Siegfried Mielke / Peter Rütters (Hgg.): Der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund 1945 - 1949/50. Gründung, Organisationsaufbau und Politik - Zonenebene. Bearbeitet von Peter Rütters unter Mitarbeit von Marion Goers (= Quellen zur Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung im 20. Jahrhundert; Bd. 15), Bonn: J.H.W. Dietz Nachf. 2011, 1027 S., ISBN 978-3-8012-4209-1, EUR 68,00
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Rainer Eppelmann / Bernd Faulenbach / Ulrich Mählert (Hgg.): Bilanz und Perspektiven der DDR-Forschung, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2003
Stefan Paul Werum: Gewerkschaftlicher Niedergang im sozialistischen Aufbau. Der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) 1945 bis 1953, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2005
Frank Ebbinghaus: Ausnutzung und Verdrängung. Steuerungsprobleme der SED-Mittelstandspolitik 1955-1972, Berlin: Duncker & Humblot 2003
Auf den ersten Blick ähnelte der Aufbau des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) dem der Einheitsgewerkschaften im Westen Deutschlands. In allen vier Besatzungszonen sollten nämlich die Lehren aus der zersplitterten Gewerkschaftsbewegung der Weimarer Republik gezogen werden, die für den Aufstieg des Nationalsozialismus mit verantwortlich gemacht wurde. Doch schon bald zeigten sich die Unterschiede, denn in der SBZ wurde die Durchsetzung der kommunistischen Gewerkschaftskonzeption unübersehbar. Bereits vor der DDR-Gründung wandelte sich der FDGB von einer Interessenvertretung zu einer Massenorganisation, die sich dem Herrschaftsanspruch der SED unterordnete. Auch mit Hilfe der gesellschafts- und kulturpolitischen Aktivitäten des FDGB sollten die Gewerkschaftsmitglieder eng an die neue politische Ordnung gebunden werden. Diesen Anpassungsprozess haben Historiker in den vergangenen Jahren bereits ausgiebig untersucht. [1] Jetzt liegt eine umfangreiche Dokumentation vor, deren zeitlicher Schwerpunkt auf den Jahren zwischen Kriegsende und Staatsgründung liegt; dagegen wird die Phase nach dem 7. Oktober 1949 - dem offiziellen Gründungsakt der DDR - nur am Rande abgehandelt.
Der Band dokumentiert, dass in der unmittelbaren Nachkriegszeit klassische Gewerkschaftsaufgaben anfangs noch im Mittelpunkt standen, wie z. B. Fragen der Tarif- und Sozialpolitik. Dabei ging es nicht nur um die Umsetzung von Konzepten zur Neuordnung der Sozialversicherung, die in Kreisen der sozialistischen Arbeiterbewegung vor 1933 entwickelt worden waren, sondern auch um gravierende Probleme bei der Versorgung der Bevölkerung mit Gütern des täglichen Bedarfs. So berichtete der 2. FDGB-Vorsitzende von Sachsen-Anhalt am 12. Mai 1947, dass "bezüglich der Ernährung [...] die Stimmung der Belegschaften außerordentlich schlecht" sei (502). In Betriebsversammlungen hätten Arbeiter erklärt, aufgrund der bestehenden Lebensmittelzuteilungen könnte "die Arbeitskraft" nicht aufrecht erhalten werden. Der FDGB-Funktionär meldete in dem Zusammenhang erste Streiks in zwei größeren Betrieben bei Magdeburg. Der Gewerkschaftsbund wollte die sozialpolitischen Ziele mit Hilfe ordnungspolitischer Maßnahmen durchsetzen und unterstützte somit den wirtschaftspolitischen Kurs der SED. Zur Bekämpfung des Schwarzmarktes hatte der FDGB-Bundesvorstand etwa am 9. August 1945 in einem Rundschreiben angeboten, der Deutschen Zentralfinanzverwaltung bei der Durchsetzung der Preiskontrolle zu assistieren. Dazu sollten bei allen FDGB-Vorständen auf Landesebene "Aktionskomitees" geschaffen werden, deren hauptamtliche Leiter verantwortlich seien "für die Schaffung einer gerechten Preispolitik" (344).
Innerhalb kurzer Zeit mutierte der FDGB zu einem Befehlsempfänger der SED, der nur noch gelegentlich auf die eigene organisatorische Eigenständigkeit pochte. Wesentliche Ursachen dafür waren zum einen die gewaltsame Neuordnung des politischen Systems in der SBZ und zum anderen der Übergang zur Planwirtschaft. Die Massenorganisationen bekamen die Aufgabe zugewiesen, die wirtschaftspolitischen Ziele des Halbjahrplanes 1948, des Zweijahrplanes 1949/50 und des ersten Fünfjahrplanes (1951-1955) zu unterstützen. Dabei sollte der FDGB - als wichtigste Massenorganisation - die Steigerung der Arbeitsproduktivität in der Arbeiterschaft durchsetzen. Mit den sogenannten Hettstädter Beschlüssen stärkte der geschäftsführende FDGB-Bundesvorstand am 8. Mai 1948 einerseits die Betriebsgewerkschaftsgruppen gegenüber den eigensinnigen Betriebsräten. Andererseits wurden nun die Kampagnen des FDGB im Rahmen des SMAD-Befehls Nr. 234, mit dem die östliche Besatzungsmacht bereits im Herbst 1947 die Steigerung der Arbeitsproduktivität in der Industrie gefordert hatte, zur Hauptaufgabe der Gewerkschaften erklärt. Diese Beschlüsse tangierten nicht nur die Funktion der Gewerkschaften, sondern auch die Aufgabenverteilung der betrieblichen Interessenvertretungen.
Die zögerliche Umsetzung der Hettstädter Beschlüsse in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern wurde vom späteren FDGB-Vorsitzenden Herbert Warnke auf den "zum Teil überalterten Funktionär[s]körper in diesen Ländern" zurückgeführt (696). Er sprach sich deshalb für eine personelle Verjüngung aus, um die Landesverbände gefügig zu machen. Gleichzeitig musste die Gewerkschaftszentrale bei der Hennecke-Bewegung (eine Aktivistenbewegung nach sowjetischem Vorbild zur Übererfüllung der Normen in der volkseigenen Wirtschaft) zur Kenntnis nehmen, dass die Umsetzung der Planerfüllung in den Betrieben auf Widerstand stieß und bei den Funktionären gemischte Gefühle hervorrief. So betonte ein Vertreter des thüringischen Landesverbandes: "Hennecke ist nur Einmaliges, welches sich auf den Betrieb überhaupt nicht ausgewirkt hat." (821) Der Band verdeutlicht, wie SMAD und SED die personalpolitischen Entscheidungen des FDGB zu beeinflussen suchten und darauf drängten, den sozialdemokratischen Anteil unter den Funktionären zu reduzieren. Ein Vermerk des persönlichen Mitarbeiters Paul Merkers im SED-Parteivorstand, Walter Janka, vom 24. Oktober 1947 zu den bevorstehenden Vorstandswahlen beim FDGB Groß-Berlin enthielt beispielsweise die unmissverständliche Aufforderung: "Der bisherige Vorsitzende [Willi] Hübner (SPD, Schumacher) darf nicht wieder gewählt werden." (598)
Der Band enthält eine ausführliche Einleitung, in welcher Bernd Rütters die Anfänge des FDGB kenntnisreich in die Geschichte der SBZ und der frühen DDR einbettet. Anschließend werden insgesamt 304 Dokumente präsentiert, die vor allem aus dem in der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv (SAPMO) liegenden FDGB-Bestand stammen. Für die Publikation hat der Bearbeiter außerdem noch Dokumente aus dem Berliner Landesarchiv und dem Archiv für soziale Demokratie (Bonn) ausgewählt. Im Einzelnen handelt es sich vor allem um Protokolle, Aktennotizen, Rundschreiben, Briefe und Aufrufe, so dass beim Leser ein differenzierter Gesamteindruck nicht nur über die offizielle Gewerkschaftspolitik, sondern auch über Interna und Stimmungslagen in den unteren Ebenen des FDGB entstehen kann. Sie zeigen, wie der FDGB bereitwillig Vorgaben der SED ausführte und sich von seiner ursprünglichen Funktion einer Interessenvertretung mehr und mehr verabschiedete. Die Kampagne von 1948 gegen alte gewerkschaftliche Traditionen, für die der offizielle Begriff "Nurgewerkschaftlertum" (816) geprägt wurde, ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür. Der Quellenband ist nicht nur für denjenigen eine nützliche Hilfe, der sich mit der Geschichte der Gewerkschaften in der SBZ beschäftigt, sondern auch für all die, die der Frage nachgehen, wie sich die diktatorische Herrschaft der SED etablieren konnte. Darüber hinaus gewährt das Werk Einblicke in die Arbeits- und Lebenswelten der ostdeutschen Arbeiterschaft bis Anfang der 1950er Jahre.
Anmerkung:
[1] Vgl. Detlev Brunner: Sozialdemokraten im FDGB. Von der Gewerkschaft zur Massenorganisation, 1945 bis in die frühen 1950er Jahre, Essen 2000; Helke Stadtland: Herrschaft nach Plan und Macht der Gewohnheit. Sozialgeschichte der Gewerkschaften in der SBZ/DDR 1945-1953, Essen 2001; Stefan Paul Werum: Gewerkschaftlicher Niedergang im sozialistischen Aufbau. Der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) 1945 bis 1953, Göttingen 2005.
Dierk Hoffmann