz kritischer Vorbehalte, die in den vergangenen Jahrzehnten gegen das Kulturtransfer-Konzept formuliert wurden, scheint seine methodische Anziehungskraft weiterhin ungebrochen. So führt auch der jüngst von Claire Gantet und Markus Meumann herausgegebene Sammelband über Austauschprozesse zwischen Gelehrtenkulturen in französisch- und deutschsprachigen Räumen des 18. Jahrhunderts die vielversprechenden Potentiale der Transferforschung vor Augen. Dabei erweist sich gerade die Öffnung gegenüber Konzepten, die nicht als Alternativen, sondern als Ergänzungen zum (Kultur-) Transfer konzipiert sind wie "circulations" (Zirkulationsprozesse) und "réseaux" (Netzwerke), als für die analytische Entschlüsselung von komplexen Austauschprozessen besonders fruchtbar.
Der auf einer im November 2016 in Fribourg veranstalteten Tagung aufbauende Sammelband zeichnet sich durch eine bemerkenswerte, sowohl methodische als auch thematische Kohärenz aus. Die in den 16 Beiträgen des Hauptteils untersuchten Fallbeispiele werden durch jeweils auf die konzeptionellen Fragen und Probleme fokussierte Texte (eine Einleitung der Herausgeber und ein Fazit von Michel Espagne) eingerahmt. Sämtliche Beiträge sind in französischer Sprache publiziert.
In ihrer Einleitung plädieren Gantet und Meumann für eine Offenheit der methodischen Zugänge unter Einschluss der Komparatistik. Zentral ist für die von ihnen vorgestellten Forschungen zu den Gelehrtenkulturen des 18. Jahrhunderts jedoch die Trias transferts - circulations - réseaux. Das an den Konstruktionen nationaler Identitäten des 19. Jahrhunderts entwickelte Kulturtransfer-Paradigma wird hierbei an die pluralen und fluktuierenden (sprachlichen wie kulturellen) Grenzen und Grenzräume des 18. Jahrhunderts angepasst. Insofern verweisen die Begriffe "deutsch" und "französisch" im Titel des Buches nicht auf Frankreich und Deutschland im engeren Sinne, sondern beziehen sich auf deutsch- bzw. französischsprachige Räume im weiteren Sinne (sowie auf das Heilige Römische Reich deutscher Nation im Allgemeinen) unter Einbeziehung der Vereinigten Provinzen der Niederlande und der Schweiz. Darüberhinausgehend werden "deutsch-französische" Transfers als integrative Elemente übergreifender (europäischer oder auch europäisch-asiatischer) Austauschprozesse konzeptionalisiert. Dem Plädoyer für eine je nach analysierter Problematik und verfolgter Fragestellung "variable Geometrie" der Untersuchungsräume entspricht die Abkehr von dualen Raumkonzeptionen, wie sie etwa dem Binom Zentrum-Peripherie zugrunde liegen.
Obwohl die Herausgeber dem Konzept "circulation" eine größere Geschmeidigkeit bei der Analyse der Komplexität des Gelehrtenaustauschs im 18. Jahrhundert attestieren, droht dieser Begriff ihnen zufolge den Blick auf die den Austausch prägenden semantischen Transformationen und Verschiebungen - die "produktive Umdeutung" in der Diktion Espagnes und Werners von 1985 [3] - zu verstellen. Insofern Austausch- und Transferprozesse die Existenz von Netzwerken voraussetzen, plädieren sie daher für einen situativ gebundenen Gebrauch der Konzepte "transferts", "circulations" und "réseaux".
Räume und kulturelle Vermittler stehen im Mittelpunkt des ersten der vier Hauptteile, in denen die 16 Aufsätze des Sammelwerkes angeordnet sind. Die drei Beiträge dieses ersten Hauptteils von Antony McKenna, Florence Catherine und Lisa Kolb / Martin Stuber thematisieren mit Pierre Bayle und Albrecht von Haller Protagonisten des Gelehrtenaustausches zwischen dem ausgehenden 17. und dem 18. Jahrhundert. In räumlicher Hinsicht verdeutlicht diese erste Sektion die wichtige Rolle der Schweiz und des brandenburgischen Refuge für Austauschprozesse zwischen französisch- und deutschsprachigen Räumen.
Da bereits die Urheber des Kulturtransfer-Paradigmas die Aneignungs- und Adaptionsprozesse hervorgehoben haben, die (kulturellen) Transfers inhärent sind, ist es folgerichtig, dass ein weiterer Hauptteil sich mit dem Problemfeld "Langues et intertextualités" befasst. Übergreifende thematische Schwerpunkte dieses fünf Beiträge von Helmut Zedelmaier, Flemming Schock, Ulrich Johannes Schneider, Vincent Robadey und Élisabeth Décultot umfassenden zweiten Hauptteils lassen sich im Bereich der Enzyklopädien, Periodika und Kernbegriffe gelehrter Debatten im 18. Jahrhundert ausmachen, denen auch unterschiedliche Konzeptionen von Wissenschaftlichkeit innewohnten.
Der dritte Hauptteil befasst sich mit der Rolle von Politik und Institutionen. Die drei Aufsätze von Kirill Abrosimov, Anne Saada und Avi Lifschitz befassen sich mit der "Kulturpolitik" des bayerischen Kurfürsten Maximilians II. Emanuel in Auseinandersetzung mit einem französischen "Modell", der zentralen Funktion, die Göttingen mit seiner Bibliothek, seiner Universität und seinen Publikationsorganen in den Austauschprozessen des 18. Jahrhunderts zukam, sowie mit den Preisfragen der Berliner Akademie als Vektoren intellektueller Transfers.
Der vierte Hauptteil behandelt unter dem Titel "Dissimulations et diffusions" Formen, Prozesse und Strategien der Verbreitung gelehrten Wissens. Ein übergreifendes Problem, das in den meisten der fünf Beiträge von Martin Mulsow, Cécile Lambert, Pierre-Yves Beaurepaire, Claire Gantet sowie Markus Meumann behandelt wird, betrifft die Vermessung von klandestinen, privaten und öffentlichen Räumen der Wissenszirkulation.
Die Beiträge des Bandes widerlegen eindrücklich die bisweilen noch immer anzutreffende Vorstellung der Einseitigkeit der Transfers von Frankreich nach Deutschland. Michel Espagne erkennt im französischen 18. Jahrhundert sogar Spuren eines "tropisme allemand" (318). Grundsätzlich mahnt er jedoch zur Vorsicht bei der Verwendung nationaler Attribute im Hinblick auf das 18. Jahrhundert und deutet Formen nationaler Identität als temporäre Konfigurationen im Rahmen flexibler räumlicher Koordinaten. Sowohl für den deutsch- als auch den französischsprachigen Raum hebt Espagne zu Recht die Bedeutung diplomatischer Netzwerke bei der Wissenszirkulation hervor, die nicht nur am Beispiel Göttingen deutlich werde.
Mit seinen ausgewogenen methodischen Reflexionen und inhaltlichen Erträgen liefert der Band einen wesentlichen Beitrag zur Erforschung von Transferprozessen im Zeitraum zwischen 1680 und 1800, der darüber hinaus zahlreiche Anregungen und Anknüpfungspunkte für weitere Forschungen verspricht.
Anmerkungen:
[1] Michel Espagne / Michael Werner: Deutsch-französischer Kulturtransfer im 18. und 19. Jahrhundert. Zu einem neuen interdisziplinären Forschungsprogramm des C.N.R.S., in: Francia. Forschungen zur Westeuropäischen Geschichte 13 (1985), 502-510.
[2] Zur Grundlegung dieses Konzepts vgl. u. a. Michael Werner / Bénédicte Zimmermann: Vergleich, Transfer, Verflechtung. Der Ansatz der Histoire croisée und die Herausforderung des Transnationalen, in: Geschichte und Gesellschaft 28 (2002), 607-636. Zum zeitgenössischen Stand der Diskussion um das Kulturtransfer-Paradigma und alternative theoretische Zugänge: Matthias Middell: Kulturtransfer und Historische Komparatistik - Thesen zu ihrem Verhältnis, in: Comparativ 10 (2000), 7-41.
[3] Espagne / Werner, Deutsch-französischer Kulturtransfer (wie Anm. 1), 508.
Guido Braun