Rezension über:

Benoît Chazal: La Rhétorique du blâme dans l'Histoire Auguste (= Polen-Pouvoirs, Lettres, Normes; 20), Paris: Classiques Garnier 2021, 445 S., ISBN 978-2-406-10610-4, EUR 34,00
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Rezension von:
Dennis Pausch
Institut für Klassische Philologie, Technische Universität, Dresden
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Dennis Pausch: Rezension von: Benoît Chazal: La Rhétorique du blâme dans l'Histoire Auguste, Paris: Classiques Garnier 2021, in: sehepunkte 23 (2023), Nr. 4 [15.04.2023], URL: https://www.sehepunkte.de
/2023/04/37527.html


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Benoît Chazal: La Rhétorique du blâme dans l'Histoire Auguste

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Das hier zu besprechende Buch stellt die Publikation einer an der Sorbonne Nouvelle (Paris 3) entstandenen Doktorarbeit dar und untersucht die abwertende Charakterisierung von Kaisern in der sog. Historia Augusta. Die entsprechenden Stellen werden dabei als Schnittmenge zwischen einer biographisch-historisch und einer rhetorisch geprägten Darstellungsweise verstanden. In der recht substantiellen Einleitung (Introduction, 11-40) werden die nicht wenigen mit dieser spätantiken Sammlung von Herrscherbiographien verbundenen Rätsel und Fragen (nach dem Autor, der Abfassungszeit, der historischen Glaubwürdigkeit und den literarischen Intentionen) behandelt und im Wesentlichen im Einklang mit der communis opinio beantwortet. Allerdings fällt hier, wie auch beim Blick in das nicht allzu umfangreiche Literaturverzeichnis auf, dass die verwendeten Titel einen klaren Schwerpunkt in der französischsprachigen Forschung haben.

Das erste der drei Hauptkapitel (Les constructions morales de l'Histoire Auguste, 41-145) versucht die Kriterien für die Bewertung der dargestellten Personen zu rekonstruieren, die vom anonym bleibenden Verfasser der Historia Augusta oft deutlich expliziter als beispielsweise von Sueton vorgenommen werden. Dabei werden neben den einschlägigen Vorstellungen einzelner Tugenden und Laster unter anderem die literarischen Interessen und die Umstände ihres Todes einer näheren Betrachtung unterzogen. Abschließend werden mit Hadrian, Septimius Severus und Aurelian drei weder eindeutig positiv noch klar negativ geschilderte Herrscher vorgestellt, um auf diese Weise die vorher gemachten Beobachtungen einem ersten Test zu unterziehen.

Auf dieser Grundlage wendet sich das zweite Kapitel (Figures, thèmes et motifs emblématiques de la rhétorique du blâme, 147-291) einigen der zur Negativcharakterisierung verwendeten Techniken zu. Dabei wird zunächst der Beitrag der Nebenfiguren für die Bewertung der Kaiser beleuchtet und an der Rolle verdeutlicht, die falsche Gefolgsleute, Denunzianten und Attentäter in den einzelnen Viten spielen können. Danach wird mit der Übernahme orientalisch kodierter Verhaltensweisen (v.a. im Bereich der Religion oder Sexualität) ein inhaltliches Feld behandelt, das an vielen Stellen der Sammlung eine wichtige Rolle spielt und daher auch hier ausführlich behandelt wird. Im abschließenden Teil werden dann mit der Bedeutung der Physiognomie, der Verwendung direkter Rede und dem Umgang mit Majestätsbeleidigung drei weitere Aspekte aufgegriffen, die fraglos alle ihre Berechtigung haben, in dieser Zusammenstellung aber nicht systematisch verbunden sind und daher ein wenig beliebig herausgegriffen wirken.

Der dritte Hauptteil (Procédés de la rhétorique du blâme et enjeux du texte, 293-396) ist in sich noch einmal zweigeteilt und greift in der ersten Hälfte noch einmal übergreifende Themen auf, die einen Beitrag zur Bewertung der Kaiser leisten (v.a. die Frage, wie Usurpation und wie die auf Augustus zurückgehende de facto-Monarchie des Prinzipats jeweils beurteilt werden). Der zweite Teil hingegen geht über die bisher gemachten Beobachtungen zu einzelnen Punkten hinaus und beschäftigt sich mit der Frage nach dem literarischen Charakter des Werkes in seiner Gesamtheit. Dabei wird zunächst die Verwendung einiger aus der Rhetorik bekannter Stilmittel wie dem Vergleich, der Übertreibung, der Wiederholung oder der Ironie aufgezeigt und daraus die Schlussfolgerung abgeleitet, dass der Autor die Historia Augusta bewusst im Spannungsfeld zwischen Fiktion und historiographischen Tatsachenbericht angesiedelt hat, ja, dass diese sich als une grande parodie des codes de l'écriture historiographique verstehen lässt (396).

Dieser allgemeinen Einschätzung, die hier, wie auch im Fazit (Conclusion, 397-406) noch einmal festgehalten wird, vor allem aus der Nähe zur Rhetorik hergeleitet wird, würden weite Teile der neueren Forschung sicherlich zustimmen. Gerade deswegen hätte man sich auch eine intensivere Auseinandersetzung mit entsprechenden Arbeiten gewünscht. [1] Doch abgesehen davon bietet die vorliegende Studie eine engagierte Auseinandersetzung mit zentralen Motiven und Techniken der sog. Historia Augusta (oft auch im Vergleich mit Suetons Kaiserviten), die man sowohl als einzelne Kapitel als auch in ihrer Gesamtheit mit Gewinn liest.


Anmerkung:

[1] Vgl. z.B. David Rohrbacher: The Play of Allusion in the Historia Augusta. Madison 2016.

Dennis Pausch