Rezension über:

Michael Ploetz / Jens Jost Hofmann / Tim Szatkowski (Bearb.): Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland 1993. Band I: 1. Januar bis 30. Juni 1993 und Band II: 1. Juli bis 31. Dezember 1993 (= Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland), Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2024, XCV + 1718 S., 18 Farb-, 6 s/w-Abb., ISBN 978-3-11-133539-1, EUR 154,95
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Rezension von:
Jost Dülffer
Historisches Institut, Universität zu Köln
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Empfohlene Zitierweise:
Jost Dülffer: Rezension von: Michael Ploetz / Jens Jost Hofmann / Tim Szatkowski (Bearb.): Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland 1993. Band I: 1. Januar bis 30. Juni 1993 und Band II: 1. Juli bis 31. Dezember 1993, Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2024, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 2 [15.02.2025], URL: https://www.sehepunkte.de
/2025/02/39558.html


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Michael Ploetz / Jens Jost Hofmann / Tim Szatkowski (Bearb.): Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland 1993

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Mit der Regelmäßigkeit eines Schweizer Uhrwerks erscheinen seit 1993 im Jahresrhythmus mit 30 Jahren Abstand zum Geschichtszeitraum die AAPD; das ist international konkurrenzlos. Nur die entsprechende Schweizer Edition der Diplomatischen Dokumente, genannt Dodis, schafft es mit einer anderen Konzeption, nämlich der klugen Kombination eines jährlichen kurzen gedruckten Bandes, der eine Fülle von Dokumenten online beigegeben sind, die übliche 30 Jahresfrist der Freigabe von diplomatischen Quellen ebenso einzuhalten. Dort hat man das "Schweizer Uhrwerk" aber schon länger als Werbeslogan entdeckt. Der Rezensent bespricht die AAPD in diesem Journal fast regelmäßig seit gut 10 Jahren und so ist es müßig, über den ersten Satz oben hinaus sich erneut zu wiederholen, wie die AAPD aufgebaut sind, welche Bestandteile vom Inhalt bis zu den Registern sie enthalten.

1993, wenige Jahre nach dem Mauerfall war ein erneut sehr intensives Jahr, zwischen Hoffnungen und Krisen gelagert. Die HerausgeberInnen Hélène Miard-Delacroix, Andreas Wirsching und Stefan Creuzberger, benennen selbst in einer zwölfseitigen Einführung die Schwerpunkte: Der Krieg in Jugoslawien, sodann die Reformen in Russland mit der Gefährdung von Jelzins Position, begleitet von der Loslösung ehemaligen Sowjetrepubliken und der Orientierung der vormals kommunistischen Staaten Osteuropas sicherheitspolitisch wie wirtschaftlich auf den Westen hin. Das betraf aus Sicht der Europäischen Union - der Maastricht-Vertrag trat im November in Kraft - die entsprechende Aufnahmebereitschaft und Unterstützung je nationaler Reformen. Ferner ging es um die Folgen von Globalisierung und hier besonders um die Rolle Chinas mit großen Chancen und Erwartungen. Große Bedeutung hatte dabei das Bild Deutschlands im Ausland, nicht zuletzt durch fremdenfeindliche Vorkommnisse und geschichtspolitische Fragen geprägt. "1993 war ein dramatisches Jahr in den internationalen Beziehungen", konstatieren die HerausgeberInnen, ein Jahr, in dem sich die deutsche Regierung, vor allem also Kanzler Kohl und Außenminister Kinkel in multilateralem Vorgehen im Rahmen der EU, aber in einigen Fällen auch relativ selbständig zu behaupten trachteten.

Hier sollen einige allgemeine Bemerkungen zur Auswahl und zur Edition gegeben werden. Es versteht sich, dass die Aufzeichnungen zu zentralen Besprechungen von Bundeskanzler Kohl und Außenminister Kinkel in Deutschland wie auf Auslandsreisen gedruckt werden. Das ist manchmal etwas weitschweifig, vor allem, wenn darin auch die deutsche Position erläutert wird - so etwa Kohl beim Besuch in Japan (Dok. 67 über 7 Seiten). Doch ist das dem guten Prinzip geschuldet, Dokumente (fast alle) vollständig zu drucken. Bisweilen werden solche Gespräche oder auch Sachverhalte dann aber auch nur stringenter, aber weniger unmittelbar in den Zusammenfassungen an die diplomatischen Vertretungen, den Runderlassen dokumentiert. Wenn Kohl auf der Rückreise aus Japan in Moskau Station macht, erfährt man wenig über die bilateralen Beziehungen, aber das Gespräch ist dann doch höchst aufschlussreich für Jelzins Vertrauen in den Kanzler, dem er die innenpolitischen Schwierigkeiten des Landes deutlich erläutert (Dok. 74). Aufschlussreicher ist es, was Kohl dem neuen US-Präsidenten Bill Clinton erläutert, "die Russen seien ein stolzes Volk. Auch die nichtkommunistischen Kräfte hätten sich als Mitglieder einer Weltmacht gefühlt. Man dürfe den Russen daher nicht das Gefühl geben, dass man auf sie keine Rücksicht mehr zu nehmen brauche" (Dok. 100, Seite 392). Mit gutem Grund werden aber nicht alle Aufzeichnungen über Kanzler- und Außenministertreffen aufgenommen; da genügt manchmal ein Verweis auf die Akte.

Sehr große Aufmerksamkeit widmet die Edition diversen Positionspapieren für eine zu verfolgende Politik. Das mögen Aufzeichnungen für Verhandlungen des Außenministers sein, vor allem aber finden sich zahlreiche Essays über bestimmte Sachverhalte, so über die innere Struktur eines Landes, die sich ähnlich auch in zeitgenössischer Publizistik finden, aber hier doch deutlich an Präzision und Tiefenschärfe hinausgehen, bisweilen kleine wissenschaftliche Strukturanalysen darstellen. Das mag man wie die Herausgeber Strategiepapiere nennen. Bemerkenswert finden sich Aufzeichnungen jeweils über ganze Weltregionen - so über Lateinamerika (Dok. 101, vgl. auch Dok. 30), Afrika (Dok. 162) und Ostasien (mit besonderer Berücksichtigung Chinas, Dok. 150). Kleinteiliger, aber nicht weniger beachtlich ist eine Vorlage des Vortragenden Legationsrats Neuber für den Minister über die Politik gegenüber der Ukraine; dieser komme "auf Grund ihrer Größe, ihrer Lage, ihres Wirtschafts- und Industriepotential, ihrer Westorientierung und ihrer Schlüsselrolle für die Verwirklichung jeglicher russischer Hegemonialambitionen eine weit größere Bedeutung zu, als dies in unserer zu stark auf Moskau ausgerichteten öffentlichen Meinung bisher zum Ausdruck kommt" (Dok. 27, Seite 95). Einen Höhepunkt der Analyse stellt eine Vorlage des Ministerialdirigenten Ischinger über "Grundlagen künftiger europäischer Sicherheitspolitik" dar (Dok. 221 über 12 Seiten). Bei neuen Risiken und neuen Reaktionsmustern betont er nach Ende des Kalten Krieges die "unscharfen Risiken". "Ohne zuverlässige und vertrauenswürdige Klärung, wie Russland sein Verhältnis nach Westen gestalten will, wird es keine Klarheit über künftige Sicherheitsstrukturen in Europa geben"; ein Rückfall in "eine antagonistische Haltung zum restlichen Europa" sei nicht ausgeschlossen. Gegenüber der Instabilität Mittel- und Osteuropas müssten diese langsam an die westlichen Strukturen herangeführt werden. "Der "Königsweg" führt über EU und WEU in die NATO." Europa bleibe weiter auf die USA angewiesen, auch wenn die bisherigen Bündnisstrukturen schwächer zu werden drohten.

Diese wenigen Zitate mögen deutlich machen, dass gerade aus den Problemen der Gegenwart heraus die damaligen zutreffenden oder falschen Einschätzungen hohes Interesse haben. Eine Edition wie diese folgt jedoch angemessen dem Prinzip, für die konkrete Politik des Jahres 1993 die maßgeblichen, "wichtigen" Dokumente zu erfassen und nur bisweilen auf spätere Aktualität zu setzen. Das bedingt wohl immer wieder ein Abwägen, scheint aber insgesamt geglückt. Aber darüber hinaus findet sich die Aufzeichnung des Generalkonsuls in San Francisco über einen Besuch der Ministerin für Frauen und Jugend, Angela Merkel ("bestach durch ihre Einfachheit und Ehrlichkeit") (Dok. 5). Ein Bericht des Generalkonsuls aus St. Petersburg hätte wohl kaum Aufnahme in die Edition gefunden, wenn nicht neben dem Oberbürgermeister auch sein Stellvertreter Putin in einem separaten Gespräch zu Wort gekommen wäre - er ließ sich ausgiebig über die Möglichkeit des Blutvergießens in den kommenden innerrussischen Auseinandersetzungen aus (Dok. 140). Nelson Mandela, noch als ANC-Präsident ("Regierung im Wartestand"), vor dem Friedensnobelpreis und vor seiner Übernahme eines offiziellen Amtes erläuterte mit Kohl die innenpolitischen Schwierigkeiten seines Landes (Dok. 153). Diese und andere Dokumente mit besonderem Interesse gerade heute lassen sich als Teil der Edition gut rechtfertigen.

Schwieriger ist allerdings die Bebilderung. Kohl und Mandela wird ein an sich belangloses Staatsfoto in Farbe zugebilligt. Viele der anderen Abbildungen zeigen Kanzler oder Minister in internationaler Aktion, so auch öfter in zwangloser Kleidung vor oder nach den offiziellen Gesprächen. Warum wird die türkische Außenministerin hinter einem Rednerpult gewürdigt? (1149). Gewiss hatte sie mit Kinkel gesprochen. Müssen wir Kinkel beim Tennisspiel mit dem argentinischen Präsidenten sehen (1259). Das ist recht beliebig und trägt - auch in Anerkennung der Bedeutung von Bildern in Politik - wenig mehr als Illustration bei. Ertragreicher ist da eine Karte über die mögliche Aufteilung Bosniens (freilich: sie stammt vom Briten Lord Owen) (885) oder ein Organigramm über die mögliche Entwicklung des KSZE (1317). Am meisten Sinn in der Bebilderung macht das Faksimile der ersten Seite einer reich mit Randbemerkungen und Weisungen versehenen Aufzeichnung vom Besuch des vietnamesischen Ministerpräsidenten (799): das macht neben dem Druckbild die Editionsarbeit der Mitarbeiter der Edition eindringlich sichtbar.

Die Bearbeiter: In diesem Band 1993 sind das neben der Leiterin der Editionsgruppe des Instituts für Zeitgeschichte, Ilse Dorothee Pautsch: Michael Ploetz, Jens Jost Hofmann und Tim Szatkowski. Sie gehören zu dem Team von Mitarbeitern die zumeist für drei Jahre einen solchen Jahrgang bearbeiten - demnach hat derzeit wohl die Bearbeitung für 1996 im "Maschinenraum" schon begonnen. Die BearbeiterInnen leisten mit ihren Anmerkungen zu anderen Überlieferungen, Hinweisen auf andere Versionen von Mitschriften (etwa aus US-Presidential Libraries), Nennung von Gesetzestexten, Aufgreifen von Vorgängen vergangener Jahre, Sach- und Namenserläuterungen, bisweilen auch Hinweisen auf zeitgenössische Publizistik eine Kärrnerarbeit. Das gilt darüber hinaus für die Schneisen, die diese mit der Edition in die Aktenberge des Auswärtigen Amtes (wie des Kanzleramtes) schlagen und z.T. durch Deklassifizierung erst zugänglich machen. Die Register und andere Erschließungsmittel kommen hinzu. So kann auch für 1993 konstatiert werden: eine nicht nur aufschlussreiche, sondern auch mustergültige Edition.

Jost Dülffer