Michael Gehler / David Schriffl (eds.): Violent Resistance. From the Baltics to Central, Eastern and South Eastern Europe 1944-1956, Paderborn: Brill / Ferdinand Schöningh 2020, XI + 457 S., 16 Kt., 3 Tbl., ISBN 978-3-506-70304-0, EUR 78,00
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Kaum hatten die Bolschewiki 1917 in Russland die Macht ergriffen, waren sie mit der Aufstandsbekämpfung - in der heutigen Fachsprache Counterinsurgency - beschäftigt. Neben dem Krieg gegen die Weißen Armeen und ausländischen Interventionen war die Niederschlagung von Rebellionen - insbesondere jenen der Landbevölkerung, später aber auch der der Kronstädter Matrosen - eines der Felder, auf denen sich der sozialistische Staat als hochgradig gewalttätiges Amalgam aus Kommunistischer Partei, tschekistischer Geheimpolizei und Roter Armee formierte. Im Tambower Gebiet war der bäuerliche Widerstand so stark, dass zu dessen Niederwerfung ein regelrechter Feldzug unter Einsatz von Giftgas geführt werden musste.
Auch in der Spätphase des Zweiten Weltkriegs und in der Nachkriegszeit stieß die Errichtung der kommunistischen Herrschaft in den von Roten Armee befreiten Gebieten und Staaten auf zum Teil erheblichen Widerstand, der im historischen Bewusstsein der Deutschen aber weitgehend unbekannt geblieben ist. Dass die Historikerin Beatrice Heuser in ihrem Buch über "Rebellen, Partisanen, Guerilleros" auch auf die sowjetische Aufstandsbekämpfung in der Ukraine einging, blieb eine erfreuliche Ausnahme. [1] In der Erinnerungskultur der jeweils betroffenen Nationen spielen diese Aufstandsbewegungen mittlerweile aber eine bedeutende Rolle. In den einzelnen Staaten haben sich entsprechende Forschungsfelder etablierten, deren Erkenntnisse aufgrund der sprachlichen Grenzen aber meist nur eine regionale Verbreitung fanden. Michael Gehler und David Schriffl haben nun in ihrem Band eine Reihe von englischsprachigen Aufsätzen über den gewaltsamen Widerstand gegen das seit 1944 im Osten Europas errichtete kommunistische Gesellschaftsmodell versammelt, die Schlaglichter auf die unterschiedlichen Widerstandsgruppen und -formen in den betroffenen Ländern werfen.
Als theoretische Klammer des Bandes soll ein Aufsatz von Keith D. Dickson dienen, der das Konzept der asymmetrischen Kriegsführung als Raster für die Analyse der im folgenden beschriebenen Widerstandsbewegungen vorstellt. Dickson, als ehemaliger Offizier der U.S.-Special Forces ein Praktiker der Aufstandsbekämpfung, legt dabei ein theoretisches Modell vor, das zwar eine Schablone für den fast zeitgleichen Kampf der kommunistischen Vietminh im französischen Indochina liefern könnte, auf den Widerstand in Osteuropa aber kaum anwendbar ist. Den von Dickson skizzierten politischen und militärischen Horizont der asymmetrischen Kriegführung haben diese Gruppen schlichtweg nicht erreicht, weshalb sein Konzept von den anderen Autoren auch nur allenfalls höflichkeitshalber aufgegriffen wird. Besser wäre es gewesen, dem Band eine strukturelle Analyse zu den Gesetzmäßigkeiten der Gewalträume voranzustellen, die sich mit dem Übergang zur kommunistischen Herrschaft in den jeweils betroffenen Gebieten etablierten.
Einen guten Einstieg liefert Olaf Mertelsmann mit seinem Aufsatz zum Widerstand in Estland. Im Zuge des Hitler-Stalin-Pakts war das Land von der UdSSR, ohne bewaffneten Widerstand zu leisten, annektiert worden. Der Prozess der Sowjetisierung wurde zunächst vom Fehlen einer nennenswerten kommunistischen Partei gebremst; mit der Deportation von etwa 10.000 Menschen begann dann aber im Juni 1941, noch vor Ausbruch des deutsch-sowjetischen Krieges, eine Gewalteruption, die ihren Höhepunkt mit den Gefangenen-Ermordungen während des sowjetischen Rückzugs erreichte. Dagegen formierte sich der schlecht bewaffnete Widerstand von etwa 12.000 antisowjetischen Partisanen, die ihrerseits Racheakte an echten und vermeintlichen Unterstützern des sowjetischen Besatzungsregimes verübten. Die Rückkehr der Sowjetarmee brachte 1944 eine große Welle stalinistischer Säuberungen über das Land, die ab 1947 mit der sogenannten Entkulakisierung der Dörfer auch zunehmend durch das gesellschaftspolitische Programm der KPdSU motiviert war. Im März 1949 wurden ungefähr 20.000 Menschen Opfer einer zweiten Massendeportation. Die Kollektivierung der Landwirtschaft machte es für die auf das Subsistenzniveau herabgedrückten Bauern immer schwerer, die Partisanen in den Wäldern mit Nahrungsmittel zu unterstützen. Die Ansiedlung von Menschen aus der UdSSR sorgte überdies dafür, dass sich der Bewegungsraum der Widerstandskämpfer sukzessive verengte. 1953 fand die letzte große Kampagne gegen die estnischen "Waldbrüder" statt.
Vykintas Vaitkevičius liefert einen Überblick zum Widerstand in Litauen, der sich vor dem Hintergrund vergleichbarer sowjetischer Gewaltmuster wie in Estland entfaltete, aber ein deutlich höheres Organisationsniveau erreichte, bevor er gleichfalls in den Jahren 1952 und 1953 erlosch. Die von Aleksandra Pomiecko geschilderten Ereignisse in Belarus folgten dagegen einem deutlich anderen Muster, weil eine Hälfte der späteren Sowjetrepublik in der Zwischenkriegszeit zu Polen gehört, die andere Hälfte aber als Teil der UdSSR bereits den Prozess der Sowjetisierung durchlaufen hatte. Die von ihr analysierten Gruppen gingen zudem direkt auf Formationen zurück, die die Deutschen 1944 im Rahmen ihrer Partisanenbekämpfung gebildet hatten. Ein Teil von deren Mitgliedern gelangte so nach Deutschland und wurde dort in der Nachkriegszeit von der amerikanischen CIA für verdeckte Operationen in ihrer Heimat rekrutiert.
Rafał Wnuk widmet sich dem breiten und vielfältigen antikommunistischen Untergrund in Polen, der zum Teil auf die Strukturen der Armia Krajowa (AK) zurückging, die den Widerstand gegen die deutsche Besatzung getragen hatte. Die Zerschlagung dieser Strukturen setzte sogleich mit dem Vordringen der Roten Armee nach Polen ein: Bereits im Februar 1945 wurden die Kommandeure der AK von dem NKWD-General Iwan Serow in eine Falle gelockt und verhaftet. Dennoch schätzt Wnuk, dass sich insgesamt 120.000 bis 180.000 Polen am antikommunistischen Widerstand beteiligten. Der letzte antikommunistische Partisan wurde 1963 von der polnischen Staatssicherheit getötet.
Den Auseinandersetzungen in Ukraine sind zwei Aufsätze gewidmet. Während sich der von Olesia Isaiuk mit den Bemühungen der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) befasst, 1944 Gefolgsleute unter den ukrainischen Soldaten der nach Westen vordringenden Sowjetarmee zu rekrutieren, führt Alexander Statiev in seinem Beitrag den Nachweis, dass es sich bei eben dieser OUN um eine Organisation mit faschistischer Ideologie gehandelt hatte. In der gemischt besiedelten Ukraine verübte die OUN bereits während des Widerstandskampfs gegen die Deutschen eine große Zahl antipolnischer und antijüdischer Mordtaten. Sie setzte damit direkt die Gewaltstrukturen des Russischen Bürgerkriegs fort, zu denen auch die massenweise Ermordung der jüdischen Bevölkerung gehört hatte. Dass der Widerstand in der Ukraine bis 1950 andauerte, hatte aber sicherlich auch mit der extremen Gewalterfahrung des Holodmor zu tun, die in Statievs Essay keine Erwähnung findet.
Dem tschechischen und slowakischen Widerstand sind drei Beiträge gewidmet, von denen der Aufsatz von Adam Zítek über die auf dem Territorium der heutigen Ukraine siedelnden Wolhynien-Tschechen der eindrücklichste ist. In der Zwischenkriegszeit zu Polen gehörig, hatten diese die nach dem Einmarsch der Roten Armee im September 1939 einsetzende Sowjetisierung erlebt und waren dadurch stark antikommunistisch geprägt worden. Im Rahmen der ethnischen Neuordnung Osteuropas nach dem Zweiten Weltkrieg wurden sie in die Tschechoslowakei umgesiedelt, wo sie in den ersten Nachkriegsjahren durch ihre offene Feindschaft gegenüber der Kommunistischen Partei ein widerständiger Fremdkörper blieben.
Michael Gehler und Ibolya Murber schildern die Entwicklung in Ungarn, die zunächst von den gewaltlosen Widerstandsformen vornehmlich der Bauern und Arbeiter geprägt war, um dann im Herbst 1956 im erbitterten Kampf gegen den sowjetischen Truppeneinmarsch zu eskalieren. Dem Widerstand im Nachbarland Rumänien sind drei Beiträge gewidmet. Cosim Budeancă untersucht die sozialen Strukturen, die im Nordosten des Landes die antikommunistischen Partisanen trugen, während sich Roland Clark mit der Rolle ehemaliger Mitglieder der faschistischen Legion des Erzengels Michael auseinandersetzt. Ioana Ursu wiederum befasst sich mit der Beteiligung von Frauen am Kampf gegen die kommunistische Herrschaft. Mit den Geschehnissen in Bulgarien und Albanien setzen sich Valentin Voskresenski beziehungsweise Marenglen Kasmi auseinander. Dejan Zec arbeitet heraus, warum der Widerstand des serbischen Stadtbürgertums trotz antikommunistischer Gesinnung eher schwach blieb. Stevan Bozanich wiederum schildert die Zerschlagung der serbisch-monarchistischen Chetniks durch die Jagdkommandos des frisch etablierten Tito-Regimes.
Trotz aller Einwände, ein wichtiger Band zur richtigen Zeit.
Anmerkung:
[1] Vgl. Beatrice Heuser: Rebellen - Partisanen - Guerilleros. Asymmetrische Kriege von der Antike bis heute, Paderborn 2013, 203-206.
Michael Ploetz