Frank Uekötter: Von der Rauchplage zur ökologischen Revolution. Eine Geschichte der Luftverschmutzung in Deutschland und den USA 1880-1970 (= Veröffentlichungen des Instituts für soziale Bewegungen. Schriftenreihe A: Darstellungen; Bd. 26), Essen: Klartext 2003, 637 S., ISBN 978-3-89861-195-4, EUR 74,90
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Neunzig Jahre sind in der Moderne angesichts des atemberaubenden Tempos, in dem in westlichen Zivilisationen die traditionale Welt zu einer industriellen Bedürfnissen angepassten Umwelt umgebaut wurde, ein unglaublich langer Zeitraum. Insofern hat sich Frank Uekötter eine schwere Aufgabe gestellt, wenn er in seiner "Geschichte der Luftverschmutzung" zwischen 1880 und 1970 gleichermaßen große Entwicklungslinien lesbar skizzieren und dennoch die oft in maßgeblichen Details steckende Komplexität nicht außer Acht lassen will. Und obendrein hat sich der Bielefelder Umwelthistoriker auch noch einen für die Umweltgeschichte besonders verdienstvollen Vergleich vorgenommen, wenn er die Auseinandersetzungen um saubere Luft in Deutschland und in den USA rekonstruiert. Kein Wunder also, dass aus dieser Studie ein voluminöses Werk von über 600 dicht bedruckten Buchseiten geworden ist, von denen allein Tabellenanhang, Quellenübersicht und Literaturverzeichnis rund 100 Seiten einnehmen.
Weit mehr als der so dokumentierte Fleiß beeindruckt freilich bei dieser Arbeit der analytische Ertrag. Uekötter gibt die Idee "nationaler Regulierungsstile" zu bedenken und verifiziert sie für die Zeit zwischen 1880, als sich mit dem Eintritt in die Hochindustrialisierung das Problem der Luftverschmutzung zuspitzte, und 1970 (meist) überzeugend als unterschiedliche Wege in die Ära moderner Umweltpolitik. Der Umweltgeschichte (wenn so pauschal überhaupt klassifiziert werden darf) unterstellt er indes zunächst einmal eine offenbar habituell bedingte "Miesepeterei", in jedem Falle falsche Feindbilder, die beständig einerseits von moralisch "guten" Umweltschützern und andererseits umweltverachtenden Unternehmern ausgingen, um so die scheinbare Unvereinbarkeit von Ökonomie und Ökologie zu zementieren. Uekötters Überlegungen sind dagegen getragen von einem unerschütterlichen Vertrauen in den Sachverstand wichtiger Träger moderner Industriegesellschaften - den Beamten der Ministerialbürokratien, den Technikern und Ingenieuren und prinzipiell "vernünftigen" Unternehmern. So will Uekötter also erklärtermaßen keine Geschichte des "Versagens" und Scheiterns schreiben, sondern kommt zur Diagnose, dass es sich teils um durchaus beeindruckende Problembewältigungsversuche handelte. Jedenfalls habe es weniger am guten Willen der beteiligten Parteien gefehlt, schon eher an einer dialogorientierten Konsenssuche.
Wenn Uekötter dem Umgang mit Luftverschmutzung in Deutschland und in den USA nachgeht (wobei er sich auf die Kohlenrauchplage, Autoabgase und die Emission von Schwefeldioxid beschränkt), dann verpflichtet er sich einem akteurzentrierten Zugang und bedient sich in seiner Analyse oft Theoretisierungsversuchen der Politikwissenschaft, sodass die Suche nach Problemlösungen beim Engagement um saubere Luft als sozialer Prozess verstanden werden kann. Er schreibt die Geschichte der Auseinandersetzungen um die Luftreinhaltung in der historiografischen Tradition der von Louis Galambos konzeptualisierten "organizational synthesis", einer Forschungsrichtung also, "die die Entstehung und Entwicklung von administrativen Akteuren als Ergebnis eines komplexen gesellschaftlichen Aushandlungsprozesses begreift" (22). Nachdenklich stimmt hier freilich, warum manche Akteure individualisierbar werden und andere zu einer amorphen Masse verschwimmen: "Erst wenn man die Verhaltensdispositionen der Industriellen, der technischen Experten, der Beamten und der betroffenen Öffentlichkeit analysiert, wird verständlich, warum sich die bürokratische Luftreinhaltung in einer bestimmten Weise entwickelte - oder eben nicht entwickelte" (22).
Solchermaßen arbeitet Uekötter markante Unterschiede in der amerikanischen und in der deutschen Suche nach Konfliktlösungen heraus und nennt Ursachen für die unterschiedlichen Entwicklungslinien: der größere Stellenwert von Bürgervereinen in der amerikanischen Politik gegenüber einer nur schwach ausgebildeten Zivilgesellschaft in Deutschland; hie, in den USA, der starke Glauben an die wissenschaftliche Expertise und da, in Deutschland, die Potenz deutscher Bürokratie; allgemein ein in den USA höherer Grad an Öffentlichkeit der Reformdebatten. Trotz der regionalen Sonderfälle (Ruhrgebiet oder Los Angeles) diagnostiziert Uekötter also insgesamt recht homogene national gefärbte Regulierungsstile, die er freilich nicht deterministisch verstanden wissen will, sondern als Ergebnis heterogener Traditionen: "Insgesamt ergibt sich somit das Bild eines von der Prävalenz staatlicher Mediation dominierten deutschen Weges, in dem lange Zeit unter Verzicht auf eine systematische Bekämpfung der Luftverschmutzungsprobleme ad hoc auf einen im jeweiligen Einzelfall für alle Beteiligten akzeptablen Kompromiß hingearbeitet wurde, und eines wesentlich stärker von der Interaktion der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen geprägten amerikanischen Weges, dessen Leistungsfähigkeit vor allem darauf beruhte, daß es überraschend oft gelang, zwischen den verschiedenen Interessen brauchbare Kompromisse zu entwickeln" (26). Einige Eigenheiten, dies soll nicht verschwiegen werden, stören die Lektüre dieses Buches. Insbesondere erscheint der zuweilen antiquierte Gestus überflüssig, mit dem der Leser immer wieder belehrt und allzu schulmeisterlich auf eine bestimmte Sicht der Welt verpflichtet werden soll.
Friedemann Schmoll