Ilja Steffelbauer / Khaled Hakami (Hgg.): Vom alten Orient zum Nahen Osten (= Expansion, Interaktion, Akkulturation. Historische Skizzen zur Europäisierung Europas und der Welt; Bd. 10), Essen: Magnus Verlag 2006, 271 S., ISBN 978-3-88400-602-3, EUR 14,90
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Das vorliegende Buch nimmt man erwartungsvoll, aber auch ein wenig misstrauisch zur Hand. Die Geschichte eines Kulturraums in den vergangenen 5000 Jahren auf weniger als 300 Seiten darstellen - ist das möglich? Zumal sich die Herausgeber das ehrgeizige Ziel gesetzt haben, jenseits der von den Medien verbreiteten Klischees verständlich machen zu wollen, welche kulturellen, geographischen und nicht zuletzt auch politischen Gegebenheiten und Entwicklungen bis in die Gegenwart die einzelnen Länder des Mittleren Ostens geprägt haben, womit in diesem Fall die Region zwischen Mittelmeer, Kaukasus und Persischem Golf bezeichnet wird. Den Herausgebern ist es dabei durchaus bewusst, dass ein solches Unternehmen aufgrund der in den vergangenen Jahrzehnten gewachsenen Unsicherheit in der Wissenschaft, was denn nun eigentlich "der Orient" bzw. "der Nahe Osten" sei, nur den Versuch einer Annäherung unternehmen zu können. So wird in den im zu besprechenden Band versammelten Beiträgen, verfasst von einem Dutzend an der Universität Wien in tätigen Autorinnen und Autoren aus verschiedenen Disziplinen (Geographie, Geschichte und Politikwissenschaft) versucht, aus verschiedenen Blickwinkeln zu beschreiben, welche Phänomene längerer Dauer die Region von den Anfängen der Zivilisation an gekennzeichnet haben.
Gegliedert ist die Darstellung in drei jeweils durch einen kurzen Essay eingeleitete Teile, die den altorientalischen Reichen, dem vorderasiatischen Raum in der Antike und schließlich der Geschichte der Region vom Mittelalter bis in die Gegenwart gewidmet sind. Während sich die beiden Aufsätze im ersten Teil auf einer eher theoretischen Ebene mit den Faktoren beschäftigen, die im Vorderen Orient frühzeitig zur Entstehung sesshafter und später städtischer Lebensformen geführt haben, behandelt der mittlere Teil den gesamten Raum am Beispiel des Urbanismus in hellenistischer Zeit und, anhand der imperialen Machtkämpfe zwischen Rom und Iran als Schauplatz der Auseinandersetzung zwischen Ost und West in der Spätantike. Im dritten Teil schließlich wird die Entwicklung der Region seit dem Mittelalter unter dem Eindruck äußerer Einflüsse, wobei im Einzelnen der Kreuzzüge, der zentralasiatische Nomadismus (mit dem Osmanischen Reich als Folgephänomen) und nicht zuletzt in zwei Beiträgen der westliche Imperialismus und dessen Auswirkungen auf die Region im 20. Jahrhundert behandelt werden.
Allgemein ist es bei Sammelbänden ein seltener Glücksfall, wenn sich die einzelnen Teile wirklich zu einem geschlossenen Ganzen verbinden. Über die Grenzen und Möglichkeiten einer Überblicksdarstellung in Einzelbeiträgen sind sich auch die Herausgeber des zu besprechenden Buches durchaus im Klaren gewesen, weshalb der vorliegende Band nicht als inhaltlich geschlossenes Werk, sondern als schlaglichtartige Darstellung angelegt ist. Das hat leider nicht verhindert, dass der Band nach der Lektüre einen insgesamt unbefriedigenden Eindruck hinterlässt. Dabei ist zunächst einmal festzuhalten, dass die einzelnen Beiträge durchweg solide Informationen enthalten und dass, wer eine knappe und pointierte Einführung sucht oder aber neue Perspektiven auf scheinbar vertraute Themenfelder erhalten möchte, den Band durchaus mit Gewinn zur Hand nehmen kann.
Was den im einzelnen guten Eindruck im gesamten trübt ist allerdings die inhaltliche und methodische Konzeptionslosigkeit des gesamten Bandes, bei dem man eine durchgehende Fragestellung oder einen thematischen Schwerpunkt vermisst, wodurch er eher den Charakter einer Ansammlung von Aufsätzen zum jeweiligen Spezialgebiet ihrer Verfasser annimmt.
In der Konzeption am besten gelungen ist dabei der erste Abschnitt, der die Region als geographischen Raum betrachtet und dessen Beiträge in erster Linie, und durchaus überzeugend, die Entstehung und Entwicklung landwirtschaftlicher und schließlich auch städtischer Lebensformen aufzuzeigen.
Besonders werden dabei die Wechselbeziehungen zwischen Ökologie, Wirtschaft, Verwaltung und Kultur herausgestellt, die gerade zwischen Mittelmeer und Euphrat die Entstehung menschlicher Kultur beeinflusst und gefördert haben. Nicht zuletzt ist man gespannt, zu erfahren, ob und wie sich diese besondere Kultur dann langfristig, und das heißt, bis in die jüngste Zeit, weiterentwickelt hat.
Am besten vermag es der darauffolgende Aufsatz zum Orient in hellenistischer Zeit, an diese Ansätze sinnvoll anzuknüpfen, indem er sich auf die jeweils wechselnde Bedeutung urbaner Zentren in während dieser Periode behandelt, wobei es gelingt, die zuvor dargelegten Phänomene und aufgezeigten Entwicklung bis in die Antike fortzuführen. Ganz anders hingegen steht es beim darauffolgenden Beitrag zum Nahen Osten in spätantiker Zeit, der sich (wohl nicht zuletzt aufgrund der verfügbaren Quellen) als Beispiel klassischer Ereignis- und v.a. Feldzugsgeschichte erweist (der Titel "Pompeius bis Heraklios" kann schon als programmatisch gelten) die kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen jedoch gänzlich unberücksichtigt lässt.
Im dritten Teil finden sich mit den Beiträgen zu den Kreuzzügen und zum asiatischen Nomadismus zwei kenntnisreiche und mitunter glänzende Darstellungen, bei denen allerdings im Bemühen um eine umfassende Beschreibung der beiden Phänomene deren Bezug zum Vorderen Orient über weite Strecken aus dem Blick gerät. Eigentümlich dürftig ist schließlich die Behandlung der jüngeren Geschichte. Der Beitrag zum Osmanischen Reich befasst sich ausführlich mit dessen Entwicklung und Strukturen bis 1600, während das 18. und 19. Jahrhundert auf gerade einmal zwei Seiten abgehandelt werden. Nur noch enttäuschend sind schließlich die letzten beiden Aufsätze zum Vorderen Orient im 20. Jahrhundert, die auf wichtige, weil auch politisch und gesellschaftlich relevante Themen wie Urbanisierung und Landwirtschaft nur am Rande eingehen und sich in journalistischer Manier mit einer kurzatmige Erörterung politischer Phänomene und der jüngeren Geschichte der einzelnen Staaten der Region begnügen, die zudem vielfach die aus den Medien bekannten Klischees bedient - gerade das also, was die Herausgeber erklärtermaßen vermeiden wollten.
Auch die den einzelnen Teilen zugewiesenen übergreifenden Themen erscheinen nicht besonders glücklich gewählt. Die Ausführungen über den Nahen Osten aus geographischer Sicht zum ersten Teil bilden eine gute Einführung, an die die beiden folgenden Beiträge sinnvoll anschließen können. Der Kurzessay zum zweiten Teil ("Athenas Stiefzwillinge") über die östlichen Wurzeln der westlichen Zivilisation wirkt vor allem wie eine besonders gegen Huntington gerichtete Polemik zu den kulturalistischen Diskursen der Gegenwart; und es mag vollends dahingestellt sein, ob die im heutigen Nahen Osten verbreiteten, auf den Westen bezogenen Verschwörungstheorien wirklich den angemessenen inhaltlichen Bezugspunkt für die Beiträge zur Geschichte der westlichen islamischen Welt seit dem Mittelalter bilden können.
Gerade angesichts der Verschiedenheit der Ansätze und Themen hätte man sich mitunter auch eine gründlichere Redaktion gewünscht, die vielleicht geholfen hätte, die einzelnen Beiträge inhaltlich besser abzugleichen und den in einigen Fällen sehr ausgeprägten Fachjargon etwas leserfreundlicher zu gestalten. So erfährt etwa der zunächst irritierte Leser von Iberien als Schauplatz der Kämpfe zwischen Römern und Persern (118), wird aber erst mehrere Seiten später (128) darüber aufgeklärt, dass dies der in der spätantike gebräuchliche Name für das heutige Georgien gewesen ist. Bei allen Beiträgen wäre zudem eine beigefügte Landkarte zur Veranschaulichung des Geschriebenen sehr hilfreich gewesen.
Zusammenfassend liegt mit dem genannten Band ein Werk vor, das mit einen ehrgeizigen Anspruch angetreten ist, den es jedoch in weiten Teilen nicht einzulösen vermag. Das heißt, wie gesagt, nicht, dass das Buch keinen wertvollen Beitrag zur wissenschaftlichen Diskussion leisten würde oder das gesamte Konzept verfehlt und von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen wäre. Gerade angesichts der durchaus gelungenen Aufsätze, deren Erträge dann leider keinen Bezug zu den übrigen Beiträgen zu nehmen vermögen, stellt sich allerdings das Gefühl ein, dass hier methodisch wie auch inhaltlich wesentlich mehr möglich gewesen wäre.
Roman Siebertz