Bettina Braun (Hg.): Konkurrenz und Transfer. Das preußisch-österreichische Verhältnis im 18. Jahrhundert (= Mainzer Studien zur Frühen Neuzeit; 03), Bielefeld: transcript 2023, 370 S., ISBN 978-3-8376-6777-6, EUR 55,00
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Die elf Beiträge des Bandes sind in zwei Abteilungen gegliedert: "Transferprozesse" und "Arenen der Konkurrenz". Im Vorwort von Bettina Braun heißt es, "indirekt geht es auch hier um die Nation und das Nationale, nämlich um die spezifische Situation im Heiligen Römischen Reich als eine der möglichen Ursachen für die verspätete deutsche Nationswerdung" (8). Dieser implizite Bezug auf Helmuth Plessners Publikation von 1935 wirkt antiquiert. Komisch ist bei dieser Argumentation, dass der entscheidende Teil des offiziellen Reichstitels, nämlich "Deutscher Nation" weggelassen wird. Zeitgenossen des 18. Jahrhunderts sprachen überwiegend schlicht vom "Deutschen Reich". Der pompöse zeremonielle Reichstitel wurde meist nur im formellen Zusammenhang gebraucht. Goethe schrieb anlässlich der Feierlichkeiten zur Wahl und Krönung Josephs II. 1764 in Frankfurt: "Wir fühlten uns als Deutsche" (DuW, HA 9, 193). Auch die jüngst von Sébastian Schick und Hannes Ziegler herausgegebenen "Diarien Gerlach Adolph von Münchhausens vom Frankfurter Wahltag 1741/1742" zeigen, dass die deutschen Teilnehmer des Wahltages das Reich als jenes der "Deutschen Nation" verstanden und über ausländische Einflussnahme empört waren. [1] Es ist bezeichnend, dass die Veröffentlichungen Georg Schmidts zur deutschen Geschichte des 18. Jahrhunderts in keinem der Beiträge erwähnt werden. [2] Die "Einleitung" von Bettina Braun bezieht sich entsprechend auf Formulierungen von Bernhard Erdmannsdörfer und Gustav Droysen: "Die erstarrten Formen der alten Reichsverfassung" sowie "der 'nationale Beruf Preußens'" (10 f.).
Der erste Teil "Transferprozesse" wird von Wolfgang Neugebauers Beitrag "Entscheidung und Geheimnis. Zur monarchischen Herrschaftspraxis des Kabinetts in Österreich und Preußen im 18. Jahrhundert" eröffnet. Sowohl in Preußen wie in Österreich bildete das Kabinett den von Hof, Rat und Ministerien abgesonderten, herrschaftlichen Entscheidungsraum. Die Kabinettssekretäre und -räte arbeiteten in der Regel im Homeoffice. In Wien kam es jedoch durch Nobilitierungen und Heiratsverbindungen zunehmend zu einer Integration in die höfische Gesellschaft. Anders in Preußen: Der Kabinetts-Rat August Friedrich Eichel, Sohn eines Feldwebels und einer Köchin, galt "als Preußens Mazarin" (21), der Einzige, der alle Geschäfte Friedrichs II. kannte und stets in seiner Nähe war. Er blieb unverheiratet. Ausländischen Gesandten galt er als unsichtbar, quasi ein Geist.
Michael Hochedlinger behandelt die "'Verpreußung' der Habsburgermonarchie in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts". Ungeachtet gegenseitiger Ethnophaulismen glich sich die k. k. Armee zunehmend den siegreichen preußischen Truppen an. Anlässlich einer Revue beim Treffen mit Joseph II. in Mährisch Neustadt 1770 sprach Friedrich II., in österreichischem Weiß gekleidet, anerkennend von "Prussiens en blanc". Umgekehrt wurde die preußische Husarenwaffe mit Hilfe ungarischer Deserteure aus der k. k. Armee aufgebaut.
Sehr interessant ist der Beitrag von Simon Adler: "Intellektueller Austausch im Finanzwesen. Die Rechenkammern in der Habsburgermonarchie und in Preußen". In Österreich diente die in Brandenburg-Preußen 1714 errichtete Generalrechenkammer als Vorbild. Es gab eine Vielzahl von ständischen und staatlichen Kassen, die eifersüchtig über ihre Selbständigkeit wachten und sich gegen Kontrolleure wehrten. Als 1763 nach Kriegsende endlich ein gemeinsames Budget mit doppelter Buchführung aufgestellt wurde, war die Überraschung groß: Österreich stand keineswegs vor dem Staatsbankrott, es fand sich insgesamt ein Überschuss von 4,5 Millionen Gulden. Da Preußen völlig erschöpft war, wäre die Weiterführung des Kampfes und ein Sieg möglich gewesen.
"Konfessionelle Pluralität und religiöse Minderheiten in den Ländern der Hohenzollern und Habsburger im 18. Jahrhundert" sind das Thema von Frank Kleinehagenbrock. Er leitet die relative Toleranz "aus der Rechtstradition des Heiligen Römischen Reiches" ab. Der Augsburger Religionsfrieden habe die "Säkularisierung des Rechts" verstärkt. "Darin liegt eine der Wurzeln der modernen Religionsfreiheit in Deutschland" (131). Jan Kusber schildert die Rezeption der Schulsystemideen Johann Ignaz von Felbigers, Abt eines Chorherrenstifts im schlesischen Sagan, in den Reichen der drei schwarzen Adler. Felbigers Modell der Normalschulen diente Katharina II. als Muster für die russischen Volksschulen, es beruhte allerdings seinerseits auf dem preußischen Vorbild. Hier war die Schulpflicht bereits 1717 eingeführt und 1763 reformiert worden. In Russland galt die Schulpflicht erstmals auch für Mädchen. Im Fürstbistum Münster galt die Schulpflicht bereits seit 1675.
Die "Arenen der Konkurrenz", der zweite Teil, wird von Ellinor Forster mit einem Beitrag über die Aufteilung der schlesischen Verwaltungsakten, insbesondere der Steuererhebungsunterlagen, und der Errichtung gemeinsamer Grenzkommissionen ab 1742 eröffnet. Im eigenen Interesse bestand für beide Seiten ein Zwang zur Kooperation. Michael Rohrschneider widmet seinen Artikel zur Konkurrenz der beiden deutschen Vormächte auf dem Reichstag Arno Strohmeyer. Nicht zu überschätzen für die mentale Distanzierung der Untertanen der brandenburgischen Hohenzollern vom Reich ist die Abschaffung der Fürbitten für den Kaiser durch Friedrich II. 1750. Insgesamt zeigt sich, dass die Höfe in Wien und Potsdam den Reichstag keineswegs als quantité négligeable (221) ansahen.
Die österreichisch-preußische Konkurrenz anlässlich von Bischofswahlen betrachtet Bettina Braun. Vor 1740 wurden die Wahlkämpfe in der Germania Sacra vom habsburgisch-französischen Gegensatz bestimmt (236). Der Einfluss Friedrichs II. litt unter seiner mangelnden Bereitschaft finanzielle Mittel einzusetzen. Die kaiserliche Seite war durch die Gesandten bei den Reichskreisen stets besser informiert, eine wichtige Voraussetzung für eine aktive Reichskirchenpolitik. Warum dem Quellenbegriff "patriotisch", "trotz der wiederholten Kombination mit 'deutsch' - ein klar zu definierender nationaler Charakter fehlte" (274) erschließt sich den Lesenden nicht. Mit Anette Baumann widmet sich eine ausgewiesene Fachfrau dem Reichskammergericht als einer der Arenen der Konkurrenz. Von 1703 bis 1786 war Brandenburg-Preußen säumig bei der Entrichtung der Kammerzieler, der Steuer zur Finanzierung des Gerichts, was seinen Einfluss begrenzte. Gabriele Haug-Moritz betrachtet Kurhannover-Großbritannien als Akteur der Reichspolitik zwischen und neben Kurbrandenburg-Preußen und den Kaisern der Casa de Austria. Die permanente Konkurrenz zwischen Welfen und Hohenzollern eröffnete Österreich immer wieder Möglichkeiten der Einflussnahme. Ein tragisches Kapitel entfaltet Jacek Kordel: Kursachsen zwischen Preußen und Österreich bzw. "Friedrich dem Großen" und Maria Theresia. Die Kosten der preußischen Besatzung im Siebenjährigen Krieg beliefen sich auf 250 bis 300 Millionen Taler, das Dreißigfache des jährlichen Steueraufkommens. Sachsen hatte zudem 10 % seiner Bevölkerung durch Kriegseinwirkungen verloren (332). Nur der Zarin Katharina II. hatte es Sachsen zu verdanken, dass es nicht als Preis des Friedens, wie 1814, geteilt wurde.
Insgesamt betrachtet sind die Beiträge von sehr unterschiedlicher Qualität. Auffallend sind die Leerstellen. Aufsätze zum Studium des Reichsstaatsrechts, zur Reichspublizistik und zu den Reichsreformbemühungen wären naheliegend gewesen. Hier reicht das Spektrum von einer Stärkung der kaiserlichen Exekutive bis zu exzessiver Föderalisierung des Reiches. Bereits Samuel von Pufendorf kommentierte 1688 die politischen Tendenzen der Reichspublizistik lakonisch, es werde dessen Lied gesungen, dessen Brot gegessen werde. [3] Das Fehlen des antikaiserlichen, preußisch dominierten Fürstenbundes von 1785, neben den Kriegen sicherlich die Hauptarena der preußisch-österreichischen Konkurrenz im 18. Jahrhundert, ist besonders auffallend. Auch er befeuerte die Publizistik, die in jener Zeit im Wesentlichen noch ein intergouvernementaler Diskurs war. Irritierend ist die Penetranz, mit welcher die Herausgeberin den politischen Akteuren im 18. Jahrhundert nationales Bewusstsein und Identität abspricht. Die Schrift "Von dem Deutschen Nationalgeist" des Reichspublizisten Friedrich Carl von Moser beginnt 1766: "Wir sind Ein Volk, von Einem Namen und Sprache, unter Einem gemeinsamen Oberhaupt, unter Einerlei Verfassung, Rechte und Pflichten bestimmenden Gesetzen, zu einem grossen Interesse der Freiheit verbunden, auf Einer mehr als hundertjährigen Nationalversammlung zu diesem wichtigen Zweck vereinigt, an innerer Macht und Stärke das erste Reich in Europa." [4]
Anmerkungen:
[1] Sébastien Schick / Hannes Ziegler (Hgg.): Publicum und Secretum. Die Diarien Gerlach Adolph von Münchhausens vom Frankfurter Wahltag 1741/1742, Göttingen 2024.
[2] Georg Schmidt: Geschichte des Alten Reiches. Staat und Nation in der frühen Neuzeit 1495-1806, München 1999. Ders.: Das frühneuzeitliche Reich - komplementärer Staat und föderative Nation, in: HZ 273 (2001), 371-399. Ders.: Die frühneuzeitliche Idee "deutsche Nation". Mehrkonfessionalität und säkulare Werte, in: Nation und Religion in der deutschen Geschichte, hgg. von Heinz-Gerhard Haupt / Dieter Langewiesche, Frankfurt a. M. 2001, 33-67. Ders.: Wandel durch Vernunft. Deutsche Geschichte im 18. Jahrhundert, München 2009. Ders.: unter Mitarbeit von Elisabeth Müller-Luckner (Hg.): Die deutsche Nation im frühneuzeitlichen Europa. Politische Ordnung und kulturelle Identität? (= Schriften des Historischen Kollegs; 80), München 2010.
[3] Brief Pufendorfs an Paul von Fuchs vom 19. Januar 1688, abgedruckt bei Konrad Varrentrapp: Briefe von Pufendorf, in: HZ 70 (1893), 1-51, 193-232, 28, im Zusammenhang mit seinem Wechsel aus dem schwedischen in den brandenburgischen Dienst.
[4] Friedrich Carl von Moser: Von dem Deutschen Nationalgeist, 2. Auflage, [Frankfurt a. M.] 1766, 5.
Wolfgang Burgdorf