Dierk Hoffmann (Hg.): Die umkämpfte Einheit. Die Treuhandanstalt und die deutsche Gesellschaft (= Studien zur Geschichte der Treuhandanstalt), Berlin: Ch. Links Verlag 2022, 422 S., ISBN 978-3-96289-174-9, EUR 25,00
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Der Titel des von Dierk Hoffmann herausgegebenen Bandes ist treffend: Es geht um die Herausbildung der Zentralbehörde für die Privatisierung des ehemaligen wirtschaftlichen Staatsbesitzes der untergegangenen DDR zu einer für die gesellschaftspolitische Verarbeitung der deutschen Einheit zentralen und affektbesetzten Institution. Zwar kann der Band die Metamorphose einer Verwaltungsinstanz zu einem hochpolitischen Forum und elementaren Projektionsfläche mildernder und kontrafaktischer Narrative nicht in Gänze erklären, er macht sie aber mit produktiven Ansätzen nachvollziehbar. Was den Band aus der überschaubaren Zahl seriöser wissenschaftlicher Untersuchungen zu Treuhandanstalt hervorhebt, ist die Quellenbasis. Erschienen ist er in der Reihe "Studien zur Geschichte der Treuhandanstalt", die im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte von Dierk Hoffmann, Hermann Wentker und Andreas Wirsching herausgegeben wird. Archivalische Grundlage sind die "Treuhandakten" im Bundesarchiv Berlin (Bestand B 412), die nach Ablauf der Regelsperrfrist von 30 Jahren für Archivgut des Bundes zugänglich sind.
Der Einleitungsbeitrag von Dierk Hoffmann, der mit seinen gut hundert Seiten schon monografischen Charakter hat, beginnt mit einer kritischen Skizze von Deutungen der Herausbildung und Tätigkeit der Treuhandanstalt, die sich durch die nun zur Verfügung Quellen nicht stützen lassen. Er setzt an bei der Dynamik der Systemzusammenbrüche vom Herbst 1989 und der Zäsur des 9. November, dem Tag, an dem nicht nur "die Mauer fiel", sondern auch die Kontrolle der Regierung und der Staatspartei SED über die Außenwirtschaft und den Devisenhandel verloren ging. Kontrollverlust, so Hoffmann, blieb das bestimmende Syndrom für die nachfolgende Entwicklung auf politischem und wirtschaftlichem Gebiet. Die Schlüsselakteure in Ost und West konzentrierten sich auf die Wiedergewinnung der politischen Kontrolle unter den Bedingungen des rasanten Zerfalls der sowjetischen Hegemonie in Zentral- und Mitteleuropa und erreichten mit dem Vertrag zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion vom 18. Mai 1990 auf der nationalen und mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag vom 12. September 1990 auf internationaler Ebene stabilisierende Zwischenerfolge. Auf wirtschaftlichem Gebiet aber löste spätestens die deutsch-deutsche Währungsunion vom 1. Juli 1990 eine Transformationskrise aus, die mit politisch-administrativen Mitteln gemildert, aber nicht bewältigt werden konnte. Ursächlich dafür war der Abstand der Arbeitsproduktivität zwischen Ost und West, der dazu führte, dass bei im Verhältnis 1:1 umgestellten Löhnen und Gehältern ostdeutsche Betriebe ihre Produkte nicht zu kostendeckenden Preisen in D-Mark absetzen konnten und umgehend in massive Liquiditätsprobleme gerieten.
Hoffmann kann vor diesem Hintergrund in seinem Einleitungsbeitrag gleich mit zwei Mythen aufräumen. Weder schlug 1990 die "Stunde der Exekutive" für die westdeutsche Bundesregierung in Bonn, die angesichts der eindeutigen Kräfteverhältnisse zwischen Bundesrepublik und DDR habe frei schalten und walten und den Menschen in der DDR eigene Ordnungsvorstellungen überstülpen können, noch sei die Treuhandanstalt jene an neoliberalen Konzepten ausgerichtete Privatisierungsmaschine gewesen, zu der sie robuste Vereinfachungsnarrative in Ost und West stilisieren sollten. Die Bundesregierung sei, im Gegenteil, "Getriebene" der politischen Abläufe in der DDR gewesen, während die Treuhandanstalt, von der vorletzten DDR-Regierung unter dem Ministerpräsidenten Hans Modrow gegründet, nach der Währungsunion mit der ihr übertragenen Aufgaben einer strukturpolitisch ausgewogenen Massenprivatisierung auf der Grundlage eines am 17. Juni 1990 von der Volkskammer mit großer Mehrheit verabschiedeten Gesetzes, so Hoffmann, "heillos überfordert" war.
Wenn auch diese Feststellung nicht grundsätzlich neu ist, ruft sie doch den historischen Kontext und die realen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der deutschen Einheit in Erinnerung und das, wie in allen übrigen Beiträgen des Bandes, in quellengesättigter Rekonstruktion der komplexen Entscheidungsprozesse in der Treuhandanstalt selbst, die ihrerseits eingebunden waren in ein enges Abstimmungsnetz staatlicher, gesellschaftlicher und privatwirtschaftlicher Akteure. Dazu gehörten die Schlüsselressorts der beiden deutschen Regierungen und ab dem 3. Oktober 1990 der westdeutschen Bundesregierung, die zunächst noch embryonalen ostdeutschen Länderregierungen und, nicht zuletzt, die Gewerkschaften. Auch dies ein wichtiger Hinweis, der schon die einleitende Abhandlung von Hoffmann nahezu wie ein roter Faden durchzieht: Zum einen standen die bis auf Birgit Breuel ausschließlich männlichen Vorstandsmitglieder der Treuhandanstalt, wie Hoffmann schreibt, stellvertretend für die "Deutschland AG", gekennzeichnet durch enge Verflechtung zwischen den großen Aktiengesellschaften der Industrie, der Banken und der Versicherungen und ihre über die Aufsichtsräte hergestellten wechselseitigen personellen Verflechtungen. Zum anderen aber war die Treuhandanstalt auch Abbild des staatszentrierten Neo-Korporatismus westdeutscher Prägung, also der Einbindung der Gewerkschaften mit wichtigen und namhaften Vertretern im Verwaltungsrat, und der ostdeutschen Länder, deren Regierungschefs allesamt ebenfalls im Verwaltungsrat vertreten waren. Keine Schlüsselentscheidung der Treuhandanstalt wurde gegen die Gewerkschaften oder die ostdeutschen Ministerpräsidenten durchgesetzt.
Die weiteren Beiträge des Bandes buchstabieren aus, was die ebenso ausführliche wie konzise Einleitung von Dierk Hoffmann umreißt. Christian Rau befasst sich mit dem Spannungsverhältnis zwischen spontanen Arbeitsniederlegungen in Treuhandbetrieben und organisierter Interessenvertretung durch die Gewerkschaften, die ihrerseits von westdeutschen Funktionseliten dominiert waren. Zu Recht weist Rau darauf hin, dass die Geschichte der Treuhandanstalt ohne die örtlichen Proteste gegen ihre Privatisierungs- und Stilllegungspolitik nicht zu verstehen ist. Allerdings, so sein Fazit, sei es nie zu einer überregionalen Mobilisierung gekommen, wofür Rau einen parteiübergreifenden Konsens vom friedlichen Charakter der Transformation verantwortlich macht, den man sich nicht habe stören lassen wollen. Die Attitüde von Ignoranz und Arroganz, so deutet er an, sei zum Bestandteil des Nährbodens für den späteren Aufstieg der AfD in den ostdeutschen Bundesländern geworden. Das sind weitreichende Schlussfolgerungen, die von der Quellenbasis naturgemäß nicht gedeckt sind.
Einen ganz anderen Akzent Wolf setzt Rüdiger Knoll in seiner Studie über die Rolle der Treuhandanstalt beim Strukturwandel der Wirtschaft im Land Brandenburg. Abgesehen von gewissen Überschneidungen mit dem Einleitungsbeitrag von Hoffmann ermöglicht dieser Zugriff eine regional fokussierte Betrachtung der DDR-Wirtschaftsgeschichte vor 1989 und deren Verknüpfung mit einer detaillierten Analyse des wirtschaftlichen Strukturwandels im Bereich der Schwerindustrie und der Elektrotechnik und Gerätebaus. Lesenswert ist dieser Beitrag namentlich auch wegen der exemplarischen Dokumentation der rastlosen Bemühungen einer Landesregierung um ein strukturpolitisches Konzept, das naturgemäß nur in engster Zusammenarbeit mit der Treuhandanstalt entwickelt werden konnte. Es war kein Zufall, dass sich der damalige Ministerpräsident Manfred Stolpe ebenso wie der damalige Vorsitzende der Industriegewerkschaft Papier-Chemie-Keramik, Hermann Rappe, beide Mitglieder des Treuhandverwaltungsrates und Sozialdemokraten, 1994 gegen die Einrichtung des von der SPD-Bundestagsfraktion durchgesetzten Untersuchungsausschusses zur Treuhandanstalt aussprachen.
Eine in der deutschen Nabelschau notorisch vernachlässigte Seite der Privatisierungstätigkeit der Treuhandanstalt beleuchtet Keith R. Allen in seiner Abhandlung über "Ostdeutsche Sanierungen im westeuropäischen Binnenmarkt. Das multinationale Ringen um Beihilfen für Schiffbau und Stahl." Allen ruft in Erinnerung, dass Deutschland durch die massiven Subventionen ("Beihilfen") ostdeutscher Industrieunternehmen unvermeidlich in Konflikt geriet mit den restriktiven Beihilfebestimmungen der Europäischen Union (damals: Europäische Gemeinschaft, EG). Die Höchstgrenze für Beihilfen lag nach EG-Recht bei 9 % der Sanierungskosten. Allen kann quellengestützt belegen, mit welcher Energie und mit welchem Erfolg die Bundesregierung 1991 gegen den massiven Widerstand aus der Europäischen Gemeinschaft, namentlich Großbritanniens, die Heraufsetzung der Höchstgrenze für staatliche Beihilfen für die ostdeutschen Schlüsselindustrien im Bereich Stahl und Schiffbau auf 36 % der jeweiligen Schiffbau- und Stahl-bezogenen Kosten durchsetzte - for better or for worse, wenn man an die nachhaltigen Irritationen namentlich in Großbritannien angesichts des ellenbogenstarken Umgangs des größten und einflussreichsten EG-Mitgliedstaates mit dem Regelwerk der EG denkt.
Geradezu ein Augenöffner ist der Beitrag von Eva Schäffler, die den deutschen und den tschechischen Ansatz einer Privatisierung über die Ausgabe von Anteilsscheinen an früheren staatseigenen Betrieben vergleicht. Die Ausgabe von Anteilsscheinen war im Treuhandgesetz vom 17. Juni 1990 ausdrücklich vorgesehen, wurde aber nie verwirklicht, weil, wie Schäffler feststellt, nach der Privatisierung nichts mehr übrigblieb, was unter den ostdeutschen Bürgerinnen und Bürgern hätte verteilt werden können. In Tschechien und der Slowakei dagegen spielte die Ausgabe von Anteilsscheinen (Kupons) eine wichtige Rolle bei der Privatisierung größerer Betriebe. Zwar führte die Entstehung von Privatisierungsfonds als Mediatoren zu Intransparenz und öffentlicher Kritik, aber im tschechischen wie im slowakischen Teil der früheren tschechoslowakischen Republik trug die Kuponlösung dazu bei, dass die Bevölkerung die Privatisierung als ihre eigene Angelegenheit betrachtete. Jeweils mehr als die Hälfte der Einwohner beider Landesteile bzw. Republiken beteiligte sich an den ausgeschriebenen Bieterverfahren. Eine solche, im buchstäblichen Sinne, "Popularisierung" blieb in Ostdeutschland bekanntlich aus, ebenso aber auch Versuche der Treuhandanstalt und der maßgeblichen staatlichen Akteure, von den Erfahrungen und den Privatisierungstechniken anderer ehemals planwirtschaftlicher Systeme zu lernen.
Andreas Malycha, der mit seiner Monografie "Vom Hoffnungsträger zum Prügelknaben. Die Treuhandanstalt zwischen wirtschaftlichen Erwartungen und politischen Zwängen 1989-1994" (2022) den auf umfangreicher archivalischer Quellenbasis beruhenden wegweisenden Band 1 der "Studien zur Geschichte der Treuhandanstalt" vorgelegt hat, untersucht ein Schlüsselsegment der Entwicklung der Privatisierungsbehörde, nämlich die Personalpolitik. Er schildert die Entscheidungen und Mechanismen, mit denen die Leitung der Treuhandanstalt dem allgegenwärtigen Dilemma begegnete, mit fachkundigem Personal aus den früheren Industrieministerien und Bezirksverwaltungen der DDR ein marktwirtschaftliches Privatisierungsprogramm umsetzen zu müssen. Dies einerseits unter dem vor allem von westdeutschen Medien ausgehenden Druck der öffentlichen Meinung, "alte Seilschaften" von SED-Mitgliedern und "informellen Mitarbeitern" (IM) des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR aufzulösen, andererseits aber das Tagesgeschäft der Privatisierung nicht, wie es das westdeutsche Vorstandsmitglied Klaus Schucht in seinem Tagebuch notierte, durch eine "Hexenjagd" zu lähmen. Insgesamt, so Malycha, konnten ökonomische Verluste durch das Wirken "alter Seilschaften" ebenso wenig nachgewiesen werden wie der in der Öffentlichkeit laut geworden Vorwurf, ehemalige SED-Kader innerhalb der Treuhandanstalt hätten "Sand in das Getriebe des wirtschaftlichen Aufschwungs im Osten" gestreut.
Gerade in Verbindung mit dem Beitrag von Malycha ist der Beitrag von Rainer Karlsch besonders aufschlussreich, der sich mit dem 'harten Kern' von Wirtschaftskriminalität in und um die Treuhandanstalt befasst. Karlsch findet zu einer Balance zwischen quellennaher Beschreibung der Schwerpunkte 'normaler' Wirtschaftskriminalität als Betriebsrisiko bei der Mobilisierung und Kontrolle gewaltiger Kapitalströme einerseits und der Interpretation der politischen Aufladung der Thematik andererseits. Wirkliche oder vermeintliche Fälle von Wirtschaftskriminalität erzeugten zusätzliches Misstrauen gegenüber der Treuhandanstalt, die mit ihren Entscheidungen die Arbeits- und Lebenswelt der Menschen in den ostdeutschen Bundesländern massiv veränderte. Auch Karlsch kann auf zuvor unzugängliches Archivmaterial zugreifen, etwa Notizen von Vorstandsmitgliedern über zutage getretene Interessenkollisionen und undurchsichtige Abwicklungen von Privatisierungs- und Stilllegungsfällen, die nicht publik werden sollten.
Der von Dierk Hoffmann herausgegebene Band leistet Beachtliches für das Verständnis des Hybridcharakters der Treuhandanstalt. Die Treuhandanstalt war Behörde und Industrieholding, Verwaltungsinstanz und politischer Akteur, zentralistisches und netzwerkartiges Gebilde in einem. In Verbindung mit der exzellenten Einleitung des Herausgebers illustrieren die Einzelbeiträge die Irrtümer stereotyper und affektgeladener Wahrnehmungen und Darstellungen der Treuhandanstalt ebenso wie deren tiefgründige Berechtigung. Noch einmal wird deutlich, wie sehr die wirtschaftliche Transformation in den ostdeutschen Bundesländern nach westdeutschen Konzepten im Lichte westdeutscher Erfahrungen und Mythen durch westdeutsche Wirtschafts- und Beamteneliten gestaltet wurde. Deutlich wird ferner, wie erstaunlich reibungslos und weitestgehend konfliktfrei dieser gigantische Umwälzungsprozess von der ostdeutschen Gesellschaft ungeachtet vereinzelter Proteste bei nachhaltig verdichteter Skepsis und wachsender Frustration unter den Betroffenen verlaufen ist. Deutlich werden auch die vertanen Chancen und verpassten Gelegenheiten im Hinblick auf die Mobilisierung höherer Akzeptanz, geschweige denn aktive Unterstützung, der wirtschaftlichen Neugestaltung. Das zeigt das Gegenbeispiel der Verbindung von Privatisierung und Bieterverfahren für Unternehmensanteile in Tschechien und der Slowakei - Erfahrungen, die von den maßgeblichen deutschen Eliten nicht ernst genommen wurden.
Gleichzeitig verdeutlicht dieser quellengesättigte Band, wie unerlässlich nach wie vor die detailgetreue Aufarbeitung der Dualität von Kontinuität und Wandel ist, für die die Geschichte der Treuhandanstalt exemplarisch ist. Die Treuhandanstalt war Erbe der Panwirtschaft und Agentur der Marktwirtschaft zugleich. Alle Wirtschaftszweige in den heutigen ostdeutschen Bundesländern hatten in weniger als einem halben Jahrhundert gleich zwei politisch induzierte Großexperimente zu verkraften - die anfangs noch stalinistisch geprägte Einführung einer Planwirtschaft und Beseitigung privaten Kapitalbesitzes nach 1945 und die Überführung planwirtschaftlicher in marktwirtschaftliche Wirtschafts- und Unternehmensformen ab dem Herbst 1989. Den gedanklichen cordon sanitaire, der die massiven ökonomischen und sozialen Verwerfungen beider Epochen voneinander trennt und die "Wende" von 1989 zur Stunde Null aller weiteren Fehlentwicklungen stilisiert, kann auch dieser Band nicht gänzlich durchbrechen, er macht ihn aber immerhin porös.
Wolfgang Seibel