Bayerische Staatsgemäldesammlungen (Hg.): Brennpunkt Rom. Sébastien Bourdons Münchner Kalkofen, München: Bayerische Staatsgemäldesammlungen 2014, 144 S., zahlr. Farbabb., ISBN 978-3-9814578-6-5, EUR 28,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Dagmar Hirschfelder: Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts, Berlin: Gebr. Mann Verlag 2008
Jörg Diefenbacher: Anton Mirou (1578 - vor 1627): Ein Antwerpener Maler in Frankenthal, Landau: Pfälzische Verlagsanstalt 2007
Nicolette Sluijter-Seijffert: Cornelis van Poelenburch 1594/5-1667. The paintings, Amsterdam: John Benjamins 2016
Das großformatige Frühwerk Kalkofen Sébastien Bourdons in München gehört zu den Werken, die in der Forschung zwischen den Stühlen sitzen. Von einem Franzosen höchstwahrscheinlich in Rom um 1637 (40) als Bambocciade geschaffen, bevor dieser sich später dem Klassizismus im Umkreis und in der Nachfolge von Nicolas Poussin anschloss, gelangte es schon im 17. Jahrhundert nach München, wo es durch Sandrarts Beschreibung in der Teutschen Academie von 1675 bezeugt und dann ab 1750 in den Inventaren der Wittelsbacher dokumentiert ist. So hängt es zwar geschätzt, aber etwas vereinzelt in der Alten Pinakothek und kaum einer fühlte sich wissenschaftlich recht zuständig für das Werk.
Diesem Mangel hat Elisabeth Hipp mit einer Ausstellung und einer Publikation nun abgeholfen. Das Konzept spiegelt die Verflechtung der verschiedenen Stränge wieder. Während die beiden Aufsätze von Elisabeth Hipp und David Mandrella einerseits dem Kalkofen und dem Künstler gelten, beleuchten die Vergleichsbeispiele des Katalogs schlaglichtartig die Themen Kalkofen, Bamboccianti und Sébastien Bourdons Werk. Ein von Christian Schachtner zusammengestelltes Verzeichnis der Werke Sébastien Bourdons in den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen mit umfassender Bibliografie runden den Band ab.
Elisabeth Hipp behandelt den Kalkofen Bourdons sorgfältig unter verschiedenen Gesichtspunkten. Sie ordnet das Werk in den Kontext der bamboccianten Malerei und des von Pieter van Laer erfundenen Themas der Kalköfen ein. Der 1636 in Rom dokumentierte Bourdon griff mit dem Sujet ein damals brandneues Genre auf.
Kurz geht Hipp auf eine Reihe von Kalkofendarstellungen ein, die offenbar auf ein "Ur-Exemplar" (22) zurückgehen, das nach einem Vorschlag von Sheila McTighe mit dem auf dem Stadtplan Roms von Antonio Tempesta von 1645 abgebildeten, nördlich der Ripetta gelegenen Kalkofen identisch sein könnte. Auf einem anderen Wege kam der Rezensent auf eine ungefähr gleiche Lokalisierung des "Ur-Exemplars", das auch auf einem Gemälde von Johannes Lingelbach in der Nationalgalerie Prag (Inv.-Nr. O 13238) verarbeitet wurde. Das reale Vorbild stand auf dem Tiberuferabschnitt zwischen der Ripetta und der Stadtmauer, wo sich der Holzhafen, Porto della Legna, befand. [1]
In einer detaillierten Bildanalyse arbeitet Hipp dann die motivischen Verflechtungen mit der jungen Bildtradition heraus und wie sich Bourdon von der von Pieter van Laer etablierten Ikonografie absetzt. Wie die anderen Künstler stellte er die Umgebung des Kalkofens als Treffpunkt von Männern aus den untersten Schichten der Bevölkerung dar, wohl Obdachlose, die am Kalkofen im Winter Wärme suchen, Kleider trocknen, eine gefangene Katze braten und miteinander spielen. Der Kalkofen war offenbar auch ein sozialer Brennpunkt. Bourdon weicht jedoch in wichtigen Punkten von der Tradition ab. Sein Bild ist viel größer als die üblichen Kalkofen-Bilder im Kabinettformat. Er monumentalisiert die Komposition, taucht die Szenerie in ein dramatisches Abendlicht und hinterfängt die arme Leute-Szenerie mit heroischen Versatzstücken der Größe Roms, dem Grabmal der Caecilia Metella und der Engelsburg. Ergänzend kann man hinzufügen, dass das Grabmal auf einer formalen Ebene den üblicherweise in der Bildtradition verwendeten runden, turmartigen Kalkofen gewissermaßen ersetzt, denn von letzterem sieht man eigentlich nur den Feuerschein der Brennkammer. Noch Levine hielt das Grabmal der Caecilia Metella auf Bourdons Bild für den eigentlichen Kalkofen. [2] Das Problem der Beziehung des Münchner Kalkofens zu Pieter van Laer wird wieder akut, denn es existierte ein weiteres Gemälde, dessen Beschreibung sich wie eine Beschreibung des Münchner Bildes liest und das ein Original von Pieter van Laer gewesen sein soll, aber bislang nicht mit ihm in Verbindung gebracht worden ist. In dem 1711 erstellten Inventar der im gleichen Jahr eingerichteten "Schönen Galerie" der Residenz des Fürsterzbischofs zu Salzburg wird dieses Bild aufgeführt, dessen Sujet vom Verfasser allerdings nicht als Kalkbrennerei, sondern als Salzsiederei verstanden wird: "Ein auf Leinwand gemaltes Stück. Stellt vor, wie das Salz gesotten, ausgebogen ['ausgewogen'?], und auf die Esel geladen wird, daneben stehen verschiedene Mann- und Weibspersonen in meistens zerrissener Kleidung, hinter welchen ein alter Thurm, und in Entfernung das Kastell St. Angelo zu sehen ist. Orig. von Pietro de Laer oder Bamboz [...]." [3] Ob es sich tatsächlich um ein Original von Pieter van Laer gehandelt hat oder ob dem Fürsterzbischof eventuell eine Kopie oder Replik von Bourdons Werk, dass sich damals höchstwahrscheinlich in München befand, angedreht wurde, lässt sich beim gegenwärtigen Kenntnisstand nicht entscheiden. Die Figuren auf dem Münchner Bild entsprechen auf jeden Fall stilistisch den Figuren auf dem Bild in Valenciennes (Kat.-Nr. 6), das ebenfalls als eine Arbeit Bourdons gilt.
Detailliert widmet sich Hipp auch den dargestellten Arbeitsabläufen und technischen Aspekten des Kalkbrennens und sie widerlegt eine ältere Hypothese, nach der das Bild Bourdons eine Wollfärberei zeigen könnte. Sie stellt auch gut begründete Hypothesen über die Funktion der beiden runden Gruben rechts auf. Die Unklarheiten in der Wiedergabe der Vorgänge und die Missverständnisse bei ihrer Interpretation bestätigen, dass es Bourdon nicht um ein "Arbeitsbild" gegangen ist (15). [4]
Schließlich diskutiert Hipp die verschiedenen Interpretationsversuche der Bambocciaden im Allgemeinen und des Kalkofen-Genres im Speziellen. "Die halbnackten, Katzen bratenden und sich erleichternden Figuren sollen wahrscheinlich dem Amüsement dienen [...]." (40) Von Levines These einer besonderen Ironie ausgehend, dass die Kalkbrenner den Marmor der großen antiken Bauten vernichten, um neuen Baustoff zu produzieren (auf die Vernichtung der Größe Roms verweist ein Säulenschaft ganz rechts im Bild) kommt sie zum Schluss: "Insofern wird hier das Verbrennen der antiken Überreste im Kalkofen als Komödie gekonnt inszeniert - und zwar als Komödie mit dem 'Volk von Rom' beziehungsweise den ärmsten Vertretern als Darstellern." (40)
Die Publikation "Brennpunkt Rom" schließt nicht nur eine Lücke in der Forschung zur bamboccianten Malerei und zum Münchner Kalkofen Sébastien Bourdons, die sorgfältige Herangehensweise und die breite Fragestellung sowie das reiche Vergleichsmaterial machen es zu einem Fundament künftiger Untersuchungen.
Anmerkungen:
[1] Stefan Bartilla in: Anja K. Ševčík (ed.) / Stefan Bartilla / Hana Seifertová: Dutch paintings of the 17th and 18th centuries: illustrated summary catalogue, National Gallery in Prague, 2012, 246, Kat.-Nr. 255.
[2] David A. Levine: The Roman Limekilns of the Bamboccianti, in: The Art Bulletin 70 (1988), Nr. 4, 586.
[3] Imma Walderdorf: Zu den Gemäldegalerien in der Residenz unter Fürsterzbischof Franz Anton Fürst von Harrach (1665-1727, Erzbischof 1709-1727), in: Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege 63 (2009), Heft 1/2, 139-153, hier 162. Nach Walderdorff blieben die Gemälde in der Galerie bis 1803 unverändert, es kann sich deswegen nicht um das Bild Bourdons in München handeln, ebd., 146.
[4] So Werner Weisbach: Französische Malerei des XVII. Jahrhunderts im Rahmen von Kultur und Gesellschaft, Berlin 1932, 118.
Stefan Bartilla