Dorian Borbonus: Columbarium Tombs and Collective Identity in Augustan Rome, Cambridge: Cambridge University Press 2014, XVI + 294 S., 66 s/w-Abb., ISBN 978-1-107-03140-1, GBP 65,00
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Wer sich von der 2014 erschienenen Monographie Columbarium Tombs and Collective Identity in Augustan Rome ein umfassendes Kompendium der so bezeichneten Grabarchitekturen unter Berücksichtigung all ihrer Aspekte erhofft, dürfte enttäuscht werden. Eine solche handbuchartige 'Materialarbeit' bleibt ein Desiderat. Stattdessen bietet die auf eine Dissertation an der University of Pennsylvania (2006) zurückgehende Studie vor allem eine sozialgeschichtlich hergeleitete Erklärung für das Aufkommen und den Wandel eines Bautypus, der auf das Engste mit der römischen Hauptstadt und ihren einschneidenden Veränderungen unter Augustus verbunden scheint. In der Stringenz und Klarheit, mit der diese These entwickelt wird, liegen die beachtlichen Stärken des Buches.
Eingangs bedarf es dazu freilich einer Reihe von Einschränkungen zur genaueren Festlegung des Untersuchungsgegenstandes: Als Columbarien im engeren Sinne werden von Borbonus lediglich solche anerkannt, die unterirdisch und damit für die Öffentlichkeit weitgehend unsichtbar angelegt waren. Zudem zeichne sich der Bautypus seiner Grundidee nach durch ein homogenes Erscheinungsbild im Inneren aus, das durch die konsequente Nutzung der Wände zur Einbringung gleich-, meist bogenförmiger Nischen mit darin vermauerten Aschenurnen (ollae) erzeugt werde. Beides seien konstitutive Merkmale von Columbarien der augusteischen Zeit, für die es in Rom selbst keine unmittelbaren Vorläufer gebe. Unter diesen Voraussetzungen gelangt der Verfasser zu einer überschaubaren Anzahl von 35 Grabgebäuden, die in einem Katalog am Ende des Bandes aufgeführt sind.
Borbonus erkennt in den so definierten Columbarien eine architektonische Inkunabel, die mit den republikanischen Traditionen einer auf öffentliche Selbstdarstellung bedachten Grabkultur eklatant bricht. Auslöser dafür sei die Formierung eines neuen Milieus innerhalb der stadtrömischen Gesellschaft, für das die Organisation in (Grab-) Vereinen ein wesentliches Auffangbecken seiner sozialen Bedürfnisse darstellte. Daher bilde der Gedanke der Zugehörigkeit zum bzw. der Solidarität innerhalb des Kollektiv die entscheidende Grundlage für die räumliche und ästhetische Gestaltung der Gemeinschaftsgräber.
Neben der präzisierenden Definition des Gegenstandes erfolgt im ersten Kapitel eine kritische Revision der Forschungsgeschichte. Diese wird weitgehend durch den Umstand geprägt, dass die meisten der fraglichen Grabbauten bereits vor der Einführung archäologischer Ausgrabungsmethoden entdeckt worden sind. Die Aufzeichnungen der Antiquare seit der Mitte des 16. Jahrhunderts haben einerseits zu einer fehlerhaften terminologischen Ansprache veranlasst: Der von der Taubenzucht auf stadtrömische Grabbauten übertragene Begriff des columbarium bezeichnet eigentlich die einzelne Grabnische und nicht die gesamte Grabarchitektur. Andererseits haben sie frühzeitig unzulässigen Verallgemeinerungen und Deutungen zu nachhaltiger Wirkung verholfen. Das betrifft zum einen die aus dem Columbarium 'der Livia' (Kat. 8/8A) abgeleitete Prämisse, solche Gräber wären üblicherweise dem Personal einzelner Adelshäuser zugedacht; zum anderen die verbreitete Auffassung, dass die Gemeinschaftsgräber als ökonomische Reaktion auf das sprunghafte Bevölkerungswachstum Roms zur Zeitenwende zu werten seien. Unter dem Einfluss namhafter Forscher wie etwa Theodor Mommsen habe sich so die anachronistische Ansicht verfestigt, die collegia ('funeraticia') hätten in erster Linie den Unterschichten zur Sicherstellung des Begräbnisses gedient.
Eine weitere Folge der ausgebliebenen stratigraphischen Untersuchungen liegt in der Schwierigkeit einer präzisen chronologischen Einordnung der Columbarien. Borbonus weist hier zu Recht darauf hin, dass sich die Entstehungszeit der Bauten nur über die Bauweise, die unbewegliche Ausstattung (z. B. Wanddekor) oder Bauinschriften eingrenzen lässt; alle anderen Indizien geben lediglich Anhaltspunkte zur Nutzungsdauer. Den Widerspruch von drei Inschriften, die bislang für eine Genese des Bautyps noch in spätrepublikanischer Zeit herangezogen worden waren, kann Verfasser plausibel entkräften. In der Summe legen die Hinweise sogar die Annahme nahe, dass die meisten der im Katalog erfassten Grabgebäude erst in die Spätphase der augusteischen Regentschaft datieren. Bereits unter Tiberius dünnten die Belege für Neubauten wieder aus, während die Nutzung der Columbarien für weitere Bestattungen oftmals bis weit in das 2. Jahrhundert n. Chr. reiche.
Im zweiten Kapitel des Buches werden die Überlegungen zum Design der Columbarien vertieft. Trotz der problematischen Überlieferungslage kann Verfasser hier glaubhaft machen, dass es den Auftraggebern der Bauten darauf ankam, diese nach außen möglichst unscheinbar zu gestalten. Die oberirdischen Zugänge liegen nachweislich abseits der großen Verkehrswege und sind, soweit nachvollziehbar, mit denkbar geringem Aufwand (Türlaibungen aus Travertin, Tonnengewölbe anstelle von Dächern?) versehen. Für die Raumaufteilung im Inneren fehlt ein vorgegebenes Schema, außer dass die Hervorhebung einzelner Grablegen konsequent vermieden wurde. Vorrangige Funktion dieser Architekturen war es demnach, einen Raum zu schaffen, in dem sich die Grabgemeinschaft als Kollektiv gleichberechtigter (Vereins-) Mitglieder erfahren konnte. Borbonus muss dabei jedoch einräumen, dass die stadtrömischen Columbarien der augusteischen Zeit im Gegensatz zu ihren (oberirdischen!) Pendants in Ostia keine signifikanten Einrichtungen für den Vollzug kollektiver Rituale aufweisen.
Hinsichtlich möglicher Vorbilder verweist Verfasser plausibel auf Kollektivgräber hellenistischer Hafenstädte (Alexandria, Rhodos) mit vergleichbaren sozialen Umständen und lehnt die Abhängigkeit von etruskischen Felskammern mit Nischensystemen zu Recht ab. Lediglich der singuläre Befund bei der Kirche San Cesareo an der Via Appia (Gefäße für os exceptum, deren Graffiti zu 65% einen libertinen Hintergrund anzeigen) deute darauf, dass das plötzliche Aufkommen des an sich ausgereiften Bautyps auch auf eine stadtrömische Vorgeschichte zurückzuführen sei.
Während die Verlosung der Grablegen das Prinzip der Gleichbehandlung aller Vereinsmitglieder unterstreicht, lassen die Columbarien vielfach erkennen, dass solche Regeln in der Praxis auch umgangen oder durchbrochen werden konnten (z. B. Grab der Stertinii Kat. 27). In Kapitel 3 liefert Verfasser den Nachweis dafür, dass es sich nicht etwa um Ausnahmen, sondern um eine langfristige Entwicklungstendenz handelt. Ungefähr ab der Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. wird für die Neubauten von Columbarien eine oberirdische Errichtung bevorzugt. Im Innern dieser Grabbauten wird die Uniformität der Wandgliederung vor allem durch symmetrisch verteilte Ädikulen aufgelöst, die eine Hierarchie der Grablegen evozieren. Parallel erfahren auch die schon bestehenden Columbarien solche und andere Einbauten sowie die Einführung von marmornen Urnen und Grabaltären anstelle der tönernen Aschenbehälter. Die Hervorhebung einzelner Individuen aus der Grabgemeinschaft erscheint damit nicht länger als Tabu. Mit dem Übergang von der Brand- zur Körperbestattung im frühen 2. Jahrhundert n. Chr. gingen so aus dem innovativen Grabtypus des augusteischen Columbarium sukzessive die standardisierten Grabhäuser der mittleren Kaiserzeit hervor.
Auffälligstes Charakteristikum der in Kapitel 4 behandelten Grabinschriften ist ihre schiere Menge gegenüber der zuvor üblichen Praxis. Im Zuge des neuen epigraphic habit unter Augustus werde nun jeder Einzelne mit einer Inschrift bedacht, auch wenn diese eher selten über die Namensangabe hinausgeht. Im Gegensatz zu den außen angebrachten tituli anderer Grabbauten läge die Intention dieser Inschriften nicht in der Repräsentation, sondern in der privaten Kommemoration der Verstorbenen. Die dabei bevorzugt zum Einsatz kommende Form der tabula ansata verleihe diesen durch ihre amtliche Konnotation Autorität und Würde.
Bei der statistischen Auswertung aller im CIL erfassten Inschriften, die gesichert aus den im Katalog zusammengestellten Columbarien stammen, nimmt Verfasser die darin erwähnten 3.120 Individuen als Ausgangspunkt (Appendix Tabelle B.1.). Einmal mehr bestätigt sich hier der Eindruck, dass sich die Columbarien-Nutzer mehrheitlich aus Sklaven und Freigelassenen zusammensetzten (Graphik Abb. 50). Der hohen Dunkelziffer von ca. 75% stellt Borbonus das weitgehende Fehlen der Tria Nomina entgegen und geht so bei mindestens der Hälfte aller in den Inschriften erwähnten Personen von einem servilen Ursprung aus. Gräber mit Zusammensetzung aus einem Haushalt (Konzentration identischer Gentilnomen) halten sich dabei mit heterogen besetzten Columbarien die Waage. In 75% der Fälle, in denen die Inschriften die verstorbene Person mit anderen in Beziehung setzen, ist die Kernfamilie betroffen; im Übrigen dominieren nicht-verwandtschaftliche Verhältnisse. Dabei steigt die Bedeutung der familiären Verbindungen mit der Zeit. Lediglich die Nennung von Vereinsämtern (165) bewertet Verfasser als kompetitiv, doch beschränken sich die Beispiele auf lediglich vier Kontexte. Die Hervorhebung Einzelner nehme im Inschriftenmaterial analog zur Entwicklung der architektonischen Mittel mit der Zeit immer mehr zu.
Abschließend geht Borbonus in Kapitel 5 näher auf die sozialgeschichtlichen Ursachen ein, die nach seiner Ansicht die Entstehung des neuartigen Grabtypus an der Zeitenwende überhaupt erst motiviert haben. Die Neustrukturierung der Gesellschaft unter Augustus habe einerseits für die in Rom ansässigen Sklaven, Freigelassenen und peregrinen Immigranten neue Aufstiegschancen in der höfischen Verwaltung und im öffentlichen Dienst eröffnet, andererseits aber durch eine restriktive Gesetzgebung die herkömmliche Diskriminierung dieser Gruppen weiter verschärft. Der daraus resultierende Identitätskonflikt und die zunehmende Auflösung aristokratischer Patronage hätten die Betroffenen dazu bewegt, in der selbständigen Organisationsform der collegia sozialen Halt zu suchen. Die zunehmende soziale Integration dieser Gruppen, nicht zuletzt aufgrund der den Familienstatus verändernden Generationenwechsel, böte die Erklärung dafür, dass der Bedarf nach äußerlich hermetisch abgeschlossenen und innen die Einheit betonenden Kollektivgräbern in Form der frühen Columbarien nur ein kurzlebiges Phänomen geblieben wäre. Erst um die Wende vom 2. zum 3. Jahrhundert n. Chr. hätten vergleichbare Faktoren zur Entstehung der Katakomben geführt.
Die Studie von Borbonus liefert eine plausible, gut geschriebene Darstellung, wie die Genese und weitere Entwicklung der Columbarien abgelaufen und zu erklären sein könnte. Ihr großes Verdienst ist dabei, ein sehr komplexes Teilgebiet der römischen Grabkultur so zu durchdringen, dass die wesentlichen Fragen und Lösungsansätze an Kontur gewinnen. Bisweilen werden zugunsten dieses Ziels Befunde, die sich nicht so leicht in das skizzierte Bild einfügen lassen, eher ausgeblendet. Auffällig ist etwa die geringe Berücksichtigung des sepolcreto Salario, in dem gewiss ebenfalls augusteische Columbarien anzutreffen sind. [1] Wegweisend ist hingegen der Ansatz, die bisher zu einseitig auf eine 'Kultur von oben' ausgerichteten Interpretationsmuster der Forschung zu überwinden und den Blick dafür zu schärfen, welchen eigenständigen Beitrag die unteren Schichten zum Erscheinungsbild der Urbs und ihrer Nekropolen geleistet haben.
Anmerkung:
[1] Zuletzt: C. Cupitò: Il territorio tra la via Salaria, l'Aniene, il Tevere, e la via "Salaria Vetus": Municipio II, Rom 2007.
Jochen Griesbach