Gerd Schwerhoff: Köln im Ancien Régime. 1686-1794 (= Bd. 7), Köln: Greven-Verlag 2017, XIV + 554 S., 163 Abb., eine Beilage, ISBN 978-3-7743-0450-5, EUR 60,00
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Zu den ambitioniertesten deutschen Stadtgeschichtsprojekten zählt die auf 13 Bände angelegte, von der Historischen Gesellschaft Köln herausgegebene "Geschichte der Stadt Köln". Seit 2004 sind von dem Werk acht Bände erschienen, 2017 als siebter Band der Reihe unter dem Titel "Köln im Ancien Régime" die hier vorzustellende Geschichte Kölns im 18. Jahrhundert. Der Band schließt die Lücke zwischen den beiden bereits vorliegenden Bänden von Hans-Wolfgang Bergerhausen über die Zeit des 30-jährigen Krieges unter Einschluss der nachfolgenden Jahrzehnte bis zum Gülich-Aufstand 1686 [1] sowie von Klaus Müller, der die revolutionären Veränderungen Kölns unter französischer Herrschaft seit 1794 bearbeitet hat. [2] Mit Gerd Schwerhoff ist ein Autor gewonnen worden, in dessen Forschungen seit seiner kriminalitätshistorischen Dissertation "Köln im Kreuzverhör" immer wieder Kölner Themen eine wichtige Rolle gespielt haben und der als einer der besten Kenner der Kölner frühneuzeitlichen Stadtgeschichte zu gelten hat.
Ganz im Sinne des "cultural turn" ist es Schwerhoffs Ziel, "vergangene Lebenswelten als einen Bedeutungs- und Erfahrungsraum eigenen Rechts zu betrachten und den Nachgeborenen verständlich zu machen" (3). Dies gelingt ihm, um es gleich vorwegzunehmen, hervorragend, indem er in seine strukturgeschichtlichen Kapitel auch immer wieder Einzelbiographien einflicht. Dabei kommen nicht nur Vertreter der städtischen Eliten, sondern auch der Unterschichten zu Wort, und es fehlt natürlich auch nicht an Exkursen zu Johann Maria Farina, dem angeblichen Erfinder des "Eau de Cologne", oder des "Kölner Kulturpapstes" Ferdinand Franz Wallraf. Dadurch werden in den strukturellen Querschnitten zu Topographie und Gesellschaft, Verfassung und Verwaltung, Handel und Handwerk sowie Bildung und Religion die alltäglichen Interaktionen der Kölner Gesellschaft sehr lebendig. Dazwischen hat Schwerhoff Kapitel geschaltet, die stärker auf die Ereignisse eingehen und insbesondere die Politik Kölns gegenüber dem "vertrauten Feind" Frankreich (457) während der zahlreichen Kriege und die damit verbundenen Belastungen für die Bevölkerung thematisieren. Große Bedeutung misst Schwerhoff den 1774 ausbrechenden bürgerlichen Unruhen zu, in denen sich der Unmut vor allem des zünftischen Handwerks über die Misswirtschaft der Ratselite entlud. Dass sich die Opposition, die seit 1779 über ein eigenes Repräsentationsorgan, die "Bürgerliche Deputatschaft", verfügte, bei ihren Reformforderungen auf den Verbundbrief von 1396 und den Transfixbrief von 1513 berief, offenbart nach Ansicht Schwerhoffs deren Traditionalismus, aber keine, wie in der älteren Literatur behauptet, "reaktionären" Ansichten: Für die "einfachen" Bürger seien die alten Grundgesetze "eine Brandmauer gegen ein willkürliches Durchregieren jener kleinen Elite" gewesen, "die [...] stets auch die eigenen Interessen im Blick hatte" (460). Doch bei allem Lob Schwerhoffs auf den stadtbürgerlichen Republikanismus der Kölner Verfassung: Faktisch konnte diese die Oligarchisierung nicht verhindern.
Die nuancierte Beurteilung des Deputatschaftsstreits spiegelt den Tenor des Buches wider. Ohne das Narrativ vom Niedergang Kölns im 18. Jahrhundert "völlig auf den Kopf stellen zu wollen" (3), schreibt Schwerhoff doch dagegen an, kontrastiert die zeitgenössischen Reiseberichte (etwa Kaspar Riesbecks von Köln als "abscheulichster Stadt Deutschlands") mit den Ergebnissen der heutigen Forschung, kann letztendlich aber das Bild nur in einigen Punkten relativieren, wie er selbst konzediert. Am ehesten trifft dies für den wirtschaftlichen Bereich zu, der dynamischer war, als es das Klischee vom innovationsfeindlichen Kölner Bürgertum suggeriert. Doch gerade im religiösen Bereich bestätigt sich dann doch das Narrativ von den verkrusteten Strukturen. Trotz Aufklärung verweigerten die konservativen Kräfte einschließlich der Deputatschaft im sogenannten Toleranzstreit den Lutheranern und Reformierten noch 1789 die Errichtung eines eigenen Bethauses.
Schwerhoff bietet damit wichtige Ergebnisse für die vergleichende Städtegeschichtsforschung, deren Fokus seit geraumer Zeit vor allem auf die Residenzstädte gerichtet ist und die dabei die Situation der freien Reichsstädte etwas aus den Augen verloren hat. Dass das quellengesättigte, gut lesbare und reich bebilderte Handbuch darüber hinaus auch zu weiteren Forschungen - zur Geschichte des innerstädtischen Verkehrs etwa oder auch zu städtischen Aufstandsbewegungen gegen Ende des Alten Reichs - anregt, ist ein nicht zu unterschätzender Nebenertrag. Zu wünschen ist, dass der noch ausstehende Band zu "Köln im Zeitalter von Reformation und Katholischer Reform" möglichst bald erscheinen möge, um die frühneuzeitliche Geschichte dieser bedeutenden Großstadt des Alten Reichs zu komplettieren.
Anmerkungen:
[1] Hans-Wolfgang Bergerhausen: Köln in einem eisernen Zeitalter 1610-1686 (= Geschichte der Stadt Köln; Bd. 6), Köln 2010.
[2] Klaus Müller: Köln von der französischen zur preußischen Herrschaft 1794-1815 (= Geschichte der Stadt Köln; Bd. 8), Köln 2005.
Wolfgang Dobras