Hans Walden: Stadt - Wald. Untersuchungen zur Grüngeschichte Hamburgs (= Beiträge zur Hamburgischen Geschichte; Bd. 1), Hamburg: Dobu 2002, 738 S., ISBN 978-3-934-632028, EUR 39,90
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Wer den von Hans Walden vorgelegten voluminösen Band aufschlägt, hält im Grunde zwei Untersuchungen in Händen. Das erste Hauptkapitel der Hamburger Dissertation basiert auf Waldens Forschungen zur Forstgeschichte der Stadt Hamburg, die er für die Landesforstverwaltung des Stadtstaats unternommen hat und deren Ergebnisse bereits teilweise publiziert vorliegen. [1] Dieses Kapitel bietet einen breit angelegten Abriss der Entwicklung der Wälder im Umland der Hansestadt in Abhängigkeit von ihrer Nutzung durch den Menschen. Den Ausgangspunkt bilden die Erörterung des Problemfeldes städtischen Holzbedarfs und die Diskussion der methodischen Möglichkeiten und Grenzen der Lokalisierung historischer Waldflächen. Daran knüpft die Untersuchung der Beziehung der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Handelsmetropole zu den regionalen Wäldern an. Die Geschichte der Waldbesitzverhältnisse der Stadt und benachbarter Herrschaftsträger - samt den hieraus resultierenden Konflikten - wird ebenso in den Blick genommen wie Faktoren der "Waldvernichtung" (21, 224) und Maßnahmen der Waldpflege und Aufforstung vom späten Mittelalter bis zur Gegenwart. Auch die Entstehung und Entwicklung der Hamburger Forstverwaltung unter wechselnden territorialstaatlichen Rahmenbedingungen werden detailliert nachgezeichnet.
Das zweite Hauptkapitel beleuchtet einen bislang in der Forschung wenig beachteten Aspekt im historischen Verhältnis zwischen Stadt und Wald. Zur Diskussion stehen hier die wichtige Rolle des Waldes als Ort der Erholung für die städtische Bevölkerung und seine Stilisierung zur antiurbanen Gegenwelt. Walden zielt vor allem darauf ab zu belegen, dass die bewusste Wahrnehmung der ästhetischen Qualitäten und die Indienstnahme der Erholungsfunktion des Waldes durch den urban lebenden Menschen bereits deutlich vor dem 19. Jahrhundert einsetzten. Er will damit die bislang starke Fokussierung auf den Industrialisierungs- und Urbanisierungsschub des 19. Jahrhunderts und die daraus resultierende romantische Waldverklärung als Paten der städtischen 'Waldeslust' relativieren.
Was verbindet diese beiden recht eigenständigen Teile? Walden will der Vielschichtigkeit des Verhältnisses zwischen der Stadt und den unter ihrer Herrschaft stehenden, von ihr beanspruchten oder auch nur von ihr genutzten Wäldern gerecht werden. Er versucht diese Aufgabe dadurch zu lösen, dass er seinen regionalgeschichtlichen Zugang mit einer ansonsten multiperspektivischen Herangehensweise verknüpft (17). Walden leistet damit einen Beitrag zur Überwindung der noch 1997 von Joachim Radkau beklagten stiefmütterlichen Behandlung des Stadt-Wald-Zusammenhangs sowohl durch die stadtgeschichtliche als auch durch die forstgeschichtliche und allgemeinhistorische Forschung. [2] Er erschließt wirtschafts- und sozialgeschichtliche, territorial- und verfassungsgeschichtliche, mentalitäts- und kulturgeschichtliche und nicht zuletzt landschafts- und umweltgeschichtliche Problemfelder - und folgt damit der in der jüngeren Forschung sichtbaren Tendenz eines holistischen Blicks auf das Beziehungsgefüge zwischen Stadt und Wald. [3]
Der Ertrag von Waldens Bemühungen liegt auf unterschiedlichen Feldern. Die Ausführungen zur Entwicklung von Waldflächen und Waldbesitzverhältnissen, aber auch die Chronologie der Naherholung in stadtnahen Wäldern im zweiten Kapitel leisten in ihrem Detailreichtum einen wichtigen Beitrag zur Regionalgeschichtsschreibung. Andere in diesen Zusammenhängen untersuchte Gegenstände sind von überregionalem Interesse. Der Konflikt um Besitz- und Nutzungsrechte am Sachsenwald zwischen den Hansestädten Hamburg und Lübeck auf der einen und den Herzögen von Sachsen-Lauenburg und deren dynastischen Nachfolgern auf der anderen Seite (188-223) währte Jahrhunderte. Er fügt sich in eine Reihe von Beispielen aus anderen Regionen, anhand derer die Effizienz der obersten Gerichtsbarkeit im Alten Reich beziehungsweise die Umsetzung von deren Rechtsprechung diskutiert werden kann. Die "Waldsache" von 1698 (140-149) - vordergründig eine Affäre um Missbräuche in der Verwaltung und Nutzung des städtischen Waldbesitzes - führte nicht nur zu einem ersten Rationalisierungsschub in der Forstverwaltung. Sie wurde als Teil eines Machtkampfes zwischen städtischen Eliten (dem Rat und der 'Erbgesessenen Bürgerschaft') ausgetragen und spiegelt eine Verfassungskrise wider.
Manche Länge in Waldens Darstellung wäre vermeidbar. Was nützt etwa die ermüdende Aufzählung älterer, vom Autor selbst als nur bedingt verlässlich angesehener Schätzungen zum Holzverbrauch des historischen Schiffsbaus (32 f.), wo doch längst der Nachbau historischer Schiffstypen auf dem Wege der experimentellen Archäologie verlässlicheres Zahlenmaterial zur Verfügung stellt? Walden selbst erwähnt hier die exakt zu quantifizierenden Ergebnisse eines Koggen-Nachbaus aus den Jahren 1987 bis 1991. Manches Problemfeld kommt wiederum zu kurz. So erfährt die landwirtschaftliche Waldnutzung eine weniger tiefe und tendenziell der obrigkeitlichen Sicht der Quellen beziehungsweise der von der Forstgeschichte vertretenen Raubbau-These verhaftete Würdigung (52, 226-229).
Das zweite Hauptkapitel ("Der Weg zum Erholungswald") vereint eine kulturgeschichtliche "Spurensuche zur Entwicklung der Waldästhetik" seit der Antike (378) mit der Geschichte des Besuchs und der Gestaltung stadtnaher Wälder der Hamburger Region zum sinnlich-ästhetischen Genuss und zu Erholungszwecken. Walden verweist auf das beileibe nicht nur negative Waldbild, das Autoren der antiken und mittelalterlichen Literatur geprägt haben. Er stellt zurecht die Jagd mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Eliten als einen der frühen Anlässe heraus, sich zu Erholungszwecken im Wald aufzuhalten. Er thematisiert die wichtige Rolle des Waldes als Gestaltungselement sowohl in der barocken französischen Gartentheorie als auch in deren Gegenkonzept, dem englischen Landschaftsgarten. Initiativen vermögender Bürgerlicher wie der Wandsbeker Schloss- und Waldpark des in Hamburg ansässigen Geschäftsmannes Heinrich Carl von Schimmelmann (1724-1782) bildeten oft genug den Grundstein waldlich geprägter Naherholungsgebiete für die Stadtbevölkerung. Am Beispiel der Großstadt Hamburg kann Walden zeigen, wie die abnehmende "Aufenthaltsqualität" in der Stadt im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert zu einem Boom des kommerzialisierten Naherholungstourismus in die regionalen Wälder führte. Zu guter Letzt lässt sich auch die Sakralisierung und nationale Aufladung der ästhetischen Waldwahrnehmung trefflich am Hamburger Beispiel diskutieren: beginnend etwa mit Friedrich Gottlieb Klopstocks (1724-1803) nationaler Aneignung der Eiche, kulminierend im naturmystisch wie national-völkisch inspirierten Bismarck-Kult im Sachsenwald.
Walden hat in sorgfältiger Erschließung umfangreicher Quellenbestände und, basierend auf exzellenter Kenntnis der regionalgeschichtlichen Literatur, einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der Geschichte der Stadt Hamburg und ihres Umlandes geleistet. Seine von erheblicher quellenkritischer Sensibilität gekennzeichnete Untersuchung bildet darüber hinaus einen Baustein für die komparatistische Erforschung der historischen Stadt-Wald-Beziehungen.
Anmerkungen:
[1] Hans Walden: Forstgeschichte der Stadt Hamburg, Hamburg 1995.
[2] Joachim Radkau: Das Rätsel der städtischen Brennholzversorgung im "hölzernen Zeitalter", in: Dieter Schott (Hg.): Energie und Stadt in Europa. Von der vorindustriellen "Holznot" zur Ölkrise der 1970er Jahre, Stuttgart 1997, 43-75, hier 44-46.
[3] Vgl. Nils Freytag / Wolfgang Piereth: Städtische Holzversorgung im 18. und 19. Jahrhundert. Dimensionen und Perspektiven eines Forschungsfeldes, in: Dies. / Wolfram Siemann (Hg.): Städtische Holzversorgung. Machtpolitik, Armenfürsorge und Umweltkonflikte in Bayern und Österreich (1750-1850), München 2002, 1-8.
Martin Knoll