Corine Defrance / Ulrich Pfeil: Eine Nachkriegsgeschichte in Europa. 1945 bis 1963 (= WBG Deutsch-Französische Geschichte; Bd. 10), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2011, 324 S., ISBN 978-3-534-14708-3, EUR 69,90
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Die Entwicklung der deutsch-französischen Beziehungen wird nicht selten als "Erfolgsgeschichte" bezeichnet. Angesichts der Tatsache, wie viele Blockaden, Misserfolge und Rückschläge in dieser Beziehungsgeschichte überwunden werden mussten, wird dieses Attribut sicher zu Recht vergeben. Für die Geschichtswissenschaft geht es somit nicht mehr darum zu ergründen, wie es beiden Seiten letztlich immer wieder gelang, ihre Interessen in Einklang zu bringen. Vielmehr werden verstärkt die Zwischentöne der deutsch-französischen Verständigung untersucht, wie z.B. der Umgang mit deutschen Kriegsverbrechern und die Frage der Wiedergutmachung.
Im Rahmen der vom Deutschen Historischen Institut in Paris herausgegebenen elfbändigen Reihe "Deutsch-Französische Geschichte", in der die Entwicklungen vom Mittelalter bis in die Gegenwart dargestellt werden und die gleichzeitig auf Deutsch und Französisch erscheint, haben sich Corinne Defrance und Ulrich Pfeil nun der von den Franzosen als Vorgeschichte des "franco-allemand" bezeichneten Epoche gewidmet, also den Jahren vor der Unterzeichnung des Elysée-Vertrages und der "Präsidentenpärchen". Ziel des Buches ist es, die Interdependenz zwischen den unterschiedlichen Handlungs- und Akteursebenen zu beleuchten, um die Interaktionen, Schnittstellen und Komplementaritäten auf den verschiedenen Niveaus darzustellen. Dafür sollen neben den internationalen Rahmenbedingungen auch die transnationalen Dynamiken auf der Ebene der Zivilgesellschaft analysiert werden, um die grenzüberschreitenden Transfer- und Austauschprozesse, die wechselseitigen Wahrnehmungen und die verschiedenen Formen der Verflechtung zu beleuchten (17). Dabei greifen Defrance und Pfeil zurück auf den von Pierre Renouvin und Jean-Baptiste Duroselle entwickelten Ansatz der forces profondes, mit dessen Hilfe die Trends der innergesellschaftlichen Entwicklungen sowie auch deren Einfluss auf die Außenpolitik gemessen werden soll. Die These der beiden Autoren ist, dass die deutsch-französischen Sonderbeziehungen nicht erst mit dem Elysée-Vertrag 1963 begannen. Defrance und Pfeil gehen vielmehr davon aus, dass die Unterzeichnung des Vertrages nur möglich war, weil die seit 1945 laufende Verständigungsarbeit bereits ihre Früchte getragen hatte (17).
Wie alle Bände der Reihe, deren Hauptziel es ist, einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand zu geben und deutsche und französische Forschungsansätze miteinander zu verbinden, ist das Buch in drei Teile gegliedert. Im ersten wird ein sehr nuancierter und gleichzeitig kompakter Überblick der deutsch-französischen Beziehungen zwischen 1945 und 1963 geliefert, in dem alle wichtigen aktuellen Forschungsmeinungen wiedergegeben werden. Der zweite Teil behandelt Fragen und Perspektiven der Historiographie der deutsch-französischen Beziehungen. Dabei gehen die Autoren sowohl auf bereits geführte Debatten als auch auf bestehende Forschungsdefizite ein. Der Forschungsüberblick ist ziemlich vollständig und bietet zahlreiche Anregungen für weitergehende Analysen und Projekte. Die Untergliederung erfolgt nicht chronologisch, sondern nach thematischen Gesichtspunkten. So werden die historiografischen Debatten zur französischen Besatzungspolitik in Deutschland genauso erörtert wie die Dreiecksbeziehungen zwischen Frankreich, der Bundesrepublik und der DDR. Ferner wird diskutiert, inwiefern Geschichte als Vehikel der Annäherung fungieren kann, und der gesellschaftliche Wandel und die Modernisierung in Deutschland und Frankreich verglichen. Der dritte und letzte Teil umfasst eine thematisch gegliederte und alle wichtigen Werke zu den deutsch-französischen Beziehungen auflistende Bibliographie.
Dass der Band keine wirklich neuen Erkenntnisse zur Geschichte der deutsch-französischen Beziehungen der Jahre 1945-1963 enthält, ist angesichts des Reihenformats nicht verwunderlich. Stattdessen fasst er in kompakter Form alle wichtigen Forschungsergebnisse und -meinungen zusammen und liefert so einen modernen Überblick über die Debatten, die in der deutschen und französischen Historiographie in den letzten Jahrzehnten geführt wurden. Besonders gelungen ist die Verzahnung der Gesellschaftsgeschichte mit der politischen Geschichte. Themen, die üblicherweise unter rein politikgeschichtlichen Aspekten analysiert wurden, erhalten so eine Vielschichtigkeit, die vergleichbaren Analysen bislang oft abging.
Freilich kann man darüber diskutieren, ob das Jahr 1963 tatsächlich eine solche große Zäsur in den deutsch-französischen Beziehungen bedeutete. Ähnliches gilt für die These, dass die deutsch-französische Versöhnungsarbeit bereits 1945 begann. Dabei steht weniger die These selbst zur Debatte, sondern vielmehr die Frage, ob sie nicht offensichtlich ist und bereits des Öfteren belegt wurde.
Dies tut dem Band jedoch keinerlei Abbruch - selten wurden die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Dimensionen der deutsch-französischen Beziehungen in den Jahren vor dem Elysée-Vertrag so kenntnisreich und prägnant dargestellt. Mit der Einbeziehung aller Debatten ist Defrance und Pfeil somit eine Darstellung gelungen, die nicht etwa einen Schlussstrich unter das Studium der deutsch-französischen Geschichte setzt, sondern die vielmehr zu neuen Forschungen anregt, deren Ziel es sein soll, den Nuancen und Verzahnungen dieser wechselvollen Geschichte noch stärker auf den Grund zu gehen.
Veronika Heyde