Uwe Danker / Astrid Schwabe (Hgg.): Die NS-Volksgemeinschaft. Zeitgenössische Verheißung, analytisches Konzept und ein Schlüssel zum historischen Lernen? (= Beihefte zur Zeitschrift für Geschichtsdidaktik; Bd. 13), Göttingen: V&R unipress 2017, 224 S., 13 s/w-Abb., ISBN 978-3-8471-0544-2, EUR 40,00
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Uwe Danker / Astrid Schwabe (Hgg.): Geschichte im Internet, Stuttgart: W. Kohlhammer 2016
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Der Sammelband zur 'NS-Volksgemeinschaft' ist als Produkt einer wissenschaftlichen Tagung an der Universität Flensburg im Mai 2015 entstanden. Es sollte untersucht werden, welches Vermittlungspotenzial das (nationalsozialistische) Konzept der 'Volksgemeinschaft' für das historische Lernen besitzt. Der Aufbau des Sammelbandes ist in einen fachwissenschaftlichen Diskurs (drei Aufsätze), in das Kapitel "Potenziale und Herausforderungen in geschichtsdidaktischer Perspektive" (drei Aufsätze) und abschließend in "Vermittlungskonkretionen im schulischen Unterricht" (fünf Aufsätze) gegliedert. Anschließend daran findet sich noch ein Kommentar zur abgehaltenen Tagung.
Die fachwissenschaftlichen Beiträge in der ersten Sektion bieten einen guten Überblick zum zeithistorischen Diskurs zu 'Volksgemeinschaft'. Der Anspruch, das Konzept 'Volksgemeinschaft' als Schlüssel zum historischen Lernen zu präsentieren, wird nur teilweise erfüllt. Vermutlich auch deshalb, weil Ergebnisse auf empirischer Grundlage kaum berücksichtigt werden. Das Konzept 'Volksgemeinschaft' als Gegenthese zur 'Holocaust Education' zu präsentieren, wie in der Einleitung angeführt (17), wird nicht stringent verfolgt. Der fachdidaktische Diskurs, ob die ideologische Grundlage der NS-Gesellschaft, die 'Volksgemeinschaft', überhaupt als analytisches Konzept geeignet ist, wird nur teilweise rezipiert. Trotz dieser Kritik sind die Überlegungen zu diesem Konzept aus geschichtsdidaktischer Perspektive begrüßenswert und können als Beginn eines längst fälligen Diskurses gesehen werden.
Frank Bajohr gibt im ersten Beitrag einen gelungenen Überblick über die entsprechenden Forschungstrends, insbesondere auch den Perspektivenwechsel von der Thematik Widerstand zur Opferfokussierung. Martina Streber und Bernhard Gotto veränderten ihren sehr gelungenen Artikel aus den Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte nur marginal und konstatieren, dass es sich bei 'Volksgemeinschaft' sicherlich um kein "Masterkonzept" handele, aber um einen sehr wichtigen "analytischen Schlüssel" (38). Astrid Schwabe verfolgt einen Aspekt der 'Public History' und klassifiziert verschiedene Typen geschichtskultureller Prozesse. Diese dokumentieren ein Zusammenspiel von wissenschaftlicher Erkenntnis und außerwissenschaftlichen Sphären der Geschichtskultur. Kritisch betrachtet befasst sich dieser Aufsatz nur ansatzweise mit dem Konzept der 'Volksgemeinschaft' und eine intensivere Implementierung desselben wäre wünschenswert gewesen.
In Hinblick auf die Potentiale in der Geschichtsdidaktik ist insbesondere der Beitrag von Uwe Danker hervorzuheben, in dem versucht wird, innovative konzeptionelle Arbeit zu leisten. Zusätzlich wurde ein interessanter Entwurf von Qualitätsstandards dargelegt, der vielversprechend anmutet. Neben einer exemplarisch beschriebenen musealen Darstellung zum Konzept 'Volksgemeinschaft' werden auch Vergleiche zu anderen Exklusionsprozessen in Gesellschaften der Vergangenheit angeführt, die jedoch nur auf einer deskriptiven Ebene betrachtet werden. Zusammenfassend gesehen bleiben in dieser Sektion viele Fragen offen, beispielsweise welche geschichtsdidaktischen Potentiale das Konzept der 'Volksgemeinschaft' bieten könnte. Insbesondere im Vergleich zum ausgesprochen elaboriert geführten zeithistorischen Diskurs besteht hier sicher noch Aufholbedarf.
Etienne Schinkels Beitrag ist ein weiterer wichtiger Baustein in der stets bedeutender werdenden Schulbuchforschung. Auch wenn zahlreiche interessante Elemente von Schulbuchnarrativen angeführt werden, bleibt der Autor eine methodische Herangehensweise schuldig. Zusätzlich ist die sehr kurz gehaltene Analyse zu hinterfragen, ebenso wie die höchst subjektiv verfassten Empfehlungen. Trotz dieser Schwächen, ist es ein wichtiger Beitrag, auf den die Schulbuchforschung zurückgreifen wird.
Christian Mehrs Filmanalyse zum Film "Napola" stellt einen ausgesprochen interessanten Zugang zu einem wichtigen Bereich der Geschichtskultur dar. Auch wenn in den Ausführungen eine Realitätsnähe des Filmes angenommen werden dürfte, ohne diese aktiv im Unterricht zu thematisieren, ist es vor allem aus schulpraktischer Perspektive ein guter und lesenswerter Beitrag.
Marcel Mierwalds Beitrag aus dem Schüler- und Schülerinnen-Labor der Universität Bochum fokussiert auf einen außerschulischen Lernzugang im Bereich der 'Volksgemeinschaft'. So wird das Procedere des Lernlabors anhand unterschiedlicher Arbeitsschritte näher ausgeführt und insbesondere auf die Analyse der Schüler- und Schülerinnen-Essays wird näher eingegangen. In diesem Zusammenhang wird auf die hohe Bedeutung der Fragekompetenz eingegangen, da im Schreibprozess der Schüler und Schülerinnen wiederholt inhaltliche Fragen entstanden sind, die in Kooperation mit der Lehrkraft, oder von Schülern und Schülerinnen untereinander, gelöst wurden.
Malte Thießens ausgezeichneter Beitrag liefert einen sehr gelungenen Abschluss dieses Sammelbandes. Er konstatiert, dass die Arbeit für die Geschichtsdidaktik in diesem Bereich gerade erst begonnen habe und stellt zahlreiche Verbindungen zum politischen Lernen her. Neben konkreten Unterrichtsbeispielen (die allesamt besprochen werden) eignet sich laut Thießen das Konzept 'Volksgemeinschaft' insbesondere für den Zugang, den Nationalsozialismus nicht als "finsteres Werk einer allmächtigen Elite" zu sehen (212), sondern neue Perspektiven zu einem breiteren Verständnis der NS-Gesellschaft zu eröffnen.
Zusammenfassend stellt der vorliegende Sammelband einen wichtigen Beitrag zur Erforschung des nicht unumstrittenen Konzeptes der 'Volksgemeinschaft' dar. Die "Gefahren" der Verwendung dieses Begriffes werden nur teilweise bearbeitet, auch wenn diese noch ausführlicher in der Geschichtsdidaktik diskutiert werden sollten. Einzelne Aufsätze weisen strukturelle Schwächen auf, dennoch ist es ein begrüßenswertes Unterfangen, diese wichtige Thematik im geschichtsdidaktischen Diskurs zu verankern. Der Sammelband kann insgesamt als gelungener Beginn einer geschichtsdidaktischen Diskussion angesehen werden, ohne dabei die Erwartungen zu übertreffen oder diese zu unterschreiten.
Philipp Mittnik