Wolfgang Behringer / Milo Halvelka / Katharina Rheinholdt (Hgg.): Mediale Konstruktionen in der Frühen Neuzeit (= Studien zur Mediengeschichte; Bd. 1), Affalterbach: Didymos-Verlag 2013, 216 S., 18 Abb., ISBN 978-3-939020-61-5, EUR 44,00
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Der vorzustellende Sammelband dokumentiert eine 2005 in Saarbrücken abgehaltene, internationale Tagung des an den Universitäten von Saarbrücken und Prag angesiedelten Tschechisch-Deutschen Graduiertenkollegs "Lebenswelten und Kommunikationsstrukturen in der mitteleuropäischen Gesellschaft vom 16. bis zum 19. Jahrhundert". Folgerichtig stammen die - mit einer Einleitung der Herausgeber versehenen - elf Beiträge allesamt aus der Feder von Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern, die - mit Ausnahme David Lederers - personell oder institutionell in der einen oder anderen Art und Weise dem Graduiertenkolleg verbunden gewesen sind. Die Qualifikationsarbeiten der tschechischen und deutschen Dissertandinnen und Dissertanden des Graduiertenkollegs, die an der Tagung mitwirkten, sind inzwischen allesamt publiziert (211-214). Und so dient der Band denn auch nicht dazu, auf neue Dissertationsvorhaben und deren methodologisch-theoretischen Prämissen aufmerksam zu machen, sondern der "Rückschau" (Vorwort) auf die Arbeit des Kollegs.
Die einleitenden Ausführungen (9-24) zu Konstruktion und Medialität (und Früher Neuzeit) lassen sich demnach füglich auch auf die Publikation dieses Bandes anwenden: Wenn, wie argumentiert wird, Wirklichkeitskonstruktionen in ihren, von der Wissenssoziologie lange vernachlässigten medialen Bedingtheiten verstanden werden müssen, so erlaubt es das Medium "wissenschaftlicher Sammelband" die inzwischen geraume Zeit abgeschlossene Arbeit des Graduiertenkollegs in einer Form mitzuteilen, die dessen ambitionierten wissenschaftlichen Ansatz, divergierende Wissenschaftskulturen zu verbinden, medial manifestiert und dauerhaft speichert. Wenn demnach, wie in diesem Fall, "the medium" tatsächlich "the message" ist, so ist diesem Umstand in einer knappen Rezension Rechnung zu tragen. Ich beschränke mich daher darauf, den vorliegenden Band nur in seinen Grundzügen vorzustellen, da die hier nur in kurzen Ausschnitten präsentierten Themen inzwischen in monographischer Bearbeitung vorliegen. Ebenso sei nur angedeutet, dass in den Jahren, die zwischen Tagung und Publikation liegen, natürlich die Debatten, zum Beispiel zum Themenfeld "Medialität", insbesondere durch die Arbeiten, die im Rahmen des Nationalen Forschungsschwerpunkts der Schweiz "Medialität" entstanden sind, fortgeführt wurden und zu interessanten neuen Konzeptualisierungsversuchen dieses Forschungskonzepts geführt haben.
Die zeitlich (16. bis zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts) wie räumlich (von Venedig über Zentraleuropa bis nach England) einen weiten Bogen spannenden Beiträge "untersuchen in exemplarischen Studien anhand konkreter Medien in genau definierten Situationen, inwieweit frühneuzeitliche Medien neue Voraussetzungen zur Konstruktion von Sachverhalten, von Ereignissen, religiösen, nationalen oder kulturellen Identitäten schufen und wie sich dies konkret manifestierte und auswirkte" (12). Dass unter dem Schirm "Medialität von Identitätskonstruktionen" sehr Unterschiedliches Platz finden kann und auch, dass die Zuordnung der einzelnen Beiträge zu den Großkapiteln "Religion, Staat, Gesellschaft" nicht zwingend ist (und für den Untersuchungszeitraum nicht zwingend sein kann), zeigt der Sammelband.
An den verschiedensten Themenbereichen, die Wunder (David Lederer) ebenso abhandeln wie venezianische Stadtveduten (Christian Mathieu), Nationsbildungsprozesse im Allgemeinen (Veronika Sušová-Salminen) und die nationale Festkultur Tschechiens im Besonderen (Karel šima), wird entlang ganz unterschiedlicher Personen und Personengruppen ein breites Panorama entfaltet. Untersucht werden die medialen Strategien der Spiritualisten, beispielhaft an Sebastian Franck erörtert (Paul Brand), vorgestellt werden aber auch die medialen Kontexte und Selbstrepräsentationen der Jesuiten und Serviten (Petr Maťa, Veronika Čapska) und auch der Frage wird nachgegangen, welche Bedeutung die Konversionserzählungen jüdischer Konvertiten für deren "Selbstkonstruktion" besaßen (Gesine Carl). Mit dem ganzen Set an mediengeschichtlich inspirierten Zugangsweisen wird dem Zusammenhang von sozialer Praxis und medialer Repräsentation (z.B. Rob Boddice) nachgegangen, am Beispiel der lateinischen und tschechischsprachigen humanistischen Historiographie (Lucie Storchová) das story-telling untersucht oder die Aufmerksamkeit den Distributionsmechanismen amtlichen Schriftguts in Böhmen (Pavel Himl) zugewandt.
Ließe sich diese Breite bei anderen Sammelbänden füglich als Inkohärenz kritisieren, so stellt sie bei dem vorliegenden Band das Gegenteil unter Beweis: Die Thematik des Graduiertenkollegs hat den verschiedensten Forschungsinteressen der Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuschwissenschaftler ein gemeinsames Dach geboten. Noch wichtiger freilich ist, dass der intendierte Brückenschlag zwischen den "akademischen Kulturen des Westens und Ostens" (Vorwort) gelungen ist. Denn so unterschiedlich der räumliche, zeitliche, inhaltliche wie methodische Zuschnitt der Beiträge sich darstellt, sie werfen allesamt ein erhellendes Schlaglicht auf einen kleinen Ausschnitt ihrer, zum Teil preisgekrönten Dissertationen.
Gabriele Haug-Moritz