Johannes Hürter: Hitlers Heerführer. Die deutschen Oberbefehlshaber im Krieg gegen die Sowjetunion 1941/42 (= Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte; Bd. 66), München: Oldenbourg 2006, VIII + 719 S., 25 Abb., 5 Karten, ISBN 978-3-486-57982-6, EUR 49,80
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Mit der Frage, wie es eigentlich zum Vernichtungskrieg deutscher Polizei- und Wehrmachtseinheiten in Osteuropa hatte kommen können, beschäftigt sich die Historikerzunft seit Generationen. In den ersten Nachkriegsjahrzehnten zeichnete man eher den allgemeinen Rahmen nach, später richtete sich der Blick stärker auf das "Fußvolk der Endlösung" (Klaus-Michael Mallmann) - einerseits auf einfache Polizisten und Soldaten bzw. andererseits auf die verantwortlichen Organisationen (Gestapo und Wehrmacht).
Der persönliche Beitrag des Führungspersonals von Polizei und Militär bei der Verfolgung und Ermordung großer Teile der Bevölkerung in den ehemals besetzten Ländern blieb dagegen weitgehend unberücksichtigt, bis Michael Wildt die "Generation des Unbedingten" im Reichssicherheitshauptamt und an den Erschießungsgruben entdeckte und beschrieb. [1] In seiner Habilitationsschrift hat Johannes Hüter nun vergleichend die Sozialisation, Motivation und Funktion von 25 Oberbefehlshabern der Heeresgruppen und Armeen des Ostheeres im Vernichtungskrieg in der Sowjetunion von Juni 1941 bis Mai 1942 untersucht.
Das verspricht allein vom Ansatz her spannend zu werden: Ein Drittel des Buches ist dem langen Vorlauf des Vernichtungskrieges gewidmet, vom Ende des 19. Jahrhunderts, als die späteren Wehrmachtsgenerale noch auf Hinterhöfen spielten und Kadettenanstalten besuchten, bis zum deutschen Angriff auf die Sowjetunion im Sommer 1941. Die gruppenbiografische Betrachtung zeigt hier wichtige Parallelen auf: Der Mitte der bürgerlichen Gesellschaft des Kaiserreiches entstammend, erschütterten Erster Weltkrieg und anschließende revolutionäre Wirren das Weltbild der Protagonisten. Zugleich wurden sie nachhaltig durch die Gewalt dieses Krieges geprägt, die "noch nicht unbegrenzt, aber immer häufiger rücksichtslos" war, ihre Fortsetzung in Bürgerkriegs- und Grenzschutzkämpfen fand und fortan "als das einzige probate Mittel gegen 'heimtückische' Bolschewisten, Slawen und Freischärler" angesehen wurde (197f.). Dem Versailler und Weimarer "System" standen sie - obwohl der Grundstein für ihre Karrieren zumeist in der Reichswehr gelegt wurde - reserviert gegenüber und begrüßten die Machtübernahme durch Hitler als autoritären Staatschef, dem sie zwar nicht durchweg blind ergeben waren, dessen innen- und außenpolitische Anfangserfolge sie aber hinter ihm vereinten.
Dass man in Erwartung des "Endsiegs" auch bereit war, Kriegsverbrechen in Kauf zu nehmen, zeigte sich bereits während des deutschen Überfalls auf Polen. Über 50.000 Landesbewohner fielen bis Ende 1939 Massenerschießungen zum Opfer. Hürter konstatiert hier "Merkmale einer unseligen Verbindung militärischer Nützlichkeitserwägungen und rassenideologischer Kriegsziele" (194), weist aber auch auf die bekannten Proteste gegen Übergriffe paramilitärischer Formationen hin, die einzelne Befehlshaber nach Abklingen der Kampfhandlungen an höchster Stelle einreichten. Anzumerken wäre hier, dass während des Einmarsches knapp zwei Dritteln der Männer aus dem untersuchten "Sample" Wehrmacht-, Polizei- oder SS-Einheiten unterstellt waren, die Morde an der indigenen Bevölkerung verübten.
So nimmt es nicht wunder, dass auch die am Vorabend des Angriffs auf die Sowjetunion formulierten "verbrecherischen Befehle", die Zivilbevölkerung und Kriegsgefangene faktisch für vogelfrei erklärten, von Hitlers Heerführern nahezu widerspruchslos hingenommen wurden. Sie hatten die nationalsozialistische Hassrhetorik gegen Rotarmisten, Bolschewisten und Juden weitgehend verinnerlicht, sahen sich als Herren eines Landes an, das ihnen zugleich fremd und bedrohlich erschien und verschärften ihre Anweisungen an die Truppe mit jedem Tag, den der Sieg weiter auf sich warten ließ. Wo Rücksichtnahme auf die Bevölkerung geboten oder die Manneszucht gefährdet schien, griffen sie bisweilen korrigierend ein. Insgesamt war ihr Handeln jedoch von einer beispiellosen "teils ideologisch, teils militärisch-pragmatisch motivierten" Rücksichtslosigkeit geprägt, deren Übergang zu den Kriegs- und NS-Verbrechen fließend war (441).
Hinzu gesellte sich eine fatale Gleichgültigkeit hinsichtlich des Schicksals der sowjetischen Juden. Anhand zweier Fallbeispiele zeigt Hürter auf, wie das Verhältnis der örtlichen Wehrmachtsbefehlshaber zu den in ihrem Raum operierenden Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei zwar von reibungsloser Zusammenarbeit bis hin zu straffer Führung an der kurzen Leine variieren konnte. Doch nutzten sie ihre Handlungsspielräume nicht zur Eindämmung des anlaufenden Mordprogramms. In ihren Köpfen vermischte sich eine allgemeine Verachtung der orthodoxen Juden Mittel- und Osteuropas mit einer radikalen Ablehnung des vermeintlich "jüdischen Bolschewismus". Ganz gleich, ob ihre Haltung von Nähe zum Nationalsozialismus, Attentismus oder Opposition gekennzeichnet war: Judenfeindliche Stereotype und ein militärisches Kalkül, in dem Juden als Sicherheitsrisiko angesehen wurden, sorgten dafür, dass im Operationsgebiet des Ostheeres etwa eine halbe Million Männer, Frauen und Kinder jüdischer Herkunft ermordet werden konnten. Die nach dem Krieg häufig bemühte Schutzbehauptung einiger verantwortlicher Kommandeure, nichts von den Liquidierungen der Einsatzgruppen gewusst zu haben, verbannt Hürter überzeugend in das Reich der Märchen.
Hier vollzog sich also der Schulterschluss der konservativen Generalität, die sich bis 1941 weitgehend den Intentionen Hitlers angepasst hatte, mit der fanatischen "Generation des Unbedingten". Den Blick darauf gerichtet und zugleich auch für die längerfristigen Entwicklungen geöffnet zu haben ist das große Verdienst des Autors: "Der Transformation vom bürgerlichen Rechts- und Normenstaat zum totalitären Maßnahmenstaat, der seine schrecklichste Konsequenz in der deutschen Herrschaft über Osteuropa und im Holocaust fand, entsprach die Transformation wohl aller Institutionen und Eliten des NS-Staates." (607) Von dieser Entwicklung war auch die Wehrmachtsführung nicht ausgenommen.
Trotz ihres beachtlichen Umfanges mag man die quellengesättigte Monografie beim Lesen kaum aus der Hand legen. Es ist dem klaren, zugleich der Sensibilität des Hauptthemas gebührend Respekt zollenden Stil Hürters zu danken, dass vereinzelte, dem vergleichenden Aufbau der gruppenbiografischen Betrachtung geschuldete Redundanzen kaum ins Gewicht fallen. Diese beeindruckende Studie ist ganz ohne Zweifel bereits jetzt ein Standardwerk.
Anmerkung:
[1] Michael Wildt: Generation des Unbedingten. Das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes, Hamburg 2002.
Jochen Böhler